Draußen ist es grau, kalt, ungemütlich, feucht, düster. Die Sonne zeigt sich kaum und wenn doch, so scheint sie nur davon künden zu wollen, dass sie demnächst weniger präsent sein wird. Grau und rau, fahl und finster, kalt an der Luft und im Gefühl, bedrückend und bitter ist auch beinahe alles im neuen Film des Regie-Autoren-Duos Veronika Franz und Severin Fiala Des Teufels Bad. Dieser startet heute im Kino, nachdem er seine Premiere bereits am 20. Februar 2024 auf der 74. Berlinale feierte, wo der Film im Wettbewerb um den Goldenen Bären stand.
Diesen gab es zwar nicht, dafür allerdings den Silbernen Bären für Kamermann Martin Gschlacht. Im April schließlich folgten zahlreiche Auszeichnungen mit dem Österreichischen Filmpreis, unter anderem Bester Film, Beste weibliche Haupt- und Nebenrolle, Beste Kamera und Musik, Bestes Szenenbild usw. usf. Regie und Buch wurden nicht prämiert, hier gingen beide Preise an Adrian Goiginer für Rickerl – Musik is höchstens a Hobby (keine Ahnung, muss ich mal schauen).
Dunkle Einsamkeit
Dafür schickt Österreich Des Teufels Bad in der Kategorie Bester Internationaler Film ins fiebrige Oscar-Rennen. Wir drücken die Daumen. Denn, für all jene, die sich nun fragen, was um Himmels Willen es denn nun mit Des Teufels Bad auf sicht hat, deren Gebete sollen erhört werden. Franz und Fiala warten nach Ich seh ich seh (vielen eher bekannt als Goodnight Mommy) und The Lodge etwa nicht erneut mit einem Genre-Horrofilm auf, sondern mit einem düster-stillen, erschreckend realen, historischen und doch zeitgemäßen Film über die möglichen Grauen eines patriarchalen und erzkatholischen Umfelds. Den Horror der Melancholie aka von Depressionen aka dem titelgebenden Bad des Teufels. Ein Film über den Schrecken innerer wie äußerer Einsamkeit.
Es ist das Jahr 1750, die Epoche der Aufklärung befindet sich auf dem Weg zu ihrem Höhepunkt, was, nicht frei von bitter-sumpfiger Ironie, im Gegensatz zum einfachen kleinbäuerlichen Leben auf dem oberösterreichischen Lizlfellner Hof steht. Hier heiratet die junge Agnes (krass: Anja Plaschg, als Soap&Skin auch verantwortlich für die Musik des Films) in die Familie ein, ehelicht Wolf (stark in Zurückhaltung: David Scheid) und, wie das so ist, mit ihm auch gleich die Schwiegermutter Gänglin (Maria Hofstätter; Zitat Veronika Franz: „Man sollte sie einfach in jedem Film dabei haben“).
Globuli-Edition 18. Jh.
Das Einleben fällt ihr schwer. Wolf und sie leben abgeschieden in einem kalten Steinhaus inmitten eines Waldes, der alles Licht schluckt. Die Gänglin ist immer vor Ort, erklärt Agnes, wie die Pfannen zu hängen und wie viele Gebete zum Gelingen des Breis vonnöten sind. Für Sensibilität, Musikalität, eigene Gedanken, unpragmatisch drapierte Blumen ist es weder die richtige Zeit, noch der richtige Ort. Immer mal wieder läuft Agnes einer auf einem Hügel drapierten Enthaupteten über den Weg. Zehen und einzelne Finger abgehackt.
Mit dieser Enthaupteten steigen wir in Des Teufels Bad ein. Hier hat sie allerdings noch ihren Kopf, so sie ihn gleichwohl bereits verloren hat. Depressionen, im Grunde nicht bekannt, geschweige denn behandelt, galten nichts. Geholfen wurde ebensowenig. Um die schlechten Säfte aus dem Körper zu holen, die melancholisch machten, gab es Sauna, Blutegel und einen fiesen Faden im Nacken durch die Haut, der, um die Wunde offen zu halten und alles rauseitern zu lassen, regelmäßig bewegt werden sollte. Danke für nichts, ihr Globuli-Vorboten!
Agnes wird nicht schwanger, was den Druck auf sie zusätzlich erhöht. Da helfen auch ein religiöses Token und ständiges Beten – das sie während der Arbeit übrigens nicht zu lange vollführen soll, gottlose Gänglerin, du madige! – wenig. Erst recht nicht, wenn Gatte Wolf sie des Nächtens zur Seite dreht, derweil er onaniert und überhaupt eher einem Bauernkollegen schöne Augen macht. (Der Film war auch für den Teddy Award nominiert.)
Keine Dokumentation…
Basierend auf zahlreichen Gerichtsprotokollen und sich vor allem auf die Geschichten der Oberösterreicherin Ewa Lizlfellner und der Deutschen Ursula Waser aus dem 18. Jahrhundert stützend, erzählt Des Teufels Bad von einem eher unbekannten, weil lange unbeachteten beziehungsweise falsch wahrgenommenem „Phänomen“: „Suicide by proxy“ oder zu deutsch: dem mittelbaren Selbstmord. So nennt es die in Deutschland geborene, in die USA emigrierte Historikerin Kathy Stuart von der Universität UC Davis in Kalifornien.
Allein im deutschsprachigen Raum sind, vor allem dank Stuarts Nachforschungen, die als weltweit führende Expertin auf diesem Gebiet gilt, um die 400 Fälle eines solchen indirekten Selbstmords dokumentiert. Was meint das? Damals galt Selbstmord als die ultimative Sünde, dies nicht zuletzt auch deshalb, da mensch anschließend nicht beichten und als sich nich von der Sünde befreien konnte. Wirst Du aber hingerichtet, sieht die Welt des Todes gleich ganz anders aus. Nun wurde allerdings auch damals nicht allzu wahllos hingerichtet.
…und doch wahr…
Bereits im 17. Jahrhundert habe es mittelbaren Selbstmord gegeben, dazu wurden „okkulte Verbrechen“ genutzt, so Kathy Stuart: „Im 17. Jahrhundert begingen Frauen durch Selbstbeschuldigung der Hexerei mittelbaren Selbstmord, während Männer sich vornehmlich der Sodomie bezichtigten und dafür hingerichtet wurden.“ Diesem Konzept kamen die Richter nach und nach allerdings auch die Schliche. Doof.
So änderten Menschen, die Selbstmord begehen wollten ihre Taktik und wurden zu Kindsmördern (hier hält Des Teufels Bad durchaus manch verstörenden Moment bereit). Kindsmörder, so wie auch der Art the Clown oder Fritz Haarmann? Nein, hier wurde ja nicht aus Lust getötet. Erneut Kathy Stuart, die auch bei Entstehung des Films beratend zur Seite stand: „Die Opfer waren meist Kinder, da man davon ausging, dass diese sich noch in einem Zustand der Unschuld befinden. Man könnte dem Kind damit womöglich sogar einen Gefallen tun, weil es noch sündenlos in den Himmel kommt. Und man selbst kommt auch in den Himmel. Es ist also eine Art von abgründiger Win-Win-Situation.“
…und echt intensiv
Boah, ey! Voll viel Kontext für einen Spielfilm. Passt aber, da Des Teufels Bad an mancher Stelle schon beinahe dokumentarisch wirkt. So natürlich dunkel die Bilder, so vermeintlich das Geschehen laufen lassend, dabei filmend. Natürlichkeit ist ein großes Stichwort in diesem Film, der angelehnt sei an das Konzept der Nouvelle Histoire, so Filmwissenschaftler Olaf Möller. Die Kostüme sind im besten Sinne fehlerhaft, denn perfekt war zu dieser Zeit an diesem Ort sicherlich keine Outfit-Option. Die winterliche Kälte scheint aus dem Film auf uns übertragen, der Schlamm im Karpfenteich, der schon Leben kostete, klebt an uns.
Des Teufels Bad ist also eine durch und durch intensive Erfahrung. Anja Plaschg, die zunächst „nur“ die Musik verantworten sollte, wurde mehr oder weniger zufällig schließlich auch für die Hauptrolle gecastet und ist ein wahres Geschenk. Zunächst einmal dürften wir kaum eine ausgeprägte Erwartungshaltung an sie haben, anders als es bei präsenteren Schauspielerinnen der Fall wäre (dies ist Plaschgs erste Hauptrolle).
Einzigartig mitgenommen
Zudem schafft sie es ihre zunehmende Isolation, das allmähliche Abgleiten ins Unglück, die Schuldgefühle darüber, dass ihr Unglück ebenso das der anderen sei, das Abdriften in eine Art religiösen Wahn, hysterische Fluchtversuche und das gewünschte Abschiednehmen durch Rattengift derart eindringlich zu verkörpern, dass wir gar nicht anders können, als bei ihn in Schmerz und Verzweiflung zu sein. Plaschgs Agnes wird nicht nur wegen einer atemberaubenden Szene zum Ende in Erinnerung bleiben.
So sei Des Teufels Bad als ein Film empfohlen, der inszenatorisches und erzählerisches Können wie Geschick mit rau-realen Bildern, einem viel zu wirklichen Setting und großartigen schauspielerischen, eine*e teils zermarternden Leistungen verbindet und uns so ordentlich mitnimmt. Dazu eine unschöne, aber notwendige Geschichtsstunde, die auch einiges darüber aussagt, wie selektiv – will heißen: männerbezogen – wir Geschichte und somit auch jene von Verbrechen, noch immer wahrnehmen. Eben drum: Zeitgemäßes, herbes, sicherlich nahezu einzigartiges, psychologisches Horror-Historienkino.
AS
PS: Atmosphärisch erinnert Des Teufels Bad nicht selten an Hundswut. Vor allem was den intensiven Blick auf die Menschen selbst betrifft. Wir sehen das Leben, die Beschwernisse, die Steigerung des vermeintlich Abseitigen. Und über allem den Einfluss des Glaubens und der Kirche.
PPS: Nochmals zum Punkt des Zeitgemäßen. Hierzu Co-Regisseur und Autor Severin Fiala: „Etwas anderes, das in die Gegenwart weist, ist die Maßnahme, zu der Agnes dann greift, der mittelbare Selbstmord. Das hat sich in der Geschichte immer wiedergewandelt und ist auch heute noch vorhanden. In den USA etwa als ’suicide by cop‘, wenn man sich von einem Polizisten erschießen lässt. Auch über den islamistischen Terrorismus gibt es Studien, dass ein Teil der Menschen, die sich bei einem Selbstmordattentat in die Luft sprengen und Unschuldige mitreißen, depressiv ist und letztendlich nur einen Weg sucht, sterben zu dürfen, der gleichzeitig von der Religion anerkannt ist – Selbstmord quasi mit Gottes Segen. Wie bei Agnes auch.“
Des Teufels Bad startet am 14. November 2024 im Kino.
Des Teufels Bad; Österreich 2024; Regie und Drehbuch: Veronika Franz, Severin Fiala; Bildgestaltung: Martin Gschlacht; Musik: Soap&Skin; Darsteller*innen: Anja Plaschg, David Scheid, Maria Hofstätter, Elias Schützenhofer, Lukas Walcher, Franziska Holzer, Elmar Kurz; Laufzeit ca. 121 Minuten; FSK: 16; Eine Produktion von Ulrich Seidl Filmproduktion, Heimatfilm, Coop99 Filmproduktion; im Verleih von Plaion Pictures im Kino
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