Das Beitragsbild zeigt das Buchcover vor dem Symbolbild eines Ministeriums. Es könnte der Sitz des Bundesverkehrsministeriums in der Berliner Versehrten-, äh Invalidenstraße sein… // Foto: © Hans Siglbauer
Sommer, Sonne, Spree mit Wein. Der Bundeskanzler hat Ende Juli seine erstaunlich dröge Sommerpressekonferenz abgehalten und noch ist Pause im politischen Berlin. Während im letzten Jahr eine vermeintliche Löwin die Hauptstadt in Atem hielt, ist in diesem Jahr in dieser Hinsicht kein abstruser Sommerkrimi in Sicht.
Ein Grund mehr, sich in der Sommerpause einem anderen Krimi zu widmen, nämlich einem Ministeriumskrimi. Ja, wir haben in der Tat schon viel Drama mit dieser „Fortschrittskoalition“ erlebt und zu Beginn der Sommerpause gab es noch ein kleines Skandälchen aus dem Verkehrsministerium: Ein Lobbyverband soll Termine mit Minister Volker Wissing (FDP) gegen Entgelt angeboten haben. So recht hat das zwar nicht verfangen, aber dass das Verkehrsministerium immer für eine gute oder weniger gute Schlagzeile zu haben ist, zeigen die letzten Jahre und erst am Montag ein Fünf-Punkte-Papier der Ministerpartei.
Der Bulle, dem die Politiker vertrauen
Ein Mann, der noch unter der vorherigen Merkel-Regierung hieran gewissen Anteil hatte – oder damit zu kämpfen – ist Wolfgang Ainetter. Er war Sprecher des besonders bei der heute-show beliebten Andreas Scheuer (CSU) und hat im März 2024 sein Buch Geheimnisse, Lügen und andere Währungen bei Haymon Krimi im Haymon Verlag veröffentlicht.
Hauptakteur ist hier der aus Wien stammende, aber in Berlin lebende, fiktive Polizeioberkommissar André Heidergott, der regelmäßig mit politisch heiklen Fällen im Regierungsviertel betraut wird – etwa mit dem gestohlenen E-Bike des Grünen-Politikers und heutigen Landwirtschaftsministers Cem Özdemir.
Keine Götter neben mir
Der Fall in diesem Krimi ist jedoch deutlich heikler: Hans-Joachim Lörr, höchster Beamter in einem Bundesministerium mit nicht näher definiertem Geschäftsbereich – es ist offenkundig, dass es sich um das Verkehrsministerium handelt – wird vermisst, vermutlich wurde er entführt. Lörr, der nur Tage vor seiner Pensionierung steht, hat sich viele Feindinnen und Feinde gemacht, denn er hat sich ohne Skrupel, ohne Rücksicht auf Verluste und ohne akademischen Abschluss an die administrative Spitze des Ministeriums gearbeitet.
In seinem „Giftschrank“ hat er belastendes Material über… ja, eigentlich jeden und jede. Beamtinnen und Beamte, Politikerinnen und Politiker, Lobbyistinnen und Lobbyisten. Wer etwas werden will, kommt im Ministerium und weit darüber hinaus nicht an Lörr vorbei. Und diese Macht nutzt er gnadenlos aus, seine Frau Hiltrud ist willfährige Co-Nutznießerin. Sie takten ihren Kalender nach Sommerfesten, Essenseinladungen und Lörr zeigt sich mit politischen Gefallen erkenntlich. Nicht verwunderlich daher, dass er viele Feinde hat und Heidergott mit seiner Kollegin Emily Schippmann eine Reihe von Verdächtigen in überaus umfangreichen und pikanten Ermittlungen befragen muss.
„Häcksler und Menschenfresser“
So abstrus es für Außenstehende wirken mag, aber solch ein Leben ist im politischen Berlin gar nicht einmal so abwegig, wenn auch nicht der Regelfall. Ja, die Lörrs – einigermaßen liebevoll bekannt als „Häcksler und Menschenfresser“ – treiben es mit ihrem selbst auferlegten Spardiktat sehr auf die Spitze, aber jenseits der Sommerpausen – für Menschen wie die Lörrs muss diese Zeit ein Graus sein, denn Sommerfeste oder Lobbyempfänge gibt es kaum – ist ein solches Leben tatsächlich möglich.
Diese sehr besondere Art der Freizeitgestaltung – wobei es so viel Freizeit eigentlich nicht ist, denn bei solchen Gelegenheiten werden politische und gesellschaftliche Interessen eben artikuliert und Netzwerke geknüpft – ist etwas dem politischen Berlin sehr Eigenes. Und dies, wie auch all die Fallstricke und Abgründe, die sich hier auftun, zeichnet Wolfgang Ainetter sehr realitätsgetreu und unterhaltsam nach. Wer dies nicht kennt, mag denken, dass hier ziemlich dick aufgetragen wurde, aber dem ist mitnichten so.
Storys aus der Schlangengrube
PDas politische Berlin ist eine Schlangengrube, wie schon der Hauptcharakter in Christoph Peters‘ Roman Der Sandkasten feststellen musste. Und wie mörderisch diese Grube sein kann, zeigt sich bei Ainetter auf eine sehr charmante Weise. Da Lörr so viele Menschen in deren Karriere wegen vermeintlicher Banalitäten desavouiert und ins politische Nirvana befördert hat, gibt es genügend Personen mit Tatmotiv.
Das ist raffiniert, denn es gibt Ainetter die Möglichkeit, möglichst viele Geschichten zu erzählen, die sich so oder so ähnlich auf der politischen Karriereleiter abgespielt haben mögen. Verpackt in den Wiener Schmäh des ermittelnden Kommissars sowie mit reichlich österreichischem Lokalkolorit garnierten Einsprengseln entspinnt sich hier eine Geschichte, die allerdings mehr unterhält, als dass sie wirklich spannend ist.
Kafkaeske Politpersiflage
Zugegeben, die Auflösung – das Whodunnit – deutet sich den kritischen Leserinnen und Lesern bereits früh an, überrascht nur wenig und kommt auch ein wenig mit der Brechstange daher. Und die Brechstange zeigt sich auch an manch einer eher überfrachteten Stelle. Es scheint so, als ob Ainetter jedes kleinere und größere Skandälchen der letzten zehn Jahre irgendwo erwähnen wolle.
Viele Menschen im politischen Berlin dürften sich an der Stelle angesprochen fühlen – was vermutlich eine Intention des Autors gewesen sein mag. Und dennoch fühlt sich das grotesk-humorvoll an, denn auch in diesen Momenten verbindet Wolfgang Ainetter das immer mit einer humorvollen Pointe, die Kennerinnen und Kennern des politischen Betriebs mindestens ein Schmunzeln auf die Lippen zaubert, manchmal auch einen lauten Lacher in der Bahn ausstoßen lässt.
Geheimnisse, Lügen und andere Währungen mag ein etwas sperriger Titel für eine oft subtil humorvolle Kriminalgeschichte sein, die jedoch meist hinter die humorigen und teils kafkaesken Elemente zurücktritt. Dieser Ministeriumskrimi ist eine abstruse Persiflage auf den Betrieb im politischen Berlin, die in dieser Bubble mit Freuden gelesen werden und nicht nur außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings manchen ein Stirnrunzeln aufs Haupt zaubern dürfte.
HMS
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Wolfgang Ainetter: Geheimnisse, Lügen und andere Währungen. Ein Ministeriumskrimi; März 2024; 320 Seiten; Paperback; ISBN: 978-3-7099-7960-0; Haymon Krimi im Haymon Verlag; 13,95 €
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