Ehrloses Absturzpotenzial

Beitragsbild: Richter Michael Jacobi (Sebastian Koch) nimmt Einfluss auf Kommissarin Kirchner (Ursula Strauss) // © ARD Degeto/SquareOne Productions/Mona Film/Philipp Broszsek

Achtung: Der vorvorletzte Absatz der Besprechung beinhaltet einen großen Spoiler zur Handlung. 

Die Frage, was Menschen zu tun bereit wären, um jene, die sie lieben, zu schützen, ist so alt wie spannend. Nicht umsonst ist sie auch immer wieder Fundament für Romane, Filme und Serien. So zum Beispiel der israelischen Serie Kvodo, in der der erfolgreiche Richter Micha Alkoby alles riskiert, um seinen Sohn Shay nach einem Unfall mit Fahrerflucht zu schützen. Auf Grundlage dieser entwickelten Al Munteanu, David Nawrath und David Marian die deutsche High-End-Serie Euer Ehren, mit Sebastian Koch als eben jenem Richter.

Motorräder sind gefährlich

Koch, so sagt uns das Presseheft zur sechsteiligen Serie, die in der ARD-Mediathek zu finden ist und am vergangenen Wochenende mit durchaus starker Quote im Free-TV zu sehen war, entwickelte Stoff und Rolle für die deutsche Adaption mit. Das Kernproblem bleibt dabei bestehen: Der Sohn von Richter Michael Jacobi, Julian (Taddeo Kufus), nietet einen Motorradfahrer um. Papa will natürlich das Richtige und Rechtmäßige tun und den Sohn zu einer Selbstanzeige bei der ihm (noch) freundschaftlich verbundenen Kriminalkommissarin Gabriele Kirchner (Ursula Strauss, am Karfreitag im letzten Teil der feinen Reihe Maria Theresia auf arte zu sehen, Besprechung folgt im Lauf der Woche) bringen. Doch dann stellt er fest, dass es sich bei dem komatösen Angefahrenen um Zlatan Sailovic (Niko Lukic), den Sohn des Clan-Chefs Radan Sailovic (Marek Wlodarczyk) handelt, den Jacobi zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt hat.

Jacobi (Sebastian Koch) würde für seinen Sohn Julian (Taddeo Kufus, li.) alles tun // © ARD Degeto/ORF/SquareOne Productions/Mona Film/Andreas H. Bitesnich

Selbstredend ticken solche Clans nach eigenen Gesetzen, einem eigenen Moralkodex. Jacobis Sohn wäre niemals sicher. Also macht er sich daran, die Tat zu vertuschen und verstrickt sich dabei immer tiefer in Lügen, Widersprüche und wachsende Probleme. Denn nicht nur soll Jova Sailovic (Ercan Durmaz) herausfinden, ob es sich um ein Attentat auf Zlatan handelte, womöglich im Auftrag des drogengeld-affinen Geschäftsmannes Uli Lindner (f*cking famos: Tobias Moretti), sondern es mischt auch noch Arija Sailovic (eine Bereicherung: Paula Beer) mit, die sich vorbereitet, die Geschäfte ihres Vaters zu übernehmen. 

Stimmungsvolle Atmosphäre

Ganz schön verschachtelt also alles, es kommen noch Nebenhandlungen dazu, in denen eine aufstrebende Anwältin, Lisa Schwarz (Lena Kalisch) von Jacobi gedrängt wird, den Kleinganoven Sascha Zuber (überzeugend: Jack Hofer) zu verteidigen, der durch eine mehr oder weniger unglückliche Verkettung von Ereignissen im Rahmen einer definitiv unglücklichen Verkettung von Ereignissen, als der Fahrer des Unfallwagens gilt. Oder auch nicht…

Sascha Zuber (Jack Hofer) möchte nur als Kronzeuge auspacken // © ARD Degeto/ORF/SquareOne Productions/Mona Film/Philipp Brozsek

Dinge ändern sich schnell in Euer Ehren, was die sechs Folgen perfekt für das gespannte Binge-Watching macht und für ein bis zwei durchaus stimmungsvolle Abende sorgen kann. Dazu tragen die gräulich-kalten Bilder (Kamera: Tobias von dem Borne) einer Innsbrucker Stadt-Berg-und-Tallandschaft bei, die nicht selten an Der Pass erinnern, wenn die wuchtige Bildersprache dieser Serie auch nie ganz erreicht wird; ebenso unterstützt die Musik von Enis Rotthoff den steigenden Puls der Handlug um einiges, leider aber scheint kein Soundtrack veröffentlicht worden zu sein.

Ein schauspielerisches Glanzstück

Ebenso ist das Casting bis in die kleinste Neben- und Gastrolle nahezu perfekt (auch hier begegnen wir wieder einigen Der Pass-Alumni) und trägt auch manch einen weniger gut sitzenden Dialog. Denn auf dieser Ebene holpert es dann doch an mancher Stelle, wenn auch einige sehr gut sitzende und manchmal schon bewusst ins Abstruse gehende Momente (vor allem jene mit einem Moretti, der hier glänzt und von dem wir gern auch in Kombination mit dem immer geschätzten Rainer Bock mehr gesehen hätten), das hier und da wieder ausgleichen.

Lindner (Tobias Moretti, re.) bekommt Besuch von einem Ndrangheta-Mann (Nicola Perot) // © ARD Degeto/ORF/SquareOne Productions/Mona Film/Tobias von dem Borne

Ärgerlicher ist es da schon, dass ein Richter am Oberlandesgericht mit einem Hang zum Kampf gegen das organisierte Verbrechen leider keinerlei Ahnung zu haben scheint, was so ein „Verbrechen“ eigentlich ist, wie so genannte „Ermittlungen“ laufen und was die Aufgabe von „Polizei“ ist. Ach ja, als Generalsekretär des Justizministeriums ist er auch im Gespräch. Im Presseheft wird Koch, der hier durchaus stark spielt, wenn er auch hinter manch anderer Rolle abfällt, mit den Worten zitiert, es sei ihm wichtig gewesen, „diese sehr komplexe Geschichte mit ihren vielen Wendungen und Protagonisten immer wieder auf Logik und Plausibilität zu überprüfen.“ Da fragen wir uns doch, wieso er das dann nicht auch gemacht hat.

Dafür geistige Schwächen

Es gibt kaum eine irrationale Dummheit, die Richter Michael Jacobi während seiner Vertuschungsversuche nicht begeht; er vergrößert seine Problemlage noch, weil er quasi an einer Stelle schon einmal eine große Bestechungskeule herausholt, ohne dass diese nötig gewesen wäre. Er ist überrascht, als das Fahrzeug untersucht werden soll. Er wundert sich, dass diese Kriminellen, vor denen er seinen Sohn schützen will, sich dann auch wie solche verhalten. Nebenher sind ihm Kollateralschäden egal, was fein wäre, wenn er nicht ständig so entsetzlich stupide handeln würde. 

Arija Sailovic (Paula Beer) und Onkel Jova (Ercan Durmaz, 2. v. re.) sorgen sich um den schwerverletzten Zlatan (Niko Lukic) // © ARD Degeto/SquareOne Productions/Mona Film/Tobias von dem Borne

Das führt dann auch irgendwie dazu, dass während fortschreitender Handlung das Interesse daran, ob er und sein Sohn damit durchkommen, irgendwie schwindet. Viel spannender nehmen sich da schon die Clan- und Bandenverstrickungen aus, die sich neben Arija Sailovic (übrigens soll zuerst eine andere Schauspielerin vorgesehen gewesen sein, Paula Beer sprang kurzfristig ein und das ist ein Glück) eben auf Tobias Morettis Uli Lindner, ein paar korrupte Politiker (wenn auch nur ganz am Rand) und nebulöse Italiener konzentrieren.

Es trifft schon die Richtigen…

Hier glänzt Euer Ehren, da es auch die vertikalen Verstrickungen – ein enger Freund Jacobis, gespielt von Sascha Geršak, hat beispielsweise eine recht ominöse Vergangenheit – wunderbar abbildet, zeigt, wie schnell Täter-Opfer-Verhältnisse weniger eindeutig sein können; schlussendlich ist sowieso alles eine Frage des Standpunkts. Dazu passt auch das Ende, das letztlich alle ein wenig gefickt, aber niemanden so richtig kaputt hinterlässt (außer die nicht wenigen Verstorbenen, aber die merken’s nun auch nicht mehr).

Andererseits soll dieses moralisch verzwickte Ende durch eine Wendung, die dem blödesten Tatort in nichts nachsteht, für uns tragbar gemacht werden (jetzt kommen große Spoiler, also Achtung). Der Täter, ist eigentlich der Held. Das alles war kein Unfall, es war Absicht, aber das ist okay, weil der Zlatan zuvor Mutter Jacobi vergewaltigt und sie sich einige Zeit darauf das Leben genommen hat. Zugegeben wissen wir nicht, ob es diese Wendung auch im Original Kvodo gibt, jedenfalls reißt sie hier jedes feine Charaktermerkmal, jede moralische Ambivalenz und jede interessante Debatte mit dem Arsch ein; Hauptsache wir wissen uns auf der richtigen Seite. Schließlich starben ja nur die wirklich Bösen, was?! Das ist mies. Ganz, ganz mieser Relativismus, der aber als objektiv richtig feilgeboten wird.

…und wir sind entmündigt

Dennoch sollte vielleicht eine überkandidelte Vorgeschichte zu Lindner und den Sailovics entwickelt werden; eine zweite Staffel, in der Ursula Strasser ins Duell mit Paula Beer geht, wäre sicher auch interessant. Der Richter und sein Sohn können ja Off-Screen den Belanglos-Tod sterben, zu ihnen gibt es nichts mehr zu sagen. Außer durch alle möglichen Fehler und reichlich Idiotie, bleiben sie auch durch nichts in Erinnerung.

Kommissarin Kirchner (Ursula Strauss) hat noch ein paar Fragen an Julian (Taddeo Kufus) // © ARD Degeto/ORF/SquareOne Productions/Mona Film/Andreas H. Bitesnich

Dafür gibt es genug andere Momente, tolle Schauspieler*innen, feine Bilder und ein durchaus elegantes Produktionsdesign. So kann mensch mit dieser Serie einen gewissen Spannungs-Spaß haben und sich kurzweilig und gut unterhalten fühlen. Nur den Konflikt, auf dem alles aufbaut, der darf nicht versehentlich ernstgenommen werden, denn die Macher*innen nehmen uns auch nicht ernst. 

AS

PS: Für Inszenierung und die schauspielerischen Leistungen lohnt es sich wirklich allemal, Euer Ehren zu schauen. Dafür könnt ihr euch im Grunde die dritte Staffel von Das Boot sparen, warum und wieso auch Anna Schudt als Neuzugang und das hübsche Lissabon nichts daran ändern, das lest ihr natürlich bald.

PPS: Wir werden übrigens ebenso die US-Version, Your Honor, mit Bryan Cranston in der Hauptrolle und mit Michelle und Robert King, den Masterminds hinter The Good Wife und The Good Fight, als Executive Producers schauen und selbstredend besprechen. 

Hoppala // © ARD Degeto/SquareOne Productions/Mona Film/Tobias von dem Borne

Euer Ehren ist noch bis zum 1. August 2022 in der ARD-Mediathek verfügbar

Euer Ehren; Deutschland/Österreich 2022; Regie: David Nawrath; Drehbuch: David Marian, David Nawrath; Kamera: Tobias von dem Borne; Musik: Enis Rotthoff; Darsteller:innen; Sebastian Koch, Paula Beer, Ursula Strauss, Tobias Moretti, Sascha Alexander Geršak, Taddeo Kufus, Lena Kalisch, Ercan Durmaz, Krista Stadler, Niko Lukic, Sonja Romei, Rainer Bock, Jack Hofer, Gerti Drassl, Andreas Lust, Marek Włodarczyk, Jakub Gierszal, u. v. a.; sechs Folgen à circa 44 Minuten; eine Produktion der SquareOne Productions in Koproduktion mit Mona Film im Auftrag der ARD Degeto für die ARD und dem ORF, unterstützt vom Fernsehfonds Austria und der Cine Tirol Film Commission

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