Die Medien und der Terror

Beitragsbild: Kontrollraum Jacques Lesgardes (Zinedine Soualem) Geoff Mason (John Magaro) Marianne Gebhard (Leonie Benesch) Carter (Marcus Rutherford) // © Constantin Film Verleih GmbH / Jürgen Olczyk

Tim Fehlbaum, Regie und Buch

Der Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo jährt sich am heutigen Dienstag, dem 7. Januar 2025, zum zehnten Mal. Bei dem islamistisch motivierten Terroranschlag starben ein paar der wichtigsten Karikaturisten und Zeichner Frankreichs, unter ihnen Charb, Cabu, Honoré, Tignous und Wolinski. Zwei Tage später erschoss ein islamistischer Terrorist eine Polizistin und nahm anschließend in einem koscheren Supermarkt nahe der Métro-Station Porte de Vincennes Geiseln und ermordete vier Juden. In der Folge kam es zu weiteren islamistisch motivierten Anschlägen, über zweihundert Menschen verloren ihr Leben.

Vor nunmehr fünfzehn Monaten griff die radikalislamistische Terrororganisation Hamas Kibbuze nahe der Grenze zu Gaza sowie die Feiernden des Supernova-Festival an, tötete über tausend Menschen, nahm zahlreiche Geiseln, von denen viele nicht mehr leben. Ähnlich wie manch eine*r zum Anschlag auf die Charlie Hebdo-Redaktion meinte, dass sie doch selber schuld seien, hätten sie mal keine Mohammed-Karikaturen veröffentlicht, sehen es auch einige so, dass die jüdischen Israelis es eben nicht anders verdient hätten – schließlich seien sie Besatzer, jüdische Nazis, Monster statt Menschen, etc. pp.

Geburtsstunde des medienwirksamen Terrorismus

Solche Ansichten und Stimmen wird es wohl auch am 5. September 1972 und darüber hinaus gegeben haben, als acht Angehörige der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ bei den Olympischen Spielen in München in das Wohnquartier des israelischen Teams eindrangen und elf Geiseln nahmen. Am Ende sollten alle Geiseln und fünf der Geiselnehmer tot sein. Dies nicht zuletzt auch aufgrund der Überforderung der Polizei vor Ort, die sich von der Armee Scharfschützengewehre leihen und die Funktion derselben erklären lassen musste.

John Magaro in September 5 // © Constantin Film Verleih GmbH / Jürgen Olczyk

Allerdings mag es einem erfolgreichen Einsatz hinderlich gewesen sein, dass die Terroristen das Vorgehen der Einsatzkräfte im olympischen Dorf live im Fernsehen verfolgen konnten. Denn dieser Terrorakt war der erste der Geschichte, der im TV übertragen wurde. Death TV, wenn wir so wollen. Natürlich waren viele Fernsehteams aus aller Welt vor Ort, um über die Spiele zu berichten. So auch ein Team des US-amerikanischen Senders ABC. Unter ihnen der damalige Präsident der ABC Sports, Roone Arledge (Peter Sarsgaard, Aus Mangel an Beweisen), der Head of Operations Marvin Bader (Ben Chaplin) sowie der ehrgeizige junge Producer Geoffrey Mason (John Magaro).

Tim Fehlbaum, Regie und Buch
Regisseur Tim Fehlbaum // © Constantin Film Verleih GmbH / Jürgen Olczyk

Wie das Senderteam den Anschlag miterlebt, Entscheidungen trifft, debattiert, um Übertragungsplätze streitet, ihren Vor-Ort-Reporter Peter Jennings (Benjamin Walker) entgegen polizeilicher Anweisungen nahe des Ortes der Geiselnahme „versteckt“ oder mit Hilfe der Übersetzerin Marianne Gebhardt (Leonie Benesch, Das Lehrerzimmer) illegal den Polizeifunk abhört, arbeiten Regisseur und Autor Tim Fehlbaum und dessen Co-Autor Moritz Binder in ihrem spektakulär dialoglastigen, klaustrophobischen Medien-Geisel-ThrillerDrama September 5 – The Day Terror Went Live auf, das am 9. Januar im Kino startet.

Der Wahrheit verpflichtet: Intensive Recherche

Allein schon dieser Ansatz macht den in Deutschland produzierten, englischsprachigen Film mit internationalem Ensemble (Georgina Rich, Zinedine Soualem, Corey Johnson, Marcus Rutherford, Daniel Adeosun, Rony Herman, Ferdinand Dörfler) zu etwas Besonderem. Der pulsierende September 5 ist kein klassisches Geiseldrama. Die einzigen Bilder, die wir von Geiseln wie Geiselnehmern zu sehen bekommen, sind solche aus dem Senderarchiv von vor dem grauenhaften Tag und der folgenden Nacht oder solche, die die Fernsehkameras während des Terrorakts einfangen.

Leonie Benesch als Übersetzerin Marianne Gebhardt in September 5 // © Constantin Film Verleih GmbH / Jürgen Olczyk

Fehlbaum und Team konnten im Zuge ihrer Recherche für ihre minutiöse Hinter-Den-Kulissen-Darstellung nicht nur mit einigen der noch lebenden, damals Anwesenden sprechen (wie etwa Geoffrey Mason), sondern auch das Vertrauen der ABC gewinnen und auf das Material zugreifen. So konnte das Geschehen im Control Room sehr akkurat nachvollzogen werden. Nach Klärung der komplizierten rechtlichen Lage durfte einiges Sendematerial teils gar im Film verwendet werden.

Peter Sarsgaard (Roone Arledge) // © Constantin Film Verleih GmbH / Jürgen Olczyk

Ähnlich sieht es mit dem Equipment der damaligen Zeit aus: Das Studio wurde mit Originalgeräten aus den Sechziger– und Siebzigerjahren ausgestattet, „die aus Abstellkammern von Fernsehstudios, Museen und den Sammlungen passionierter Hobbyisten stammten.“ Einige der Geräte wurden extra für den Dreh wieder funktionstüchtig gemacht. Ebenso können die Zuschauer*innen mitverfolgen mit welch händischen Aufwand Texteinblendungen erstellt wurden oder wie die 16mm-Aufnahmen vor der Ausstrahlung noch entwickelt werden mussten.

Vom Sport zur Geopolitik

Ben Chaplin als Marvin Binder in September 5 // © Constantin Film Verleih GmbH / Jürgen Olczyk

So ist alles immer in Eile. Entscheidungen, seien sie auch noch so schwierig, müssen auf den engen Fluren des TV-Studios schnell getroffen werden. (Das Studio der ABC Sports von 1972 hat Szenenbildner Julian R. Wagner anhand von Originalbauplänen reproduziert. Dabei entschieden die Macher*innen sich bewusst gegen eine in der Industrie übliche Vergrößerung oder den Einsatz von Sprungwänden. „Es sollte sich genauso klaustrophobisch wie das Original anfühlen – mit den Monitoren als einzige Fenster zur Außenwelt“, so Fehlbaum.)

Im Kontrollraum: Roone Arledge (Peter Sarsgaard), Hank Hanson (Corey Johnson), Jacques Lesgardes (Zinedine Soualem), Geoff Mason (John Magaro), Carter (Marcus Rutherford), Gladys Deist (Georgina Rich, Marvin Bader (Ben Chaplin), Marianne Gebhardt (Leonie Benesch) // © Constantin Film Verleih GmbH / Jürgen Olczyk

Immer stehen Fragen im Control Room (vor allem geäußert durch Marvin Binder). Wie jene danach, was gezeigt werden darf. Ist es in Ordnung, Informationen zu veröffentlichen, bevor diese von offizieller Stelle und mindestens zwei Quellen bestätigt worden sind? Kann, darf, eine mögliche Tötung gezeigt werden? Vor allem, wenn in den USA Angehörige der Geiseln zuschauen? Machen sich die Journalist*innen gar der Komplizenschaft mit den Tätern schuldig, wenn sie ihnen im Fernsehen eine Bühne bieten?

Jacques Lesgardes (Zinedine Soualem) und Geoff Mason (John Magaro) // © Constantin Film Verleih GmbH / Jürgen Olczyk

Wir werden in September 5 somit nicht nur Zeug*innen einer zumeist indirekt wahrgenommenen Geiselnahme. In erster Linie werden wir „mit den moralischen, ethischen, professionellen und schlussendlich psychologischen Dilemmata von Journalist*innen konfrontiert, die sich im Wechsel von Berichterstattung über Sportereignisse hin zu Geopolitischem ihrer Verantwortung erst bewusst werden.“ Treffender als Tim Fehlbaum in seinem Director’s Statement vermag ich das nicht zu formulieren.

Stressige Spannung und ein Kritikpunkt

Einziger Kritikpunkt in dem von Markus Förderer in rasche Bilder gepackten und von Lorenz Dangel mit drängender Musik unterlegten Film mag sein, dass die zumindest ethischen Fragen nach dem Handeln der Journalist*innen von den Macher*innen recht schnell abgehandelt werden. Da gibt es wenig Raum für das durchaus ambivalente Verhalten. Wie sehr sich die Verantwortung, Informationen zu vermitteln und offen zu agieren mit jener gegenüber den Senderverantwortlichen sowie Aktionären überschneiden und im Konflikt zueinander stehen, hätte stärker herausgearbeitet werden können.

Immerhin gibt es hier kein allzu pathetisches Sich-Abfeiern-Und-Auf-Die-Schulter-Klopfen wie sonst so oft in Scoop-Filmen. Angenehm auch die Laufzeit von September 5. Die neunzig spannungsgeladenen, teils atemlosen Minuten lassen keine Längen, keinen Leerlauf zu. Die Zuschauer*innen dürften so bewegt wie gestresst aus dem Saal kommen. Was hier eine gute Sache ist. Ganz wie der Film von Tim Fehlbaum, der als Bester Film – Drama für einen Golden Globe nominiert war und sicherlich auch die eine oder andere Oscar-Nominierung erfahren dürfte.

AS

PS: Beim RTL+ ist eine sehr sehenswerte Dokumentation zum Angriff auf das Supernova-Festival zu sehen. We Will Dance Again ist harter, intensiver und sehr sehenswerter Tobak. Zu finden ist sie hier (FSK: 16).

September 5 – The Day Terror Went Live startet am Donnerstag, 9. Januar 2025 im Kino.

September 5 – The Day Terror Went Live; Deutschland 2024; Regie: Tim Fehlbaum; Drehbuch: Moritz Binder, Tim Fehlbaum; Bildgestaltung: Markus Förderer; Musik: Lorenz Dangel; Darsteller*innen: Peter Sarsgaard, John Magaro, Leonie Benesch, Ben Chaplin, Georgina Rich, Zinedine Soualem, Corey Johnson, Marcus Rutherford, Daniel Adeosun, Rony Herman, Ferdinand Dörfler; Laufzeit ca. 91 Minuten; FSK: 12; Prädikat: Besonders wertvoll; Eine Produktion von BerghausWöbke Filmproduktion (Thomas Wöbke, Philipp Trauer) und Projected Picture Works (Sean Penn, John Ira Palmer, John Wildermuth) in Co-Produktion mit Constantin Film (Constanze Guttmann, Rüdiger Böss) und ERF (Christian Reitz), gefördert vom FFF Bayern, HessenFilm, der FFA, dem DFFF sowie dem BKM; im Verleih von Constantin Film im Kino

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