„O’zapft is!“, heißt es heute Mittag wieder in München. Die Wiesn wird eröffnet und in der bayerischen Landeshauptstadt wird für die nächsten beiden Wochen wieder eine Menge Flüssigkeit fließen, vor allem Bier. Das Gelage hat Tradition, der Rausch, der nicht nur die Gäste beseelt, auch, Münchenerinnen und Münchener nehmen allerdings vielfach Reißaus und vermieten ihre Wohnungen für ein paar Tage oder Wochen teuer unter.
Seit mehr als anderthalb Jahrhunderten wird dieses Spektakel nun begangen und nur wenig länger bläst der Mensch Kohlendioxid in industriell gefertigten Mengen in die Atmosphäre – welch Ironie, dass der dadurch angeheizte Klimawandel die Temperaturen steigen lässt und uns nach noch mehr kühlender Flüssigkeit verlangen lassen wird.
Der neue Durst
Die jedoch geht schleichend zur Neige. Der vergangene Winter mag einigermaßen nass gewesen sein, aber die Jahre zuvor waren trockener als die übriggebliebenen Brathendl vom Vorabend. In München wird nun der Durst gelöscht, aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass uns eine ganz andere Art von Durst schon bald und flächendeckend ereilen wird.
Wie das aussehen könnte, illustrieren die beiden Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres in ihrem Buch Durstiges Land – Wie wir leben, wenn das Wasser knapp wird, das bereits vor einem Jahr bei dtv erschienen ist. Spoiler: nicht schön und gerade diejenigen, die AfD oder BSW zuneigen, müssten sich auf etwas einstellen, das sie offenkundig nicht mögen, nämlich Veränderung.
Utopie trifft Dystopie
Anders als in ihren bisherigen gemeinsamen Büchern geht es Götze und Joeres nicht um den Gesamtkomplex Klimawandel, sondern nur um den Teilaspekt der Wasserversorgung. Diese halten wir für so selbstverständlich, dass wir nicht auf die Idee kommen, hierüber groß nachzudenken. Und auch anders als in Die Klimaschmutzlobby und Klima außer Kontrolle arbeiten sie dieses Thema nicht Schritt für Schritt heraus, sondern bedienen sich einer erzählerischen Methodik.
In Durstiges Land gibt es sechs oder vielmehr zwölf fiktive Fallstudien aus dem Jahr 2040, also seit Erscheinen etwas weniger als 20 Jahre in die Zukunft gedacht. Sechs ganz unterschiedliche Personen mit ebenso diversen Lebensverhältnissen führen uns durch ihren Alltag in einem Deutschland, das unter Wassermangel leidet. Für jede der Figuren gibt es zwei Szenarien, ein Best- und ein Worst-Case-Szenario – und somit jeweils zwei mögliche Geschichten, die über diese Personen zu erzählen sind.
Stadt, Land, Fluss, Acker, Berge
Da ist die junge Berliner Beamtin aus dem Umweltbundesamt, die einmal in einer überhitzten und einmal in einer an den Klimawandel angepassten Stadt lebt und eine Gewässerverschmutzung an der Ostsee aufdeckt. Da ist eine junge Mutter aus dem Rheinland, deren Kind vergiftetes Wasser aus einer nahe gelegenen Chemiefabrik trinkt – mal unfreiwillig, mal als Testperson für die Auswirkungen eines neuartigen Krebsmedikaments.
Da sind der Forstwirt aus dem Harz, in dem es jüngst tatsächlich brannte, und die Bäuerin aus dem Allgäu, die mit extrem trockenen Böden vor den Trümmern ihrer jeweiligen Existenz stehen oder aber Lösungen für ein lebenswertes Land unter veränderten klimatischen Bedingungen finden. Und da gibt es noch zwei weitere Fallstudien, die weitere Lebensrealitäten abbilden, die von unseren heutigen gar nicht so weit weg sind.
Plastische Sach-Fiktion
Dieser Ansatz – realitätsnahe Geschichten zu entsinnen und daraus mögliche, exemplarische Zukünfte zu entwerfen – ist spannend. Einerseits erlaubt er einen direkten Vergleich, wie ein und dasselbe Leben unter veränderten Rahmenbedingungen ablaufen könnte, andererseits sind die Geschichten aber doch so plastisch und vermittelbar, dass sich ein Großteil der Menschen damit identifizieren können dürfte.
Die Autorinnen beschreiben gut, welche Entwicklungen uns drohen, welche Maßnahmen getroffen werden müssten, um das Schlimmste zu verhindern und selbst in den Best-Case-Szenarien wird deutlich, dass sich vieles ändert. Nur werden gerade in diesen die Zuversicht und die gute Laune deutlich, die die Hauptcharaktere sowie deren jeweiliges Umfeld beseelen. Die Worst-Case-Szenarien hingegen sind von einem düsteren Trübsal geprägt. Eine gute Verbindung also von Fiktion und Sachbuch, das sich immer nah an den wissenschaftlichen Fakten hält, auch wenn es zwischen den Kapiteln sogar noch mehr Potential für subtile Querverbindungen gegeben hätte.
Kein „Gender-Gaga“, dafür Wirtschaftsbashing
Zwei Dinge gibt es an Durstiges Land dennoch zu kritisieren. Der erste Punkt mag ein Randaspekt sein, aber wo die Autorinnen bereits die Folgen des Klima- und des gesellschaftlichen Wandels einbeziehen – auch Rechtspopulismus spielt eine Rolle –, hätte durchaus ein nicht-heteronormatives Fallbeispiel gutgetan. Klar, darum geht es an dieser Stelle nicht, aber wo sechs Geschichten vereint sind und in jeder das traditionelle Familienbild in der Geschichte um die Hauptcharaktere gezeichnet wird, könnte auch Platz für eine queere Geschichte sein. Diese Chance haben die Autorinnen verpasst.
Der zweite Punkt betrifft die Darstellung der Antagonisten. Das sind in der Regel „die böse Großindustrie“ oder „gierige Reiche“, die sich mit ihren Finanzmitteln das verfügbare Wasser zum Schaden der Gemeinschaft sichern. Stimmt, das sind Dinge, die benannt werden müssen und gerade die Wirtschaft sollte sich an manchen Stellen etwas mehr mit ihrer Verantwortung auseinandersetzen. Aber gleichermaßen steht die Wirtschaft eben auch für Wertschöpfung, Wohlstand und Arbeitsplätze, ohne all das auch keine Klimaanpassung oder Bekämpfung des Klimawandels möglich sein werden.
Rich bitches
Die Darstellung bei Götze und Joeres mutet gerade mit Blick auf die Wirtschaft einigermaßen einseitig an. Das unterstreicht zwar den gebotenen Alarmismus, den das Buch auslösen soll, aber kehrt auch die Chancen und Erfordernisse einer Transformation hin zu grüner Wertschöpfung unter den Teppich.
Und was leider ein großes Versäumnis ist: Keine der Fallstudien beschäftigt sich mit einer Person aus dem Kreis „der Reichen“. Klar, diese können sich im Zweifel durch Geld mehr Wasser erkaufen, aber gerade „die oberen Zehntausend“ haben einen größeren Ressourcenverbrauch als sozial Schwächere. Hier hätte eine Fallstudie dazu beitragen können, auch bei Leserinnen und Lesern aus dieser Gruppe einen Gedankenprozess anzustoßen, denn gerade hier könnte ein Umdenken viel bewirken.
Einfach? Gibt es nicht!
Das sind einige Kritikpunkte, aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Durstiges Land von Susanne Götze und Annika Joeres ein unglaublich lesenswertes Buch ist, das völlig zurecht in der Kategorie Überraschung für den Wissensbuchpreis 2024 nominiert ist. Götze und Joeres stellen fiktive und dennoch realitätsnahe Szenarien auf, wie unser Land aussieht, wenn es unter Wassermangel leidet – und darauf deutet heute vieles hin – und welche Auswirkungen das für uns hat.
Das ist aufrüttelnd und besorgniserregend und sollte gerade unter dem Eindruck der Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen vor drei Wochen vielen Menschen, die denen nachlaufen, die einfache Lösungen propagieren, zu denken geben. Wenn auch nur die Best-Case-Szenarien eintreten, müssen wir uns auf ein wesentlich anderes Land und Leben einstellen. Aber diese Szenarien erfordern schnelles und beherztes Handeln. Der Kater nach der Wiesn dürfte nichts gegen den gesellschaftlicher Kater sein, der uns ereilt, wenn die Worst-Case-Szenarien eintreten, die die beiden Journalistinnen hier zeichnen. Brandenburg ist ein sandiges und trockenes Land – morgen wird auch dort gewählt…
HMS
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Susanne Götze, Annika Joeres: Durstiges Land. Wie wir leben, wenn das Wasser knapp wird; August 2023; 288 Seiten; Klappenbroschur; ISBN: 978-3-423-26372-6; dtv; 20,00 €
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