Beitragsbild: Zum Themenabend China – Porträt einer Weltmacht aus der Dokumentation Pulverfass Pazifik: Chinas Aufstieg zur Seemacht: Die Chinesen haben in den letzten Jahren sozusagen eine unsichtbare Grenze unter der Wasseroberfläche gezogen – sieben Inseln wurden künstlich vergrößert, um Landebahnen und Militärradare darauf zu errichten // Foto: ARTE France/© CSIS
Russland bedroht durch Putins Angriffskrieg auf die Ukraine seit nun fast schon drei Monaten die Art und Weise, wie wir leben und leben wollen. Jenseits dieser akuten militärischen Bedrohung gibt es aber noch einen weiteren Akteur, der Europa und unsere Freiheit zunehmend in Frage stellt: China. Nicht erst durch Corona, Beijings Agieren zu Beginn der Krise und manch industriepolitische Maßnahme ist uns zwar zuletzt immer zunehmend bewusst geworden, welche Gefahr China für uns darstellen kann, aber die so genannte russische „Sonderoperation“ lässt viel anderes leider immer wieder in den Hintergrund rücken.
arte hat sich jedoch nun dazu entschieden, dem etwas entgegenzusetzen. Im Rahmen eines Themenabends zeigt der Sender am 10. Mai drei ausführliche Dokumentationen, die sich mit dem Großmachtstreben Beijings und dessen Bedeutung auch für uns beschäftigen. Während der erste Film, Die neue Welt des Xi Jinping bereits vor einem Jahr erstmals hierzulande gezeigt wurde (unsere Besprechung findet ihr hier), handelt es sich bei Pulverfass Pazifik: Chinas Aufstieg zur Seemacht von Regisseurin Anne Loussouarn sowie Chinas Arktis-Feldzug von Olivier Truc um Erstausstrahlungen im deutschen Fernsehen.

Der Ansatzpunkt, beziehungsweise die Thematik sind dabei bei allen drei Dokumentationen ähnlich: Es geht darum, wie Beijing versucht, seine geopolitische Rolle zu stärken und international mehr Macht zu erlangen. Vor allem die beiden erstmalig gezeigten Filme fokussieren sich dabei auf die maritimen Aspirationen Chinas und sind thematisch zwar verwandt, fokussieren sich aber auf unterschiedliche Aspekte und vor allem Weltregionen.
Ring of Fire?
In Pulverfass Pazifik geht es vor allem um Chinas regionale Hegemonie vor der eigenen Küste. Mit Südkorea, Japan, Taiwan und den Philippinen (auf denen am 9. Mai gewählt wird) ist China mit einer Art Barriere von Verbündeten der bisherigen Weltmacht USA konfrontiert, die Chinas hegemoniales Streben im Pazifik behindern. In einem ersten Schritt zu dieser Machtposition ist Beijing daher seit einigen Jahren sehr aktiv darin, seine selbst proklamierten Ansprüche im Ost- und Südchinesischen Meer durchzusetzen – und zwar auf Kosten seiner Nachbarn und vielfach gegen internationales (See-)Recht.

Vor allem die Konflikte um die Paracel und die Spratly Islands im Südchinesischen Meer werden in Pulverfass Pazifik sehr gut illustriert. Beijing hält arme vietnamesische Fischer vor Ort mit brachialer Gewalt von ihrer Arbeit ab, schüttet Felsen im Meer zu Inseln auf und proklamiert diese als sein Territorium. Durch die so genannte Neun-Stich-Linie, eine gedachte Seegrenze, schafft China ein eigenes Narrativ, nach dem es quasi das gesamte Südchinesische Meer unter eigene Kontrolle stellen will.
Anne Loussouarn und ihr Team illustrieren trotz einiger weniger erzählerischer Schwächen gut, wie China hier machtpolitisch seine eigenen Interessen voranzutreiben versucht. Auch Taiwan, das von Beijings Machtstreben in seiner eigenen Souveränität eingeschränkt wird, könnte ein entscheidender Konflikt sein, der dank seiner Allianz mit den Vereinigten Staaten weit über das Südchinesische Meer hinaus die im Titel der Dokumentation bereits eingebettete Sprengkraft beheimatet, spielt in Pulverfass Pazifik eine bedeutende Rolle.

„Arktisnaher Staat“?
Chinas Arktis-Feldzug wiederum hingegen widmet sich wenig überraschend einer anderen Weltregion, nämlich dem hohen Norden. Mit seinem Projekt der Polaren Seidenstraße – der Österreicher Gregor Sailer hat unter diesem Titel einen spannenden Bildband zusammengestellt – versucht Beijing, seinen Einfluss und Handelsrouten in einer ganz anderen Gegend zu sichern. Auch in dieser Gegend versucht sich Beijing sein eigenes Narrativ zu spinnen und daraus Ansprüche für seinen Machtausbau abzuleiten – stets auf Kosten anderer.
China definiert sich beispielsweise als „arktisnaher Staat“, was der frühere US-Außenminister Mike Pompeo nicht fälschlich (und dennoch interessengeleitet) als eine Art Etikettenschwindel entlarvt. Gerade die Zusammenarbeit der Staaten des wenig bekannten Arktischen Rates wird in der Dokumentation sehr plastisch dargestellt. Staaten wie Norwegen oder Island oder auch das zu Norwegen gehörende Spitzbergen beherbergen dennoch einige wirtschaftliche oder wissenschaftliche Kooperationen, die als Einfallstor für andere geopolitische Interessen Chinas dienen können.

Auch in dieser Dokumentation gibt es manch erzählerische Schwäche – die einführende Geschichte um einen umgebauten Eisbrecher aus ukrainischem Bau beispielsweise ist eine nette Illustration, trägt aber zum Gesamtnarrativ der Geschichte nur in Teilen bei – aber die Informationsdichte für die Zuschauerinnen und Zuschauer ist sehr hoch.
Information und Einordnung
Die Einordnungen in diesem Film oder auch Pulverfass Pazifik durch Expertinnen und Experten wie den australischen Forscher Clive Hamilton oder auch manches Statement von aktiven oder früheren Politikerinnen und Politikern (überwiegend jedoch Männern) sind auch meist fundiert und erkenntnisreich. Dass dies auch nicht immer selbstverständlich ist, haben wir beispielsweise kürzlich in einer ebenfalls bei arte ausgestrahlten Dokumentation über das System Orbán in Ungarn gesehen. Und dass auch andere dokumentarische Formen wie Sachbücher nicht immer das halten, was ihr Titel verspricht, ist uns jüngst in einem anderen polaren Kontext leider auch erneut bewusst geworden.

Alles in allem bilden aber die beiden Dokumentationen Pulverfass Pazifik und Chinas Arktis-Feldzug in Kombination mit Die neue Welt des Xi Jinping einen gut zusammengestellten Themenabend, der uns über Beijings aktuelle Aktivitäten und Vorgehensweisen informiert. Die aggressive Außenpolitik, die China verfolgt, darf uns nicht kaltlassen und deshalb empfehlen wir diese Dokumentationen allen Interessierten.
HMS
PS: Bei Hoffmann und Campe erschien dieser Tage auch das Buch Alarmstufe Rot von Alexander Görlach, in dem sich dieser auch mit den pazifischen Ambitionen Chinas beschäftigt und auch einen Blick auf die schwierige Lage homosexueller Menschen in China zu werfen scheint. Unsere Besprechung folgt demnächst.

Themenabend China – Porträt einer Weltmacht am 10. Mai 2022 ab 20:15 Uhr auf arte:
- 20:15 Uhr: Die neue Welt des Xi Jinping; in der Mediathek bis zum 30. Mai 2022
- 21:50 Uhr: Pulverfass Pazifik: Chinas Aufstieg zur Seemacht; in der Mediathek bis zum 5. November 2022
- 22:45 Uhr: Chinas Arktis-Feldzug; in der Mediathek bis zum 5. November 2022
Pulverfass China: Chinas Aufstieg zur Seemacht; Frankreich 2021; Regie: Anne Loussouarn; Laufzeit ca. 52 Minuten; Chinas Arktis-Feldzug; Frankreich 2021; Regie: Olivier Truc; Laufzeit ca. 52 Minuten
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