Neben der Maske ist das Klopapier bekanntermaßen zu einem Symbol der frühen Corona-Pandemie geworden. Die Franzosen haben Wein und Kondome gehortet, die Deutschen deckten sich mit ein- bis dreilagigem Hartripp ein. Der Grundgedanke mag nicht falsch gewesen sein, denn aufs Klo müssen wir ja doch immer.
Doch auch zuvor ist es schon passiert, dass irgendwie zu viel Klopapier geordert und gehortet wurde, nämlich in einem kleinen, unspektakulären schwedischen Dorf namens Vallerås. Der unter anderem für die Beschaffung diverser Gegenstände zuständige und ebenfalls recht unscheinbare Gemeindemitarbeiter Ejnar Svensson nämlich bestellt aus Versehen vier Lastwagen – das ist eine ganze Scheune – voll mit Toilettenpapier für die öffentlichen Einrichtungen der Kommune.
Die Geschichte eines Fehlers
So die Ausgangslage in Maria Ernestams Kurzroman Der Klopapierkönig, der im Sommer 2023 bei btb erschienen und von Gabriele Haefs mit sprachlich-humorvoller Finesse aus dem Schwedischen übersetzt wurde. Erzählt wird diese Geschichte von etwa 140 Seiten in sechs Kapiteln aus der Sicht des Bürgermeisters des beschaulichen Dörfchens, denn auch wenn Ejnar bei dieser Bestellung im Rahmen seiner Befugnisse eigenverantwortlich handelte, die Endverantwortung trägt natürlich dennoch der Chef.
Von der anfänglichen Frage, wohin mit dem nicht zurücksendbaren Gut über mögliche Sanktionen und Konsequenzen für Einar bis hin zu langfristigen Folgen dieses Coups erzählt uns Ernestam hier die Geschichte eines kleinen Fehlers, der das Handeln eines ganzen Dorfes über viele Jahre prägen sollte. Obwohl nämlich das Toilettenpapier anfangs eher eine Last für die kleine Gemeinde ist, entpuppt sich die Anschaffung spätestens dann als gelungener Coup, als Themen wie Nachhaltigkeit und gestiegene Rohstoffpreise so richtig an Zulauf gewinnen.
Nicht nur die schwedische Öffentlichkeit, sondern die Aufmerksamkeit der gesamten Welt richtet sich nach und nach auf das kleine Dörfchen und damit auch auf die beiden Männer, die die Verantwortung für den Klopapierdeal tragen: Ejnar Svensson sowie sein Bürgermeister. Was dieser Trubel mit den beiden macht – im positiven wie im negativen Sinn – das erzählt Maria Ernestam in der zweiten Hälfte des Kurzromans sehr anschaulich.
Hamstern auf Schwedisch
Dass etwas so Profanes wie Toilettenpapier unsere Gemüter erregen kann, hätte bis zur Pandemie wohl niemand gedacht. Gerade deshalb und weil es mittlerweile allgemein bekannt ist, wie profan es doch ist, ist ein Buch über das (unbeabsichtigte) Hamstern von Klopapier, gepaart mit einem menschlichen Fehler so ein unglaublich guter Aufhänger, um eine humorvolle kurze Geschichte zu erzählen.
Maria Ernestam führt uns von Beginn an gekonnt durch die Gedanken des Bürgermeister, der zwar disziplinarisch nicht Ejnars Vorgesetzter ist, aber eben doch die öffentliche Verantwortung trägt. Er hilft dabei, Ejnars Fehler anfangs so gut es geht auszubügeln und ist ihm ein loyaler Vorgesetzter. Als aus diesem Fauxpas jedoch eine Chance wird, braucht der Bürgermeister wiederum Ejnars Unterstützung.
Anfangs gewährt er ihm sie, aber mit dem zunehmenden Trubel und gar bevorstehendem royalem Besuch wird dem sonst recht eigenbrödlerischen Mitarbeiter doch alles ein bisschen zu viel. Der Bürgermeister erkennt rückblickend seine Fehler durchaus aus, was ihn von so manchen politischen Führungspersönlichkeiten unterscheidet (ein Gruß geht an die Ex-Ampel nach dem Haushaltsurteil vom November 2023).
Lektüre nicht nur fürs Klo
Der Klopapierkönig wird so zu einer satirischen Geschichte, die mit einem kleinen Fehler beginnt, aber später zu einem Lehrstück in Sachen Mitarbeiterführung und Empathie sowie einer spannenden Erläuterung der Macht und selbstverstärkenden Dynamik des öffentlichen Diskurses wird. Und es ist eine Geschichte, die auch die Frage stellt, welchem Druck sich Menschen aussetzen (lassen) können und wollen.
Bei gerade einmal 140 Seiten im Senioren-Druck handelt es sich bei Der Klopapierkönig um eine Geschichte, die sich gut und gerne an einem kalten Nachmittag oder auch während einer etwas längeren Sitzung auf dem stillen Örtchen lesen lässt (wobei das schon eine sehr lange Sitzung sein müsste – lieber auf mehrere Sessions aufteilen). Und wem die Geschichte nicht gefällt, nun, die oder der hätte im Zweifel direkt eine Möglichkeit der Zweitverwertung (auch wenn es vermutlich weniger nachhaltig wäre, als das Klopapier von Vallerås).
HMS
Eine Leseprobe findet ihr hier und hier als pdf.
Maria Ernestam: Der Klopapierkönig; Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs; Juli 2023; 144 Seiten; Taschenbuch, Broschur; ISBN: 978-3-442-77321-3; btb; 13,00 €
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