Carrie Bradshaw mit Mistgabel

Homosexualität und Queerness auf dem Land — in Deutschland ist das vielfach immer noch ein Problem. Die Schauspielerin Maren Kroymann beklagte vor zwei Jahren, dass es Dörfer in Brandenburg gebe, in denen Homosexuelle nachts nicht auf die Straße gehen könnten, ohne sich in Gefahr zu begeben. Und Bayern vermeldete Anfang März, dass die Zahl homo- und queerfeindlicher Gewalttaten zuletzt stark angestiegen sei. Vielleicht hat auch das dazu beigetragen, dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Mitte März bekanntgab, dass er einen Landesaktionsplan für queeres Leben in Bayern befürworte. Bayern ist bislang das einzige Bundesland ohne einen solchen Plan.

Auch ich, ein Kind aus einer Arbeiterfamilie im ländlichsten Oberbayern, weiß, wie heikel das Thema an vielen Orten noch immer ist. Umso wichtiger, dass gerade in solchen Gegenden Queerness als „Normalität“ präsentiert wird. Das scheint die ebenfalls aus Bayern stammende Journalistin und Autorin Simone Bauer genauso zu sehen, weshalb ihre Geschichte Hinterm Großstadtdschungel links – Aus dem Liebesleben einer Kleinstadtpflanze in einer ähnlich ländlichen Gegend spielt.

Liebessuche in der Kleinstadt

Ihre Protagonistin Fredi – eigentlich Frederike – ist Redenschreiberin und PR-Referentin des Bürgermeisters von Blumenbad, einer kleinen Stadt in der Grenzregion von Niederbayern und der Oberpfalz. Ländlicher geht’s kaum. Mit ihrem Job ist sie nur so halb zufrieden und mit dem Dorfleben hat sie sich arrangiert. Sie mag es in ihrer Kleinstadt, in der jede jeden kennt und das Wirtshaus deftige bayerische Kost auf den Teller bringt (auch wenn der Name Barbados absolut nicht in die Gegend passt – was wiederum doch arg nah an der Realität liegt). Die lesbische Inhaberin Vroni sowie Fredis Ex-Freundin und jetzt beste Freundin Kati geben ihr aber ein stabiles soziales Umfeld, das dem traditionellen Stammtisch in nichts hinterherhinkt.

Nur das Liebesleben ist eine große Baustelle. Die Richtige wollte sich noch nicht blicken lassen, bis Sandra auftaucht, die ein Haus in Blumenbad geerbt hat und als Künstlerin bislang ein ganz anderes Leben in München und der Welt führte. Ob ihr Lebensstil zwischen Ausstellungen und Edamame jedoch zu Schweinebraten und Bolzplatz in Blumenbad passt, ist die Frage. Zumal auch die örtliche Polizistin Bri offenbar wieder auf dem Markt ist, die bereits seit Langem ein heimlicher Schwarm Fredis ist.

Queerness in der „Provinz“

Gemeinsam mit ihren Freundinnen in verschiedenen Beziehungsstufen manövriert sich Fredi also durch den manchmal tristen, manchmal hoffnungsvollen und manchmal erstaunlich aufregenden Blumenbader Alltag. Dabei zeigt sie sich stets als Verfechterin queerer Rechte und Repräsentanz, auch wenn sie es in der Provinz nicht immer leicht damit hat.

Ob es der örtliche Diskobetreiber ist, der keine Queer-Party nicht in seinem Club möchte oder der Bürgermeister und die Ratsmitglieder, die Fredis Homosexualität und Queerness nicht nur im Verborgenen verurteilen, als queere oder lesbische Frau hat mensch es in der Provinz nicht leicht. Dass Fredi dennoch so souverän damit umgeht (und dennoch manchmal an ihren Mitmenschen verzweifelt), macht sie zu einer sehr sympathischen Protagonistin. Und nur dadurch kann langfristig auch queere Repräsentanz und Akzeptanz in der Fläche erreicht werden.

Autobiografisch und facettenreich

Dazu kommt, dass uns Fredi als eine Figur präsentiert wird, die vieles mag, was in der öffentlichen Wahrnehmung (und stereotyp) oft eher Frauen und Mädchen zugeschrieben wird. Klamotten und Schmuck und eine gewisse Achtsamkeit für den eigenen, weiblichen Körper. Gleichermaßen erleben wir Fredi als zupackend, burschikos, Schnitzel essend – also Punkte, die vielfach auch eher männlich gelesenen Figuren attribuiert werden.

Das deutet auf zwei Dinge hin: erstens auf viele autobiografische Züge in Hinterm Großstadtdschungel links. Interessierte Leserinnen und Leser können die Autorin Simone Bauer in einer recht unterhaltsamen Woche der VOX-Serie Shopping Queen erleben und dort viele Züge wieder erkennen, die wir auch bei Fredi finden. Zu einem nicht ganz niedrigen Grad scheint Bauer, die sich selbst als „Lesbian Carrie Bradshaw“ beschreibt, bei der Figur Fredi bei sich selbst und ihrem Leben Anleihen genommen zu haben.

Zielgruppe: jüngere Frauen mit nicht-heteronormativer sexueller Identität

Zweitens ist das die mögliche Zielgruppe. Mit all den Erfahrungen Fredis, die Simone Bauer in ihrem Roman schildert, scheint sie auf ein recht bestimmtes Publikum zu zielen: jüngere Frauen, die sich vielleicht ihrer sexuellen Orientierung und Identität nicht sicher sind (oder das doch sind, es aber nicht dem heteronormativen „Normalbild“ entspricht) und die eben nicht in den großen, anonymen Städten Berlin, Köln oder Frankfurt leben.

Natürlich gibt es Queerness auch auf dem Land, wieso sollte es das nicht? Nur ist das Leben dort für queere Menschen wegen Ressentiments und Vorbehalten eben nicht sehr leicht. Gerade solchen Menschen aber – und vor allem Frauen – dürfte Simone Bauers Roman ein wenig Mut geben und allein vom Schreibstil her dürfte Hinterm Großstadtdschungel links genau eine solche Zielgruppe ansprechen – zumindest wenn ich diese Zielgruppe aus meinem persönlichen Umfeld als Maßstab nehme.

Anspielungen und Auskünfte

Und auch die vielen popkulturellen Referenzen an lesbische und nicht-lesbische Filme, Bücher und sonstige Gegebenheiten gewähren uns einen anregenden Einblick in das Leben der Hauptfigur. Gleichermaßen ist gerade bei der sprachlichen und erzählerischen Ausgereiftheit noch deutlich Luft nach oben vorhanden. Wir können Fredi in ihren Erlebnissen und Gedanken zwar sehr gut folgen, aber manchmal ist sie doch ein Stück zu auskunftsfreudig und manchmal ist der Humor – sorry to say – sehr platt.

Auch wenn es zu schätzen ist, dass Situationen und Gedanken ausführlich beschrieben sind, aber manchmal zeigt sich der Wert guter Literatur eben auch darin, wo die Fantasie noch freien Lauf hat. Gekonntes Weglassen von Passagen oder den Punkt an der richtigen Stelle zu setzen, ist eine gewisse Kunst für sich. Manchmal sind nette Zweideutigkeiten eben gerade das Schöne an Literatur, auch wenn sie eher seicht ist.

Es fehlt ein Sensitivity Reading

Eine Stelle allerdings geht leider gar nicht. Hier zeigt nicht nur Fredi, sondern auch Simone Bauer eine deutliche kulturelle Unsensibilität, die vielen Leserinnen und Lesern sauer aufstoßen dürfte. So wie wir die Erzählweise der Geschichte und die Zeichnung der Figuren verfolgt und Simone Bauer in der bereits genannten Shopping Queen-Woche erlebt haben, würden wir auf keinen Fall unterstellen, dass ihr dieser Fehler bewusst unterlaufen ist – ganz im Gegenteil.

Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass sie sich nicht bewusst ist, dass die betreffende Stelle für betroffene Personen verletzend sein kann. So kritisch wir dieses Instrument sonst manchmal sehen, ein gutes Sensitivity Reading oder ein bewussteres Lektorat durch den herausgebenden Butze Verlag hätte diesen Fauxpas vermeiden können. Und ich will auch sagen, vor fünf oder zehn Jahren hätte ich die entsprechende Passage vielleicht selbst so geschrieben, aber wenn wir heute über koloniales Erbe, Rassismus, sexuelle Vielfalt und Akzeptanz oder andere die Debatte beherrschende Punkte sprechen, dann kann eine solche Passage leider heute nicht mehr so verfasst werden.

Niedrigschwellige queere Sichtbarkeit zwischen Buchdeckeln

Jenseits dieser Problematik aber ist Hinterm Großstadtdschungel links ein Buch, das queeres Leben auf dem Land behandelt, es als „Normalität“ darstellt und ihr die dringend notwendige Sichtbarkeit gibt, derer sie dringend bedarf. Simone Bauer hat einen Roman verfasst, der wohl an vielen Stellen autobiografische Züge trägt und somit vielen jungen und auch nicht mehr so jungen Frauen aus der Seele sprechen dürfte.

Gerade die vielen popkulturellen Anspielungen geben einen schönen Einblick in das Seelenleben der Hauptfigur Fredi. Aber so nett die Geschichte auch ist, um große Literatur handelt es sich dennoch nicht, gerade wenn es um das Spiel mit der Fantasie der Leserinnen und Leser geht. Das ist aber in Ordnung, denn gerade dadurch ist Hinterm Großstadtdschungel links ein niedrigschwelliges Buch, das lesbisches Leben auch in der Provinz sichtbar macht und als vollkommen „normal“ darstellt.

HMS

Simone Bauer: Hinterm Großstadtdschungel links; Juli 2022; Taschenbuch; 176 Seiten; ISBN 978-3-940611-71-0; Butze Verlag; 14,95 € (ebenso als eBook und Hörbuch, gelesen von Svantje Lund, verfügbar)

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