Heute, an diesem 11. Januar 2025, ist der Tag des Apfels. Strenggenommen (und das gefällt sicherlich der AfD, die heute in Riesa, gelegen im sächsischen Landkreis Meißen, ihren Parteitag abhält, im Umfeld dessen mit harten Gegenprotesten und einer aufgeheizten Lage zu rechnen ist) gar der Tag des deutschen Apfels. (Danke Katzen TaschenKalender 2025 von Schöffling & Co.!)
Bunte Wissenschaft
Wir wollen das zum Anlassen nehmen, um euch flugs den ästhetischen und äußerst detaillierten, tief in die Apfel-Materie vordringenden Band Die Geschichte des Apfels. Von der Wildfrucht zum Kulturgut vorzustellen. Denn immerhin ist der Apfel „seit Langem eine der wichtigsten Früchte in den gemäßigten Zonen der Erde.“ Verfasst haben den üppigen Band der emeritierte Dozent für Pflanzenwissenschaften an der Universität Oxford, Barrie E. Juniper, und der ehemalige Leiter des Herbariums, der Bibliothek, der Kunst– und Archiv-Sammlung des Royal Botanic Gardens, Kew, David J. Mabberley (gibt es einen britischeren Namen?).
Für den Schweizer Haupt Verlag hat den reich illustrierten bzw. bebilderten Band Claudia Huber ins Deutsche übertragen. Dies dürfte insbesondere bei den sehr wissenschaftlichen, schon beinahe an Vorlesungen erinnernden ersten zwei Kapiteln „Was sind Äpfel?“ und „Ursprung des Apfels“ eine haareraufende Herausforderung gewesen sein. Was nicht etwa bedeuten soll, dass sie nicht interessant wären. Ein kleiner Brainfuck sind sie allerdings schon.
In die Apfel-Schule
Namensherkunft, chemische und biologische Zusammensetzung, Genstruktur sowie Fortpflanzungs- und Bestäubungsoptionen werden ebenso durchdrungen wie die Reisewege des Apfels zu Eiszeiten. Ja! Eiszeiten, Herrschaftszeiten! So erfahren wir, „die Gattung Malus entstand vermutlich im Tertiär im südlichen China. Sie breitete sich über einen Korridor gemäßigter Wälder bis ins westliche Europa aus.“
Durch ein Grünes Band also, das es so heute nicht mehr gibt. Stichworte: Abholzung, Bebauung, Grenzen und Länder, Mauern und Menschen. Aktuell wird der Kultur-Apfel als Malus domestica bezeichnet. Geneigte Leser*innen allerdings dürfen lernen, wie viele verschiedene Namensmöglichkeiten es gibt/gab. Je nach Genomsequenzierung, Gattungshybriden, etc. pp.
Domestifikation von Frucht und Tier
Es ist zu lesen, wie der Apfel über den turkischen Korridor in den Westen kam. Wie vor etwa 6000 Jahren der Versuch begann, Wildpferde zu domestizieren, um sie als Lastentiere zu nutzen. Ähnliches auch bei Kamelen, wenn diese wohl auch nicht zum Ziehen von Fahrzeugen mit Rädern eingesetzt werden konnten. Wir lesen etwas zur Wortherkunft von „Apfel“ und kommen, Amen, nicht ohne den einen oder anderen Blick in die Bibel aus. Adam und Eva haben sogar eine Abbildung freigegeben.
Immer wieder verbindet sich die Geschichte des Apfels auch mit anderen Malinae wie überhaupt Früchten. Etwa im Abschnitt zur Veredlung, der in archäologische Tiefen taucht und die Entwicklung der Veredlung in Europa und China kontrastiert. Im fünften, sehr, sehr ausführlichen Kapitel mit dem Titel „Der Weg des Apfels nach Westen“ verknüpfen Juniper und Mabberley dann am ehesten die Wissenschaft mit der Geografie und Kulturgeschichte.
Von der Seidenstraße zum Kupferstich
So lesen wir, dass „[d]ie älteste Erwähnung des Süßapfels in China […] aus der Zeit vor 2300 bis 2400 Jahren“ stammt. Die Entwicklung der Seidenstraße vom Tierpfad „zu einem Netz aus Handelswegen“ wird ebenso erläutert wie der Umstand, dass die Römer „klar zwischen dem importierten Süßapfel und dem einheimischen europäischen Holz-Apfel“ unterschieden.
Einhundert Abbildungen, Kupferstiche, die den Umgang mit Äpfeln zeigen sowie Karten, die die Handelswege nachvollziehbar machen, aber auch Fotografien von Gebirgen, Jurten oder gar einem Braunbären in einem Apfelbaum, sorgen für Anschaulichkeit und Auflockerung auf den 250 fürstlich bedruckten Seiten des hochwertig aufgemachten Bandes der Reihe Haupt Natur.
Wie der Handelsweg über die Seidenstraße nach und nach durch Trockenzeiten, kriegerische Auseinandersetzungen und das Erschließen neuer Handelswege zusammenbrach, wird ebenso geschildert wie die zunehmende Verbreitung in Europa und die Wahrnehmung des Apfels im Westen. Schön und recht charmant gar der Abschnitt zum „Apfel in Folklore und Erzählungen“.
Gesund und süffig
In einem leider viel zu kurzen Abschnitt zum „Weg des Apfels über die Meere“ erfahren wir von der vorbeugenden Wirkung von Äpfeln vor Skorbut, dass ‚Huntsman‘ nicht nur eine Spinne ist oder zwei Filme mit Chris Hemsworth und Charlize Theron und der ‚Golden Delicious‘ „zur meistangebauten kommerziellen Sorte in Frankreich“ wurde und womöglich gar der am häufigsten angebaute Apfel der Welt (oder der amerikanische ‚Red Delicious‘).
Im siebten und vorletzten Kapitel, das mit dem 1916 entstandenen ‚Äpfel‘ von Henri Matisse aufmacht, geht es nun „Jenseits vom Nachtisch“ um „Cider und Zieräpfel“. Neben gesundheitlichen Aspekten von Äpfeln („Eat an apple on going to bed / And you’ll keep the doctor from earning his bread“ oder einfacher: „An apple a day / Keeps the doctor away“) geht es um die Frage „Cider oder Cyder“ und welche Apfelsorten sich zur Herstellung desselben eignen. Fragen zur Herstellung wie auch diversen Konservierungsmethoden werden genauso erörtert wie der Apfelanbau.
Industrie versus Mensch
Eine kurze Zusammenfassung in Kapitel acht beginnt neben dem berühmten Gemälde ‚Der Sohn des Mannes‘, 1964, von René Magritte. Teils ernüchternd, eben da allzu zutreffend, nimmt sich das Schlusswort zur Zukunft des Apfels aus.
So werde es für einzelne Landwirte oder Gärtner immer schwieriger, Saatgut zu erhalten. Dies auch, da die „Saatgutproduktion fast aller wirtschaftlich wichtigen Getreide und Hülsenfrüchte, vieler Obstsorten und anderer Nutz- und Zierpflanzen […] der Kontrolle des Erzeugers weitgehend entzogen“ wurde. Weiters werde die genetische Basis unserer Lebensmittel immer mehr eingeschränkt. Dies durch eine „Kombination aus Grüner Revolution, agro-industrieller Kontrolle durch gentechnische Veränderungen und bürokratischen Zwang.“
So geht es also auch um Politik und Wirtschaft – im gesamten Bereich der Landwirtschaft. Allerdings trifft mensch immer mal auf „Apfelbäume unbekannter Abstammung, die sich selbst versamt haben.“ Und diese entziehen sich natürlich „der Kontrolle durch den Handel, behördlichen Druck oder den Vorstandsetagen der Agrarindustrie.“ Seufz, immerhin.
Der Apfel im Detail
Puh! Zugegeben: Die Geschichte des Apfels war keine simpel aufzunehmende, keine leicht zu verdauende Lektüre. Doch eine anregende, abwechslungsreiche, je nach Interessengebiet sicherlich an mancher Stelle redundante, an anderer gefühlt lückenhafte Erfahrung. Wer also meint hier „lediglich“ in eine bunt bebilderte (das ist diese Geschichte des Apfels durchaus), seicht zu lesende Kulturgeschichte beißen zu dürfen, ist auf dem Holzwurmweg.
Hilfreich sind in jedem Fall die die jeweiligen, gut unterteilten Kapitel einleitenden Absätze, die uns den thematischen Weg weisen. Viele Karten und Tabellen sind neben den wirklich zahlreich vorhandenen Zeichnungen und Fotografien so nützlich wie angenehm. Zwar ist der Text an mancher Stelle etwas sperrig und durchaus darf besten Gewissens bei den üppigen Informationen ausgesiebt werden. Doch ist Die Geschichte des Apfels insbesondere für naturhistorische, an der Geschichte von Handel, der Geografie Interessierte wie auch wissenschaftsorientierte Nerds und solche, die es werden wollen, eine absolute Empfehlung.
AS
PS: Vom 17. bis zum 26. Januar 2025 findet die Grüne Woche statt. Wir werden da etwas für euch vorbereitet haben.
PPS: Welt-Apfelwein-Tag ist der 3. Juni.
PPPS: Im österreichischen Verlag Kremayr & Scheriau liegt ein fabelhafter Roman von Simone Hirth mit dem einprägsamen Titel Malus vor. Worum es geht? Uhm… Eva googelt: Scheidungsberatung. Eine Review gibt es in Bälde.
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Barrie E. Juniper, David J. Mabberley: Die Geschichte des Apfels. Von der Wildfrucht zum Kulturgut; Aus dem Englischen von Claudia Huber; September 2022; 288 Seiten, 100 Abbildungen; Hardcover, gebunden; Format: 18,9 x 24,6 cm; ISBN: 978-3-258-08264-6; Haupt Verlag; 38,00 €
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