Regen, Nebel, Wind und schlechtes Wetter. Nicht gerade die schönsten Bedingungen, für die Schottland bekannt ist. Und doch hat das Land seinen ganz besonderen Reiz. Noch einmal extremer ist das allerdings auf den vorgelagerten Inseln, den Orkney- und vor allem den weit in der Nordsee gelegenen Shetlandinseln.
Die kleine Inselgruppe ist für ihr raues Wetter bekannt. Aber wer dort geboren ist und sein Leben verbracht hat, kann sich möglicherweise keine schönere Heimat vorstellen. So wie ein Mann namens Ivar, der im Sommer 1843 von seiner Insel vertrieben werden sollte. Der presbyterianische Pfarrer John Ferguson wird von ihrem Besitzer auf die Insel geschickt, um diese undankbare Aufgabe zu übernehmen. So die Ausgangslage in Carys Davies‘ Roman Ein klarer Tag, der im August in der Übersetzung von Eva Bonné im Luchterhand Literaturverlag erschienen ist.
Skump
Ivar ist der letzte Bewohner, nachdem der Rest seiner Familie bereits vor langer Zeit verhungerte oder an andere Orte hin umsiedelte. Mit der zunehmenden Industrialisierung soll das bislang wilde Eiland aber nun wirtschaftlich besser genutzt werden – und Ivar zwangsumgesiedelt, sein spärliches Vieh getötet.
John Ferguson, dessen Gattin Mary nach seiner Abreise ein schlechtes Gefühl ereilt, ist vor allem mit erster Aufgabe betraut nähert sich Ivar ungeplant an und… sagen wir, er zieht eher ungeplant direkt zu Ivar. Etwa einen Monat hat er Zeit, Ivar zu überzeugen, aber auch wenn der Einsiedler den Hintergrund und Zweck des Besuchs erahnen kann, lässt John Ferguson ihn (zu) lange im Unklaren…
Flingaso
Die Abgeschiedenheit hat Ivar zu einem Eigenbrötler gemacht. Es ist Jahre her, dass er anderen Menschen begegnete. Seine Insel bewohnt er mit seinem Pferd, einer blinden Kuh, ein paar Hühnern und einer Vielzahl von Papageientauchern. Als er auf John Ferguson trifft – und ein Bild von Mary, das dieser bei sich trägt – scheint seine ganze Existenz auf dieser abgeschiedenen Insel mit Heidekraut und Moor über den Haufen geworfen zu sein.
Und auch der Pfarrer muss feststellen, dass er die Hintergründe seines Auftrags zunehmend hinterfragt. Ja, er braucht das versprochene Geld, um Mary ein gutes Leben zu bieten und seine Kirchengemeinde aufzubauen. Aber ist der Preis, einem Mann sein Zuhause zu nehmen, nicht zu groß dafür? Einem Mann, zu dem er nach und nach eine immer innigere Beziehung aufbaut…
Mirkabrod
Es sind diese und noch viele weitere Fragen, die uns in Carys Davies‘ verhältnismäßig kurzem Buch begegnen. Immer im Wechsel zeichnet sie Ivars, John Fergusons und manchmal auch Marys Gedanken nach. John nähert sich nicht nur Ivar an, sondern auch der namenlosen Insel, ihrer Wildnis und ihrer rauen Schönheit. Ivar bringt ihm Teile seiner heute ausgestorbenen Sprache, des Norn, bei. Ein Wörterbuch, das der Autorin in die Hände fiel, inspirierte sie zu dieser Geschichte.
Eine Geschichte, die voller Romantik und Poetik steckt, die uns die karge Natur der wetterumtosten Insel näherbringt, aber sich eben auch mit den größeren, existenziellen Fragen auseinandersetzt, die bereits beschrieben wurden. Einer Geschichte, die ihre Leser*innen in einen Sog versetzt, wie es sonst eher Strudel oder Gezeiten vermögen.
Ein klarer Tag ist eine einnehmende Erzählung, die uns noch einmal innehalten lässt in dem Moment, bevor eine Umwälzung oder sogar eine Zerstörung bevorsteht. Diese kann einfach nur in einem Wetterumschwung bestehen, einem aufziehenden Gewitter. Oder eben in einer gewaltsamen Vertreibung aus der Heimat. Ein Buch, das gerade an grauen Herbstnachmittagen und in der kommenden Winterzeit für fesselnde Unterhaltung sorgen kann.
HMS
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Cary Davies: Ein klarer Tag; Aus dem Englischen von Eva Bonné; 224 Seiten; Hardcover, gebunden mit SU; ISBN: 978-3-630-87770-9; Luchterhand Literaturverlag; 24,00 €
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