Die beneidenswerte Freiheit zeitlich und logisch begrenzter Räume

Kürzlich, während des Oster-Wochenendes, war ich zu Freunden zum Spargel-Essen und Chardonnay-Trinken in deren West-Berliner Wohnung eingeladen und wurde dort, auf dem sonnigen Balkon, von der uns alle liebevoll bekochenden Dame des Hauses gefragt, was ich denn den Tag über so gelesen hätte. Wahrheitsgemäß antwortete ich, auf dem Weg zu ihnen in der Bahn aus der Klartext-Reihe Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten ein Buch über The Beatles gelesen zu haben. Und am Vormittag ein wenig in einem Buch der Reclam100-Seiten-Reihe über Die drei ???. Verdutzte Blicke, nicht nur von ihr, und es war den Umstehenden, mit Ausnahme meiner Begleitung, anzusehen, was sie wohl dachten: „The Beatles und Liverpool und so, okay. Aber Die drei ????“ 

Kultur- und Kultgeschichte

Nun erklärte ich kurz, dass das ein faszinierendes Büchlein nicht nur über manch einen (seltsamen) Inhalt und Fall der beliebten Buch- und Hörspielserie sowie deren Titelfiguren namens (im deutschsprachigen Raum) Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews sei, sondern auch eine hochspannende, kompakte und einladende Kultur– und Kultgeschichte. Allein schon, dass der Autor André Boße, seines Zeichens freier Kulturjournalist, Textchef des Interviewmagazins Galore und natürlich Fan der drei ???, auf der zweiten Seite auf eines der Erfolgsgeheimnisse der Reihe verweist, das so simpel wie genial ist, weiß zu erfreuen.

Dieses erklärt Boße mithilfe einem Gespräch, das er einmal mit Singer und Songwriter Tom Waits führte, in dem dieser ihm sagte, „alles, was ein Song benötige sei eine Stadt, in der er spielte, eine Person die besungen werde, und ein Wetter.“ So ist dem und so funktionieren eben auch die Folgen von Die drei ???. Und dann heißt es:

„Das Geheimnis ruft, das Abenteuer beginnt.“

In sieben Kapiteln widmet sich Boße nun diesen, teils auch seinen eigenen Abenteuer mit den Die drei ???Hörspielen und mischt dabei sehr fein die internationale Geschichte der Reihe, erläutert, warum sie gerade im deutschen Markt, mitsamt diverser Spin-Offs und viel, viel Merchandise, so gut funktioniert — und an wem das liegt —, mit seinen eigenen Positionen zur Reihe und manch persönlicher Anekdote. 

Schon im ersten Abschnitt „Dreimal Die drei ???“ ist das so. Hier begegnen wir dem Autoren in drei Lebensphasen, in denen Die drei ??? jeweils eine Rolle spielten. Diese nutzt er ebenso dazu, zu vermitteln, wie die Reihe funktioniert (durchaus mit starkem Blick auf die Hörspiele, die auch mir vertrauter sind als etwa die Bücher) und wozu sie so genutzt wird. Etwa erwähnt er eine Untersuchung vom Ende der 1990er-Jahre, laut der „das Durchschnittsalter derjenigen, die sich Die drei ??? Auf Kassette oder CD kaufen, 24 Jahre beträgt. Die Kassettenbänder sind erwachsen geworden. Aber sie bleiben ihren alten Helden treu.“

Das politische Phänomen Die drei ???

Dem ist wohl so. Auch ist es zumindest für mich leicht, auf den Zug Boßes aufzuspringen. Denn genau wie er verlor auch ich Die drei ??? für eine gewissen Zeit aus den Augen, um sie vor wenigen Jahren wieder für mich zu entdecken. Seitdem höre ich sie wieder von der ersten Folge an (die aktuellen Folgen fehlen also noch) und nutze, genau wie wohl eine Menge erwachsener Hörer*innen, die Reihe — im Wechsel mit anderen Hörspielen, mal einem Podcast wie Verbrechen von nebenan — True Crime aus der Nachbarschaft von Philipp Fleiter oder Folgen von Mord ist ihr Hobby — als Einschlafhilfe. Da bin ich definitiv nicht der Einzige. Florian Gottschick, Jahrgang 1981, schreibt in seinem neuen Roman Damals im Sommer: „Ich bin bis heute bei den Hörspielen hängen geblieben [ebenso Alf und TKKG, Anm. d. Red.]. Sie geben mir ein heimeliges Gefühl zum Einschlafen.“ 

Natürlich ist dies nicht das einzige Phänomen, das Die drei ??? generationenübergreifend und lebenslang erfolgreich sein lässt (durchaus auch mit Einbrüchen, die Boße genauso beschreibt, wie unbeliebtere Folgen, etwa alle, die mit Fußball zu tun haben). Auch geht er auf die „permanente Gegenwart“ ein, für die wir Deutschen seiner Meinung nach eine besonders große Vorliebe haben. Eine Meinung, die ich definitiv teile. Das versteht er auch gekonnt und süffisant an diversen Beispielen festzumachen. Etwa der Wieder-Hinwendung zu Thomas Gottschalk und Wetten dass..? während der Corona-Pandemie oder eben der kuschelige Kosename „Mutti“ für Bundeskanzlerin a. D. Angela Merkel.

Ein kleines bißchen Sicherheit

Damit kann ich auch auf die Überschrift zurückkommen. „Die drei ??? sind gefangen in der Dauerschleife ihrer Ermittlungen“, schreibt Boße im Kapitel „…und täglich grüßt ein neuer Fall — Geschichten aus der permanenten Gegenwart“. Und es stimmt. Passiere was wolle, von einer Entwicklung kann bei Justus, Peter und Bob kaum gesprochen werden. Sicherlich gab es einmal einen Alterssprung und nun können sie Autofahren, hatten auch mal Freundinnen (klappte in der Geschichten-Matrix nicht so, auch darauf geht der Fan-Autor ein), dürfen allein reisen etc.

Dies hat natürlich auch mit dem Älterwerden der seit Beginn beibehaltenen, berühmten und mit Live-Hörspielen Arenen füllenden Sprecher Oliver Rohrbeck (Justus Jonas), Jens Wawrczeck (Peter Shaw) und Andreas Fröhlich (Bob Andrews) zu tun. Permanente Gegenwart im doppelten Sinne quasi. Sie bietet Sicherheit, etwas Konstantes in unsicheren Zeiten. Was passiert wohl, wenn diese Sprecher sich einmal entscheiden, die Jungs an den Nagel zu hängen? Über Endszenarien jedenfalls denkt auf Boße nach. Sie sind interessant. 

Die „Hörspielkönigin“ und 

Zuvor aber feiert er noch die 1945 in Jena geborene „Hörspielkönigin“ Heideking Körting, die seit 1973 (drei !!!) die Hörspielproduktionen des Europa-Labels leitet und ohne die der große Erfolg von Die drei ??? wohl kaum denkbar wäre. Natürlich kam die Grundidee von Schöpfer Robert Arthur aus den USA und beinhaltete tatsächlich einmal Alfred Hitchcock (früher hieß es Alfred Hitchcock präsentiert Die drei ???, ein frühes Franchise der Marke, die Hitchcock nun einmal war) — doch der überbordende Erfolg und das wirkliche hohe Ansehen, den/das diese Reihe hierzulande genießt, war ihr in den USA nie vergönnt.

Körtings „Erfolgsgeheimnis“ scheint dabei so simpel wie einleuchtend und Boße fasst es so zusammen: „Hörspiele als eigenständige Gattung zu begreifen und Geschichten lebendig zu erzählen.“ Genau dies ist bei Die drei ??? der Fall, selbst bei den schwächeren Folgen. Wobei natürlich auch diese Reihe nicht vor der Tatort-Falle gefeit ist. Neulich etwa hörte ich Folge 175 „Schattenwelt“. Ein dreistündiger Dreiteiler in dem Die drei ??? zum Probestudium an die Universität gehen, an der schon Bobs Vater zeitweilig studierte. 

Eine gut aufgebaute, spannende und durchaus wendungsreiche Geschichte entspinnt sich. Nur um dann in den letzten fünf Minuten völlig in sich zusammenzufallen, weil einfach alles falsch gemacht wird, das falsch gemacht werden kann. Schlecht abgebunden sag ich mal. Es sind solche Momente, in denen ich mir wünschte, „Das Gespensterschloss“ (Hörspielfolge elf, Buchnummer eins) erneut ein erstes Mal hören zu können…

Früher war nicht alles besser

…denn in der Tat, war dies die erste Geschichte, die ich hörte. Und hui, hat die mir auf Klassenfahrt nachts auf dem Walkman gehörig Muffensausen verpasst. Was ich mochte: Grusel und Horror fand ich schon immer spannend und habe schon als Kind heimlich die verbotenen Videos geschaut. Psychologische Thriller sind auch gut. Hier lohnt sich Folge 76 „Stimmen aus dem Nichts“, in der die unnachahmliche Judy Winter als Dr. Clarissa Franklin eingeführt wird. Diese Folge ist Spannung auf allerhöchstem Niveau. Auf beide kommt natürlich auch André Boße zu sprechen.

Ebensowenig verschweigt er, wo wir eben schon bei den Anfängen der Reihe waren, dass es in früheren Folgen durchaus Problematisches gab: konstantes Body Shaming von Justus Jonas, stereotype, teilweise gar ins rassistische kippende Darstellungen von Menschen aus nicht westeuropäischen bzw. nordamerikanischen Kulturkreisen, Umgang mit Kindern, … all sowas unterschlägt der Fan Boße nicht (und fiel auch mir beim neuerlichen Hören natürlich vermehrt auf).

Hier wird es spannend sein zu sehen, ob mensch eines Tages auf die Idee kommt, diese Momente umzuschreiben, künstlich neu einsprechen zu lassen oder derlei. Etwas, das ich für unnötig hielte — Kontext und so. Aber wer weiß. Demgegenüber steht dann wiederum die Folge 101 „Hexenhandy“ aus dem Jahr 2001, die Boße treffend als „eine abgedrehte Story über etwas undurchsichtige Marketingkampagnen aus der Klingetonbranche“ beschreibt. Die Geschichte ist durchaus düster und beklemmend — am Ende lacht statt der drei Jungs die trans*-Legende und 70erDiscoQueen Amanda Lear teuflisch auf und deutet als Monique Carrera an, auf einem Jungeninternat gewesen zu sein.

Eine Besprechung. 100 Seiten

Bevor dieses Rezension nun einhundert Seiten füllt, will ich zum Schluss kommen. Meine Faszination für Die drei ??? wie auch das Büchlein von André Boße dürfte rübergekommen sein. Er vermittelt sehr kompakt vieles über diese Jungs, all die wiederauftauchenden Figuren, Mechanismen des Hörspielmarktes (spannende Rechtsstreitigkeiten die gut eine Doppelfolge füllen könnten, eingeschlossen), erklärt, warum Sexualität keine Rolle spielen darf, was es mit musikalischen Veränderungen auf sich hat, hat was zu Die drei !!! sowie Die drei ??? Kids (hier ist u. a. Jannik Schümann Sprecher) zu sagen, usw. usf. 

Gelernt habe ich dabei viel. Nicht zuletzt erneut, dass es immer wieder spannend ist, hinter die Kulissen, in den Markt und auf die Umgebung zu blicken. Als Lektürehinweis gibt André Boße am Ende von Die drei ???. 100 Seiten unter anderem zwei sehr ausführliche Bücher von C. R. Rodenwald zu eben diesem Thema an. Wer diese kennt, dürfte schon über ein breites Wissen verfügen. Doch allein der sehr persönliche Fandom-Charme dieses Reclam-Büchleins macht es zu einer Empfehlung. Ich hab’s genossen und widme mich nun, ihr ahnt es, dem Gespensterschloss.

AS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

André Boße: Die drei ???. 100 Seiten; Oktober 2022; 100 Seiten, 11 Abbildungen und Infografiken; Broschiert; ISBN 978-3-15-020670-6; Reclam Verlag; 10,00 €; Altersempfehlung: ab 10 Jahren

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