Auch Grün kennt viele Farben

Als der Arabische Frühling vor etwa einem Jahrzehnt die arabische Welt auf den Kopf stellte, gab es eine Entwicklung, die im öffentlichen Raum wenig Beachtung fand. Gaddafis Libyen war ein unvergleichliches Waffenarsenal und was passieren würde, wenn Abertausende Gewehre und Kleinwaffen von Rebellen gekapert und in Umlauf gebracht würden, wollte sich kaum jemand ausmalen.

Vermutlich ist genau das dennoch geschehen, denn die Militarisierung in Afrika und die Präsenz von Schusswaffen auf dem Kontinent haben stark zugenommen. Auf einem Kontinent, der unter den Folgen kolonialer Grenzziehung und Unterdrückung sowie vielfach unter fragiler Staatlichkeit leidet, ist das ein massives Sicherheitsproblem. Oder anders gesagt: (Auch) durch den Sturz des Gaddafi-Regimes ist Afrika zunehmend militarisiert worden und in vielen Ländern unseres südlichen Nachbarkontinents finden sich Rebellengruppen. Der Sudan gab dafür vor nicht allzu langer Zeit ein trauriges Beispiel ab.

Artenschutz durch Waffen

Das im Hinterkopf zu haben ist vermutlich sinnvoll, wenn wir uns Simone Schlindweins Buch Der Grüne Krieg – Wie in Afrika die Natur auf Kosten der Menschen geschützt wird – und was der Westen damit zu tun hat widmen. Das Buch ist im Ch. Links Verlag erschienen und war in der Kategorie Sachbuch/Essayistik für den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Gaddafi und die Folgen des Arabischen Frühlings sind für Schlindweins Buch erst einmal nicht entscheidend, denn es verfolgt einen anderen Ansatz. In ihrem Vorwort verweist sie auf die Weltartenschutzkonferenz im Dezember 2022, die global als großer Erfolg gesehen wurde. Anders als die öffentliche Mehrheit sieht sie die Ergebnisse jedoch deutlich kritischer, da sie aus ihrer Sicht Entwicklungen verstärken, die in den letzten Jahren nicht nur Licht auf deutsche und europäische Entwicklungspolitik geworfen haben und die der Kernpunkt ihres Buches sind. Unter dem Deckmantel des Natur- und Artenschutzes nämlich würde, so Schlindwein, auch die Militarisierung der Nationalparks vorangetrieben und indigene Völker systematisch unterdrückt, beraubt und getötet – und das finanziert durch deutsche Steuermittel.

Menschenleere Parks und Menschenrechte

In fünf Kapiteln, die überwiegend die Situation in den Parks in der Demokratischen Republik Kongo unter die Lupe nehmen, erläutert sie zuerst den Ansatz der „im Westen“ verbreiteten Schutzkonzepte der unberührten Wildnis und der menschenleeren Parks. Natur und Wildnis sollen hier mehr oder weniger sich selbst überlassen sein, Siedler und Indigene müssten hierfür weichen und höchstens Touristen sollten neben den Rangern noch die Parks betreten dürfen. Die Rechte indigener Völker und ihr Umgang mit der Natur würden dabei systematisch missachtet. Auch wenn sie es nicht schreibt, aber der implizite Vorwurf ist klar: Das ist aus ihrer Sicht die Fortsetzung des Kolonialismus.

In Kapitel II schreibt sie vom Finanzierungsdilemma und wie die Mittel für den Naturschutz bereitgestellt werden. Neben dem bereits genannten Tourismus sind das vor allem Zuschüsse westlicher Staaten, die in Deutschland wesentlicher Bestandteil der Entwicklungspolitik sind – und somit auch deutschen Standards folgen müssen. Dazu gehören einerseits Bürokratie, andererseits aber auch Menschenrechte. Und während das mit der Bürokratie vielfach ganz gut klappe (sie also überborde), scheint Deutschland bei der Einhaltung der Menschenrechte vor Ort gerne einmal wegzusehen, so Schlindwein.

Um nämlich die Ziele der Entwicklungspolitik und des Naturschutzes durchzusetzen – so Kapitel III und IV –, würden einerseits Ranger hochgerüstet, um Terroristen und Wilderer fernzuhalten, andererseits aber auch Indigene unterdrückt sowie ihres Landes und vielfach ihrer Rechte beraubt. Im abschließenden Kapitel V versucht sie der Frage nachzugehen, wie die Verantwortung der Geber aussieht und ob es sich bei den genannten Entwicklungen eher um Einzelfälle handle oder ob all dies System habe.

Ihre Aufmerksamkeit, bitte

Was ist nun über dieses Buch zu sagen? Erst einmal ist es spannend, dass es dieses gibt. Seien wir ehrlich – und das haben wir auch bei der Vorstellung der für den Preis der Leipziger Buchmesse Nominierten am 18. April im Literarischen Colloquium Berlin aus dem Publikum gehört – wer von uns hat sich bisher mit der Frage auseinandergesetzt, wie Ranger in afrikanischen Wildparks zu einer Art Privatarmee aufgerüstet werden?

Vermutlich dürften die wenigsten laut „Hier!“ rufen. Aus diesem Grund ist, so banal das klingen mag, allein die Tatsache, dass dieses Buch nun ein Licht auf diese Entwicklungen wirft und die langjährigen Recherchen Schlindweins und des taz-Rechercheprojekts „Die Grüne Armee“ zusammenführt und publiziert, ein Mehrwert für den öffentlichen Diskurs. Die Nominierung durch die Jury unterstreicht dies und verhilft dem Thema dadurch zu (mehr) Öffentlichkeit, denn in der Tat bedarf diese Entwicklung einer Aufmerksamkeit, die ihr bislang nicht in Ansätzen zuteilwird.

Einzelfälle stehen für ein großes Ganzes

Was ist aber nun inhaltlich zu sagen? Die Recherchen, die Simone Schlindwein anstellt, sind in jedem Fall umfangreich. Oft geht es bei ihr um Einzelschicksale, die – nicht falsch verstehen – keineswegs als Einzelfälle, sondern wohl exemplarisch für größere Entwicklungen stehen sollen. Ob es der Machtmissbrauch von hohen Park- oder Staatsbediensteten ist, die Vertreibung bzw. das Fernhalten Indigener von ihren traditionellen Ländereien oder aus Schilindweins Sicht fehlgeleitete Bürokratie und Zielsetzung der Entwicklungspolitik, sie arbeitet gerne anhand einzelner Fälle größere Probleme heraus.

Allerdings lässt ihre Perspektive dabei deutlich weniger Diversität zu, als das ihrer Recherche guttäte. Fast alle Unterlagen, die sie aus der deutschen Politik zitiert, stammen von der Linkspartei (vielleicht auch, weil diese sich als einzige mit dieser Thematik befasst), Positionen und Initiativen der Grünen oder der FDP spielen nur am Rande eine Rolle, die langjährigen Regierungsparteien CDU/CSU und SPD kommen quasi gar nicht vor – obwohl oder gerade weil sie die Regierung führten.

Wir bleiben einseitig

Die taz, für die Schlindwein regelmäßig schreibt (und im Buch regelmäßig auf ihre eigenen Recherchen und Artikel verweist) ist ebenso dem linken Meinungsspektrum zuzuordnen wie der Ch. Links Verlag, in dem Der grüne Krieg bekanntermaßen erschienen ist. Hier ist die Perspektive von Simone Schlindwein doch sehr einseitig und lässt kaum andere Perspektiven zu.

Und wenn doch – beispielsweise in einem Gespräch mit dem früheren FDP-Entwicklungsminister und heutigen Rheinmetall-Lobbyisten Dirk Niebel, der in Namibia ein Testfeld für die Sicherheitstechnologie seiner Firma aufbaut –, so argumentiert Schlindwein recht energisch dagegen. Bereits in dem Buch Brasilien über alles von Niklas Franzen (ebenfalls taz-Autor) haben wir ein ähnliches Muster gesehen, auch wenn Franzen dieses Vorgehen in seinem dennoch aufschlussreichen Buch noch deutlich weitertreibt. Bei Simone Schlindwein erkennen wir die politisch-gesellschaftliche Perspektive, aber sie wird uns nicht so gnadenlos aufoktroyiert wie bei Franzen.

Bitte alle Fakten

Zu dieser dennoch erkennbaren Einseitigkeit gehört auch, dass Schlindwein nicht selten scheinbar nicht alle Fakten auf den Tisch legt, wenn sie ihre Argumentation nicht stützen. In einem Fall beispielsweise schreibt sie von einem Fonds, der von der deutschen Bundesregierung Mitte 2019 aufgelegt wurde. Mittel für den eigentlichen Zweck (den Natur- und Artenschutz) seien daraus jedoch noch nicht abgeflossen.

Was sie jedoch nicht erwähnt – aber bei einer sorgfältigen und argumentativ ausgewogenen Recherche dennoch erwartet werden dürfte – ist die Frage, was mit dem Geld dann passiert ist. Erstens nämlich hat die Corona-Pandemie ein halbes Jahr später viele Investitionstätigkeiten weltweit lahmgelegt, sodass es durchaus eine Erklärung dafür gäbe, warum anfangs keine Mittel abflossen. Und zweitens würde es uns durchaus interessieren, ob das Geld zwischenzeitlich vielleicht für andere Zwecke eingesetzt wurde, was nicht unüblich wäre. Selbst wenn die ursprünglich angestrebten Maßnahmen nicht umsetzbar waren, es kann durchaus sein, dass das Geld für andere Projekte eingesetzt wurde, die den ursprünglichen Zielen zugutekommen. Und lieber werden Gelder nicht ausgegeben, als damit falsche Ziele zu unterstützen.

Wir bleiben weiterhin einseitig

Solche Beispiele machen Der grüne Krieg etwas ärgerlich und schwer zu lesen, weshalb wir manches Mal die Lust daran verloren haben, selbst wenn die Thematik wie gesagt sehr spannend ist und wir dadurch einen deutlichen Anreiz bekommen, unsere Entwicklungspolitik zu hinterfragen. Leider schafft es Simone Schlindwein auch nicht, das genaue Anliegen auf einen Punkt zu bringen und am Ende ihres Buches konkrete Forderungen an die Politik zu stellen, sondern es klingt vielfach eher wie ein Pamphlet, das Öffentlichkeit generieren möchte, aber dabei nur eine Perspektive beleuchtet und nicht mehr als anklagen kann. Dass die Wilderei, die Rebellengruppen, der illegale Handel mit Elfenbein oder anderen Rohstoffen große Probleme sind, mit denen die Ranger konfrontiert sind, ist aber dennoch ein Fakt, selbst wenn es tatsächlich problematisch ist, wenn dadurch neue Privatarmeen herangezogen werden.

Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an die Evakuierung aus Kabul vor anderthalb Jahren, als die Linkspartei den Einsatz der Bundeswehr kritisierte, nur weil es die Bundeswehr war, die die Menschen aus Kabul rettete. Allein daraus wurde schon eine Militarisierung abgeleitet, die jedoch den humanitären Aspekt vernachlässigte. Ähnlich fühlen wir uns nach Simone Schlindweins Der grüne Krieg, das wie gesagt ein wichtiges Thema in die Öffentlichkeit rückt, aber dabei doch sehr einseitig bleibt.

HMS

Simone Schlindwein: Der Grüne Krieg – Wie in Afrika die Natur auf Kosten der Menschen geschützt wird – und was der Westen damit zu tun hat; März 2023; 256 Seiten; Klappenbroschur; ISBN 978-3-96289-188-6; Ch. Links Verlag; 20,00 €

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert