„Wer nie auf (Chem-)Sex-Partys unterwegs war, erfährt hier, wie sie sich anfühlen, wer schon, wird sich in Firths Bilderwelten unweigerlich wiederfinden“, heißt es in der verlagsseitigen Beschreibung zu Ed Firths melancholisch gedrücktem Comic Horny & High, Vol. 1. Das trifft wohl zu. Den ersten Punkt weiß ich zu bestätigen, den zweiten ein Kollege, der diese Erfahrung seinerseits nicht gemacht hat und nun erst recht nicht plant, dies nachzuholen.
Horny & High, Vol. 1, erschienen im vergangenen Winter im renommierten Männerschwarm Verlag, ist die erste Veröffentlichung des im Osten Londons lebenden Comic-Künstlers Firth, zu der es möglicherweise ohne ein gewisses Zutun des deutschen Comic-Künstlers Ralf König nicht gekommen wäre. So deutet es sich in dessen lesenswertem Vorwort jedenfalls an. (Auf einer Illustration Königs begegnen wir zum Einstieg übrigens noch dem guten, alten, versauten Paul…)
In diesem erwähnt er auch Ed Firths POUND SHOP – Heftchen voller Illustrationen, erschaffen und veröffentlicht in Eigenproduktion, fand König diese zwar interessant, doch ließ er sein Exemplar zuerst liegen. Dies nicht, weil sie ihm nicht gefallen hätten, sondern da sie ihn wortwörtlich nicht ansprachen. Zunächst fehlten König die Sprechblasen. Gut, dass die deutsche Homo-Comic-Ikone diese Irritation zu überwinden wusste.
Denn Ed Firths Comic gehört optisch wie erzählerisch nicht nur im Subgenre queerer oder schwuler Comics mit zum Besten, das ich seit geraumer Zeit in der Hand hielt. In drei Geschichten, von denen zumindest die ersten zwei miteinander verknüpft sind, wirft er einen authentischen, ungeschönten gleichwohl ansprechenden Blick auf die schwule Dating- oder Sex- und Cruising-Szene. Was in Horny & High, Vol. 1 Programm ist, verraten nicht nur der selbst für englischfremde Personen selbsterklärende Titel sowie Cover- und Buchrückenabbildung, sondern auch die Grindr-Illustrationen auf dem Vorsatzpapier.
In der ersten, sehr kurzen und doch eindrücklichen Story namens „Nachtbus“ folgen wir dem Protagonisten Stu, der auf einer Party seinen Ex wiedersieht, mit dem sich alle bestens verstanden: „Scheißegal was er mit mir abgezogen hat.“ Einen Neuen hat der längst. Also tut Stu das einzig Vernünftige und säuft sich in einen Filmriss. Auf chaotischer Nachtbusfahrt nach Hause trifft er schließlich auf Greg, der ihn einsammelt und ihm für eine kurze Zeit so etwas wie Geborgenheit gibt. „Und wer weiß, ob es mich noch gäbe – ohne Menschen wie Greg“, endet „Nachtbus“.
Herbe Pointe. Und doch eine, die so einigen nicht unbekannt sein dürfte. Jedenfalls ich kenne das Gefühl, nach einer nicht aus fröhlichen Gründen durchsoffenen Nacht mit anschließendem Katerfick und manch vergessenem Moment, irgendwie lost zu sein. Und bumms (ohne wumms), hinterfragst du dein halbes Leben, diverse Entscheidungen, Verhältnisse etc. pp. (Wenn es bei mir auch nie so unaufgeräumt aussähe wie bei Stu. Leid und Selbstmitleid nur in aufgeräumten Verhältnissen bitte.)
Womöglich hilft da nun also eine (Sex-)Chill-Out-Party…?! So kommen wir zur zweiten und längsten Geschichte in Horny & High, Vol. 1 – „Chill-out“. Statt zur Arbeit, entscheidet Stu sich auf ein „chillout in chiswick“ zu gehen – „drogen vorhanden. brauchst hier nur gute laune mitbringen“, schreibt da ein User namens „Tina G“. User dann wohl also mit Mehrfachbedeutung.
Angekommen auf der Party heißt’s erstmal Meph, dann bis auf Slip und Socks Klamotten aus und chillen. Die farbintensiven, dabei jedoch schattigen oder eher halbdunklen Bilder Firths geben perfekt die sowohl rastlose wie auch irgendwie trübe Stimmung einer bereits seit mehreren Tagen andauernden (Chem-)Sex-Party wieder. „Manche hier übertreiben’s einfach, ich bin ja erst seit Freitag dabei“, erfährt Stu von Tina G aka Sergio, den er später noch mit zu sich nach Hause nehmen wird.
Zwischen einem Porno, der wohl schon viel zu lange in Wiederholungsschleife läuft, wird gevögelt (was Firth uns unmissverständlich jedoch nicht voyeuristisch zeigt) , (vermeintlich) gepennt, einander beleidigt (der Gastgeber, Typ: reicher, nicht mehr ganz junger Sohn mit Eigentumswohnung ohne Freunde, dafür mit sorgsam gepflegter Arschloch-Attitüde, jedenfalls bis… ach, das seht ihr dann selbst) und natürlich reichlich Meph und Meth, G und Keta sowie Poppers genommen.
Diese ganze Party-Situation ist auf der einen Seite bitter abstrus, auf der anderen eben arg realistisch. Wenn meine Erfahrungen sich zwar eher auf Twink-Clean-Cut-Et-Al.- als auf Bear-Sex-Partys beziehen – die Unterschiede in Bezug auf den Umgang mit Substanzen und einander dürften marginal ausfallen.
„Ed schert sich nicht um geschmäcklerische Gefälligkeit an der schwulen Oberfläche“, schreibt Ralf König treffend. Und weiter: „Er zeigt in Text und Bild, was passiert, wenn die Lust am Sex in Zusammenhang mit berauschenden Substanzen zur Sucht wird.“ So ist dem. (Manch einen hat mensch da schon solide abstürzen sehen; letztlich heilfroh, selber nicht in der Form in diese Sucht zu driften. Gibt ja noch genug andere.) Firth schafft es mit seinem Zeichenstil, uns in die Story zu ziehen, so unangenehm sie stellenweise sein mag – allerdings ohne jeden erhobenen Zeigefinger arbeitend, sondern immer nur darstellend, was ist – und hat dazu ein perfektes Timing für dialogfreie Stellen wie auch jene Momente, die Stu aus dem Off kommentiert.
Genau wie „Nachtbus“ endet auch „Chill-out“ mit einer sorgenvollen Pointe, die manch eine*r sich ohnehin auszumalen vermag. Im dritten Aufschlag mit dem klangvollen Titel „🎵“ wird gecruist. Die kurze, in einem sich von den ersten beiden Geschichten in der Farbgebung stark unterscheidenden Stil gehaltene Story greift etwas auf, das sich schon beinahe ironisch von „Nachtbus“ und „Chill-out“ ausnimmt. Hintergründig bleibt aber auch diese Geschichte allemal und mag erneut manchen bekannt vorkommen.
So werden wir in diesen drei fiebrigen Bildgeschichten, die, wie Ed Firths Arbeiten überhaupt, auch semi-autobiografisch geprägt sind, durchaus mit uns selber konfrontiert. Wie auch mit „all den hässlichen, verführerischen, faszinierenden Wahrheiten schwuler Männer“, wie Firth es selbst ausdrückt. Seine Figuren, die, so der Verlag, „dem Autor gleichermaßen als Alter Ego und als Projektionsfläche dienen – ein Balanceakt zwischen Authentizität und Selbstentblößung“, können uns bekannt vorkommen.
Ob nun aus dem eigenen Sein und Selbst, der Umgebung, einer fernen Erinnerung oder Erzählungen. Ob nun in der Groß- oder Kreis- oder Kleinstadt. Dank Internetz hören wir doch eh alles und dank Deutschlandticket ging’s doch sowieso zu jedem CSD, jeder Lab.oratory-Party in Berlin oder jederzeit in den S.L.U.T. Club in Hamburg. Um keinerlei Bezug zu Horny & High, Vol. 1 zu haben, muss mensch als Schwuler schon unter einem Mormonen-Stein im Mecklenburger Outback gelebt haben.
Auf den starken, unangenehmen, ehrlichen, expliziten und visuell imponierenden Comic-Band Horny & High, Vol. 1 folgt, ihr ahnt es, das Vol. 2, das in diesem Sommer erschienen ist. Laut Ralf König sei dieser zweite Teil „graphisch noch anspruchsvoller“. Wir werden in Kürze berichten. Zunächst einmal sei euch dieser hyperrealistische Parforceritt eines Teils schwuler Sexkultur ans Herz gelegt. Ihr werdet es nicht bereuen, es sei denn ihr seid konfrontationsscheu.
JW
PS: Apropos chaotische Nachtbusfahrt – da hätte ich eine Geschichte für euch! Hui. Dazu mehr in meiner demächst startenden Kolumne. Einfach für den Newsletter eintragen (Seitenleiste rechts) und ihr bekommt den Auftakt im Laufe des Oktobers direkt in den Postkasten.
PPS: Den Band hatte Christian Lütjens von den Salzgeber Buchverlagen bereits in der Festtagsbücherei 2023 empfohlen. Wir sind gespannt, was er in diesem Jahr aus dem Bücherschrank zaubert!
Ed Firtth: Horny & High, Vol. 1; Dezember 2023; Übersetzt aus dem Englischen von Timm Stafe, mit einem Vorwort von Ralf König; 56 Seiten, durchgehend farbig illustriert; Softcover; Format: 29,7 x 21,0 cm; ISBN 978-3-86300-363-0; Männerschwarm Verlag
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