Der Wahnsinn um Blut und Ehre

[Beitragsbild: Hanno aka Lucius Verus (Paul Mescal) und Stiefpapa General Acacius (Pedro Pascal) begegnen sich in der Arena des Kolosseums // © Paramount Pictures Germany]

Wir merken es: Das Ende naht! In diesem Fall nicht nur das (womöglich) politische Karriereende des Olaf Scholz, das Ende der USA als Demokratie, wie wir sie kennen, oder das Ende der aktuellen Verteidigungsmöglichkeiten der Ukraine gegen den russischen Aggressor Wladimir Putin. Nein, wir meinen das nahende Jahresende.

Spitzname: Winterkino

Woran wir das feststellen? Dem Kino wie auch an manchen Streaminganbietern. Bald startet auf RTL+ die vierte und finale Staffel der Sisi-Serie und Netflix bringt die zweite Staffel der (besseren) Sissi-Serie namens Die Kaiserin an den Start. Ebenso: Jahresend-Blockbuster und „freche“ deutsche Komödien. Das mäßig unterhaltsame Weihnachtsbonbon Red One – Alarmstufe Weihnachten ist schon am Start. Ebenso die Möchtegern-Politisch-Unkorrekt-Sein-Versöhnungs-Komödie Alter weißer Mann mit dem immergleichen Jan Josef Liefers, der bald Der Vierer sowie der dritte Teil von Sönke Wortmanns Namensfilmen, Der Spitzname, folgen (beide übrigens mit Florian David Fitz).

Paul Mescal als Hannao aka Lucius in Ridley Scotts Gladiator II // © Paramount Pictures Germany

Zunächst aber kracht und knackt, spaltet und spritzt es solide in unseren Kinos. Das nicht etwa, weil eine Kinky-Love-Story explizit erzählt würde. Dafür aber fallen die Gladiators und Emperors (und solche, die es werden wollen) ein und über uns her. Ridley Scotts Gladiator II startet am morgigen Donnerstag im Kino und gibt den Zuschauer*innen, was sie an grauen, kalten Tagen schätzen mögen: Bombastische Action, spektakuläre Kämpfe, eindrucksvolle Kulissen und Kostüme sowie eine Geschichte, die sich verschachtelt gibt, im Kern aber recht simpel ist. Rache.

Bekannt aus Teil eins: Connie Nielsen als Lucilla und Derek Jacobi als Senator Gracchus // © Paramount Pictures Germany

Alldem hilft es, dass das Drehbuch von David Scarpa, das sich an einer gemeinsam mit Peter Craig entwickelten Storyline orientiert, uns zwar nicht unnötig herausfordert oder allzu viel Figurentiefe vorgaukelt, allerdings auch nicht für dumm verkauft. Stellenweise ist es erstaunlich witzig, manchmal gar gewitzt und nicht selten kurzweilig. Hier und da sprüht das Pathos ähnlich üppig wie an mancher Stelle das Blut. So etwas mag aber zu Schlacht-und-Rache-Filmen gehören, wie die Kettensäge zum Massaker.

Namensdichte wie in Krimis aus Londinium

Sechzehn Jahre nach den Ereignissen des ersten Films lebt Lucius (Paul Mescal), der auf die Flucht geschickte Sohn des toten Gladiator-Helden Maximus (ein gewisser Russell Crowe), gemeinsam mit Gattin Arishat (Yuval Gonen) im nord-afrikanischen Numibia. Plötzlich wird es laut, denn es naht eine römische Flotte, die dazu bestimmt ist, im Auftrag der jungen und verrückten Kaiserbrüder Geta (Joseph Quinn) und Caracalla (Fred Hechinger) eben jenes Gebiet einzunehmen und dem failing Rome Untertan zu machen. Umsetzen soll dies der General und Feldherr Marcus Acacius (Pedro Pascal).

Held. lass dich feiern: General Acacius (Pedro Pascal, m.) wird dem Volke von den Kaisern Caracalla (Fred Hechinger, l.) und Geta (Joseph Quinn, r.) vorgeführt // © Paramount Pictures Germany

Gesagt, getan. Wenn auch irgendwie widerwillig, wie wir mehr als nur einmal vermittelt bekommen. Die Kaiser allerdings sehen nur zu gern dabei zu, wie Acacius das Reich für sie erweitert. Immerhin gestatten sie ihm dafür ein Leben in Luxus mit Gattin Lucilla (Connie Nielsen), die wiederum Ex-Geliebte von Umstürzler Maximus und Mutter des flüchtigen und/oder totgeglaubten Lucius Verus ist. Der möglicherweise Ansprüche auf den Thron anzumelden wünschen könnte

Scheming and dreaming: Denzel Washington als Macrinus // © Paramount Pictures Germany

Ob er das tun wird? Hmm… Jedenfalls landet er in dieser sandigen Sandalen-Soap als Gefangener, Sklave, Barbar (übrigens die Serie Barbarians immer noch nicht gesehen, ich höre so viel Unterschiedliches darüber) in Rom. Dort verbeißt er sich prompt in eine wunderbare CGI-Prügelei mit einem Pavian, was den Gladiatoren-Manager Macrinus (Denzel Washington) seinerseits prompt in den Bann schlägt und ihn sich kaufen lässt (nebst einiger anderer Barbaren).

Hanno Wutgenstein

Macrinus ist begeistert von der Wut, die Hanno aka Lucius (was bis hierhin noch keiner weiß) im Herzen trägt. Davon wie diese aus ihm heraus tropft, „like milk from a whores tit.“ (Wenn der hier wirklich großartige Denzel Washington so etwas sagt, hat das beinahe schon abartigen Stil. Für ihn dürften eine Golden Globe– wie Oscar-Nominierung sicher sein.) Lucius lässt sich auf den Deal ein, dass er für den ambitionierten Marcinus solide kämpft, dafür früher oder später den Kopf Acacius‘ ernten wird. (Somit den des Stiefvaters, war er hier aber ebenfalls nicht weiß. Rom und Shakespeare, wunderbar!)

Diese Wut in ihm: Lucius kämpft für Rache, den Traum von Rom, Freiheit und das Leben (und veröffentlicht bald ein Schlageralbum?!) // © Paramount Pictures Germany

So wird also gekämpft und intrigiert. Gestritten und gemeuchelt. Verrat lauert an beinahe jeder Ecke in diesem Spiel um den Thron. Jedenfalls für all jene, die nicht in Zellen untergebracht sind, wie es scheint. Das ist auf die Dauer von soliden 140 Minuten zuweilen redundant. Allerdings schaffen Ridley Scott und David Scarpa es zumeist, die Wechsel von story-/handlungs-treibenden Szenen und jenen, die der Action dienen, stimmig zu halten, sodass kaum Längen entstehen.

Top und Flop

Das hilft vor allem dabei, manche Logiklücke sowie die Ummodelung historischer Figuren und Ereignisse in Gladiator II weitestgehend ignorieren und somit pompöses Popcornkino sehen zu können. Dass die Besetzung größtenteils glaubwürdig (im Rahmen der Geschichte) und leistungsstark ist, hilft. Washington und Mescal allen voran. Doch auch das von Joseph Quinn und Fred Hechinger gespielte Kaiser-Duo bleibt in Erinnerung und ist herrlich dekadent und drüber – genau mein Humor.

Gleiche Ziele? Macrinus, General Acacius und Lucilla // © Paramount Pictures Germany

Connie Nielsen enttäuscht als Lucilla leider eher, was schade ist, hatte mensch sie doch als einstmals gute Schauspielerin im Gedächtnis (fairerweise sei gesagt, dass Nielsen die teils dämlichsten und kitschigsten Sätze aufzusagen hat). Pedro Pascal ist solide, kann aber mehr. In kleinen Rollen stechen Alexander Karim als Arzt Ravi, Peter Mensah als numidisches Oberhaupt, Tim McInnerny als Senator Threax sowie Derek Jacobi als Senator Gracchus, bekannt aus dem ersten Film, hervor.

Die spinnen, die Römer!

Bei allem Macho-Haudrauf-Gehabe, Nashörner-Abgestoße und Haigefütter, ist es auch fein zu sehen, wie in Gladiator II immer mal wieder eine nicht-heteronormative Komponente mitschwingt. Washingtons Macrinus wird von einem beständig bisexuellen Hauch umweht. Hechingers Caracalla ist eindeutig hart schwul oder queer, wenn das auch leider als so etwas wie „madness/sickness between his legs“ beschrieben wird. Ebenso scheint manches Kostüm Genderfluidität auszudrücken. Andererseits trugen die Herren damals im Grunde Röcke und Kleider, wie wir es heute gern in der Katholischen Kirche sehen.

Das Kolosseum – ein Haifischbecken // Foto: Paramount Pictures Germany

Die Kostüme von Janty Yates können sich ebenso sehr sehen lassen, wie die Kameraarbeit von John Mathieson und die Special Effects von Supervisor Neil Corbould so sehr, wie sich die wut-und-mut-getriebene Musik von Harry Gregson-Williams an den meisten Stellen hören lässt. Wenn’s auch hier manchmal etwas viel Pathos ist, was wiederum ausgezeichnet zur beinahe schon lächerlich symbolhaft aufgeladenen Schlussszene mit Mescal passt.

Ein besserer Scott

Ridley Scotts Gladiator II bleibt ein Ereignis in der Kinoarena. Er bringt Freude, wenn nicht allzu viel Tiefe erwartet wird. Das Verschwörungstrallala bietet einige Spannung, wenn nicht zu viel überraschende Wendung erwartet wird. Die Kämpfe bieten kreatives Schlagen und Sterben. Die Ausstattung, die Locations (gedreht wurde u. a. in Marokko, Malta und dem Vereinigten Königreich), die schiere Zahl an Statisten (um die 25 000 laut Joseph Quinn) sind überhaupt wirklich großes Kino (im Gegensatz zum erwähnten Red One sehen wir Gladiator II das Budget von etwas über 250 Millionen US-Dollar wenigstens an). In den Ausstattungskategorien dürfte es noch manch eine Nominierung geben.

Tierpflege(r) im Kolosseum // © Paramount Pictures Germany

Wunderbares Winterkino also und Gladiator II ist definitiv einer der besseren Ridley Scott-Filme. (Mir fällt es ohnehin schwer zu verstehen, warum Scott als ein so starker Regisseur gilt. Kam er doch bis auf die Ausnahmen von Alien, Blade Runner sowie Thelma & Louise selten über solides Mittelmaß hinaus, einige Male landete er weit darunter. Insofern herrscht hier Skepsis was einen dritten römischen Sauna-Aufguss angeht.)

AS

PS: Zum Thema Frauen im Römischen Reich: Im Aufbau Verlag ist kürzlich Eine Geschichte des Römischen Reiches in 21 Frauen von Emma Southon erschienen. Zwar taucht Annia Aurelia Galeria Lucilla darin nicht auf, dafür andere spannende und wegweisende Geschichten von 750 v. Chr. bis zur „letzten Römerin“, Galla Placidia, 414 n. Chr. Eine Rezension folgt in Kürze.

PPS: Am 25. Oktober 2024 ist bei Sony Music der Gladiator II-Song „Blood for Blood“ des aufstrebenden, 23-jähirgen aus Kaduna, Nigeria, stammenden Produzenten und Singer-Songwriters Godwin erschienen. Inspiriert vom Film greift der Song dieser die kraftvollen Themen Opferbereitschaft, Widerstandsfähigkeit und Erlösung auf.

Mit seiner Debüt-EP Road to Nirvana machte Godwin im März dieses Jahres von sich reden. Danach erlangte er große Aufmerksamkeit mit seiner Performance von „Home“ für COLORSxSTUDIOS, bei der er seine stimmliche Bandbreite und emotionale Tiefe unter Beweis stellte. Den kreativen Prozess hinter „Blood for Blood“ teilte Godwin in den sozialen Medien, schilderte inwieweit Gladiator II ihn beeinflusste.

Das Musikvideo ist am 4. November erschienen.

Mehr zu Godwin und seinem kommenden Album in Kürze. Den Song „Blood for Blood“ von Godwin findet ihr hier.

Gladiator II startet am 14. November 2024 im Kino.

Gladiator II; USA, UK 2024; Regie: Ridley Scott; Drehbuch: David Scarpa; Story: David Scarpa, Peter Craig; Bildgestaltung: John Mathieson; Musik: Harry Gregson-Williams; Darsteller*innen: Paul Mescal, Pedro Pascal, Joseph Quinn, Fred Hechinger, Denzel Washington, Connie Nielsen, Lior Raz, Derek Jacobi, Tim McInnerny, Alexander Karim, Rory McCann, Alec Utgoff, Peter Mensah, Yuval Gonen, u. v. a.; Laufzeit ca. 148 Minuten; FSK: 16; im Kino

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