Ein wenig Fake, ein wenig News

Misogynie und Sexismus, Breitbeinigkeit und toxische Arbeitsplätze, AIDS-Lügen und Homo-Hass, Rassismus und Bevormundung — das Beste aus den 50ern, 60ern, 70ern, 80ern, 90ern, 2000ern und von heute! Manche Konzepte haben einfach Bestand; setzen sich in leichter Umformung über Dekaden hinweg durch und bleiben, bleiben, bleiben. Manches Mal fragt man sich da, ob es überhaupt Retro-Serien und Co. bräuchte, um zu erfahren, dass vor vierzig Jahren oder länger auch alles irgendwie nicht so geil war. Ach, warum nicht, ist die Antwort. Vor allem wenn sie so stark ausfallen wie die australische Serie The Newsreader, die kürzlich auf arte lief und noch bis zum 9. Mai 2023 in der Mediathek zu finden ist.

Eine Mischung mit Bedeutung

Wir Zuschauer*innen hingegen finden uns in The Newsreader in den 1980er-Jahren wieder. Ganz konkret im Jahr 1986 im Newsroom des TV-Magazins „News at Six“. Anna Torv spielt Helen Norville die gemeinsam mit dem an Allüren nicht armen Nachrichten-Master Geoff Walters (Robert Taylor) das Gesicht besagter Sendung ist. Dass sie dabei dennoch eine zweite Geige und diese möglichst leise zu spielen hat, wird hier gern klargemacht. Nicht zuletzt auch Nachrichtenchef Lindsay Cunningham (wunderbar: William McInnes), dem zwar bewusst ist, wie wichtig sie für die Sendung und vor allem die Quote ist, sie dennoch gern daran erinnert, wie leicht sie zu ersetzen wäre…

No Love Lost: Helen (Anna Torv) und Geoff (Robert Taylor) // © Ben King Foto: ARTE F

…allerdings erinnert er gern alle Angestellten daran und nicht selten rollt ein Kopf, gern bevor der cholerische, trinkende und etwas bigotte Chef diesen wieder sorgsam auf den Körper setzt (Hey Logan Roy!). Dies macht den Charme der Serie, die irgendwo zwischen Drama, Comedy, Satire, Geschichtsstunde und Gesellschaftskritik changiert, mitunter aus: Bei allen Konflikten im Nachrichtenraum, etwa wenn es darum geht, manch eine Nachricht doch der Quote wegen „anzupassen“, handelt es sich um ein eingespieltes Team. Dieses besteht unter anderem noch aus dem vertratschten Sportreporter Rob (erst gewöhnungsbedürftig, dann charmant: Stephen Peacocke), der strebsamen Regie- und Produktions-Assistentin Noelene Kim (Michelle Lim Davidson), dem etwas fahrigen Produktionsleiter Dennis (Chum Ehelepola), die allwissende und sich ruhende Sekretärin Jean (sehr toll: Caroline Lee) und dem Kameramann Tim (*schmacht*: Chai Hansen). (Hier könnte im Sinne der Authentizität gegebenenfalls angemerkt werden, dass ein typischer Redaktionsraum in den 80er-Jahren vermutlich ganz so divers doch nicht immer ausgesehen haben dürfte.)

Kammerspiel mit Vergleichswerten

Ein Großteil der Handlung speilt sich im Newsroom, in Helens Haus oder der Wohnung des jungen, ehrgeizigen Redakteurs und Junior-Reporters Dale Jennings (Sam Reid, Interview with the Vampire) ab. Was Vergleiche mit Mad Men oder Aaron Sorkins (in Augen des Rezensenten eher mäßiger) Serie The Newsroom nahelegt. Doch darf The Newsreader durchaus ganz eigenständig betrachtet werden, zumal es weniger defätistisch als Mad Men und weit weniger künstlich bedeutungsschwanger als The Newsroom ist. Zwar mag es durchaus ein, zwei Folgen dauern, bis die Zuschauer*innen sich dem Konzept verschreiben mögen — ist dieser Punkt aber einmal erreicht, dann kann die ganze Kraft, die die erste sechsteilige Staffel hat, voll ausgekostet werden.

Geoff, Helen und Dale (Sam Reid) // © Ben King Foto: ARTE F

So ist diese Staffel, die von Januar 1986 bis April 1986 spielt, nicht nur eine kleine Geschichtsstunde, werden doch immer wieder reale Ereignisse von der „Challenger“-Explosion bis zum GAU in Tschernobyl aufgegriffen, sondern es werden auch gesellschaftliche Umbrüche nachgezeichnet. Sei es der bewusstere Umgang mit psychischen Problemen, gelebter Homosexualität oder der Umgang mit AIDS, etwas, das in einer beeindruckenden und teils bedrückenden fünften Folge im Fokus steht und in einem brillanten und emotional aufreibenden Staffelfinale gipfelt.

Die 1980er-Jahre leben für sechs Stunden auf

Der Umgang mit Sexualität jedoch ist die ganze Serie über Thema. Helen, die von Anna Torv famos und unglaublich facettenreich präsentiert wird, und Dale entdecken nach anfänglicher Skepsis schnell ihre Sympathie und ihr Herz füreinander. Dies sorgt erst für Klatsch am Arbeitsplatz und schließlich dafür, dass der Sender die beiden als Vorzeigepaar verkaufen möchten. Dale fühlt sich aus diversen Gründen überfordert. Ob nun Trophy-Boy, Emporkömmling und der Kampf mit seiner eigenen, eher unterdrückten Nicht-Heterosexualität (hier kommt auch der Kameramann Tim ins Spiel): Sam Reid spielt diesen zerrissenen und mit der Vergangenheit ebenso wie der Gegenwart hadernden jungen Mann so einnehmend wie exzellent. 

Sam und Tim (Chai Hansen) // © Ben King Foto: ARTE F

Es ist also allein ein großes Fest, den Hauptfiguren bei ihrem Spiel, ihren Interaktionen, ihren mal stillen, mal lauteren Zweifeln zuzusehen. Ebenso dabei, wie ein Schalter umgelegt wird, wenn es um die Sendung geht, wenn Professionalität gefragt ist. Apropos exzellentes Fest: Sowohl die Ausstattung wie auch die Kostüme sind ganz großes 80er-Jahre-Kino zwischen Designstudium, Trash und gutem Geschmack (vor allem die im Hintergrund die Fäden ziehende Ehefrau Geoffs, Evelyn, die wunderbar von Comedienne Marg Downey verkörpert wird, hat einen interessanten Mode- und Interieur-Geschmack). 

Evelyn (Marg Downey) // © Ben King Foto: ARTE F

Auch die Musik schmeißt uns mit Verve in diese Zeit. Dabei dürfen allseits bekannte queere Klassiker wie „Smalltown Boy“ von Bronski Beat, „Modern Love“ von David Bowie oder „Papa Don’t Preach“ von Madonna ebensowenig fehlen wie Suzi Quattros „Can the Can“ oder „The Safety Dance“ von Men Without Hats aber auch (wohl) eher unbekanntere Songs wie „Come Said the Boy“ von Mondo Rock oder das grandiose „We Will Together“ von den Eurogliders sorgen für den richtigen musikalischen Zeitanstrich. 

Wenig Kitsch aber viel Gefühl

Dennoch wäre es verkehrt, The Newsreader, die unter der Regie von Emma Freeman eine der erfolgreichsten Serien Australiens 2021 war und diverse Auszeichnungen mitnehmen konnte, als reine Retro-Serie zu bezeichnen. Dafür scheinen viele der Themen doch viel zu relevant und zeitgemäß. Wenn, wie oben erwähnt, natürlich hier und da in Abstufungen und Anpassungen. Dennoch entsteht so gut wie nie das Gefühl eine gefühlige Nostalgie-Show anzuschauen (wie etwa die unausgegorene, die Nachkriegszeit in mehrerlei Hinsicht geschmacklos verklärende — und vermutlich deshalb hierzulande so erfolgreiche — Ku’damm-Serie/Buchreihe). 

Unter den Demonstrierenden gegen die AIDS-Berichterstattung ist auch Adam (Tim Draxl), der sich als alter Bekannter von Dale herausstellt // © Ben King Foto: ARTE F

Stattdessen sehen wir ein bissiges und spitzfindiges Charakterdrama mit einiger Ironie, erleben eine Entwicklung von Menschen mit- aber auch gegeneinander, folgen dem Zeitverlauf ebenso durchdringend wie manch einem Gedankengang. So würden zumindest der Autor dieser Zeilen sowie the little queer reviewHerausgeber Hans von einer nahezu durchweg so unterhaltsamen wie intensiven Seherfahrung sprechen. 

Denn Gefühle wie jenes aussätzig zu sein, den Ansprüchen nicht gerecht zu werden, nicht gesehen zu werden, diskriminiert zu werden, nicht fühlen zu dürfen, was nun einmal gefühlt wird, nicht denken, sagen und lieben zu dürfen, wie mensch es möchte — diese sind so zeitlos wie allgemeingültig. Hier neben allen Konflikten und aller Schlagfertigkeit ein wenig an Wärme erinnert zu werden, ohne, dass es kitschig wird, das ist toll. Wer wünschte sich das nicht auch im eigenen Leben?

AS

The Newsreader // © Ben King Foto: ARTE F

The Newsreader ist noch bis zum 9. Mai 2023 in der arte-Mediathek verfügbar. Aktuell findet ihr die Serie auf joyn.

The Newsreader; Australien 2021; Idee: Michael Lucas; Drehbuch: Michael Lucas, Jonathan Gavin, Niki Aken, Kim Ho; Regie: Emma Freeman; Musik: Cornel Wilczek; Kostüme: Marion Boyce; Darsteller*innen: Anna Taorv, Sam Reid, Robert Taylor, William McInnes, Marg Downey, Stephen Peacocke, Chai Hansen, Michelle Lim Davidson, Chum Ehelepola, Maude Davey, Maria Angelico, Tim Draxl; sechs Folgen à ca. 53 Minuten

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