Enttäuschende Geheimnisse

Katzengold, Frauengold, weißes Gold, schwarzes Gold – es ist jedenfalls nicht alles Gold, was glänzt. Das gilt auch für Bücher. Nur weil ein solches mit dem Titel Das geheime Liebesleben der Pinguine betitelt ist, ist der Inhalt nicht automatisch von höchstem Pinguinstandard – und genau diesen sollten Mensch und Tier zum heutigen Weltpinguintag zweifelsohne erwarten.

Der erste Pinguinforscher

Der neuseeländische Wissenschaftler Lloyd Spencer Davis hat Ende 2021 bei DVA ein Buch mit vorgenanntem Titel und dem Untertitel Ein vergessener Polarforscher, ein aufregender Fund und eine erstaunliche Erkenntnis in der Übersetzung von Jürgen Neubauer veröffentlicht. Im englischsprachigen Original waren übrigens Titel und Untertitel mehr oder weniger vertauscht und das trifft die ganze „Polar Affair“ (so der englische Haupttitel) doch etwas mehr als uns die deutsche Version Glauben machen mag.

Es soll nämlich in Lloyd Spencer Davis‘ Buch weniger um Pinguine gehen, sondern um den ersten Menschen, der sich nachweislich mit dem Paarungsverhalten der antarktischen Vögel beschäftigte: den Engländer George Murray Levick. Dieser war Teil der Polarexpedition um den Briten Robert Falcon Scott, der bei seinem Versuch als erster den Südpol zu erreichen gegen den Norweger Roald Amundsen unterlag. Davis aber macht sich auf die Spuren Levicks, denn dieser hat bereits vor mehr als 100 Jahren Beobachtungen zum Sexualverhalten von Pinguinen aufgezeichnet, die erst vor wenigen Jahren zufällig durch die Wissenschaft entdeckt und teils in Geheimschrift abgefasst wurden.

Die ersten Menschen am Südpol

Weniger als um das dem Buch seinen Titel gebende Verhalten der Pinguine geht es also eigentlich mehr um Levick – würden wir nun vermuten. Doch auch das stimmt nur zum Teil: Davis beschreibt immer eindrücklich seine Nachforschungen zu Levick, vor allem aber geht es bei ihm um das Rennen zum Südpol zwischen Amundsen und Scott, die Widrigkeiten in Schnee und Eis, denen sich beide ausgesetzt sahen und den Vorbereitungen, die sie für ihre jeweiligen Expeditionen trafen.

Levick hatte hier als Mediziner selbstverständlich seine Rolle, oft war diese für Scott und seine Mannschaft auch wichtig, teils überlebenswichtig. Mit den Pinguinen befasste er sich eher nebenher, als er Zeit für Fotografien und zu jener Zeit halbwegs wissenschaftlich fundierte Beobachtungen hatte. Dafür dass sich dieses Buch laut Titel aber dem Liebesleben von Pinguinen und ihrem ersten Erforscher widmen soll, schweift Davis leider erstaunlich häufig von diesen beiden Themen ab.

Die ersten Fragen

In sehr großen Teilen geht es um den bereits erwähnten Wettlauf zum Südpol, der damals wie heute viele Menschen faszinierte. Davis gibt hier auch eine sehr gute Schilderung, vergleicht mit hoher Präzision, was Amundsen besser machte als Scott und wer aus den jeweiligen Expeditionen welchen Anteil hieran hatte. Das ist aber auch nicht das, was wir uns von einem Buch mit diesem Titel eigentlich erwarten würden. Denn so informativ manche Passage auch sein mag, mit Pinguinen oder Levick haben viele eindeutig nichts zu tun.

Wenn wir aus den etwa 350 Seiten Textteil die Passagen herausnehmen, die sich mit Levick, seiner Arbeit oder allgemein dem titelgebenden Liebesleben der Pinguine befassen, dann landen wir geschätzt bei etwa 150 Seiten, also weniger als der Hälfte des eigentlichen Buchs. Der Rest kann als Füllmaterial betrachtet werden und das ist trotz hohem Informationsgehalt durchaus etwas ärgerlich. Und an manchen Stellen ist es auch unschön und zu verliebt in Details, die wir gerade am Weltpinguintag nicht unbedingt wissen müssen – beispielsweise wenn wir hören, wie die Expeditionsteilnehmer damals Pinguine und andere Polartiere schlachten mussten, um genug Nahrung zu haben (damals war das bestimmt notwendig und doch ist es gut, dass wir heute im Tierschutz weiter sind).

Der erste Sex (von vielen)

Solange das Buch wirklich interessante Informationen liefert, eben zu den eigentlichen Abenteuern der Expeditionen um Scott, Amundsen und Co., ist das zugegebenermaßen halbwegs informativ, auch wenn es hierüber mittlerweile viele Bücher gibt. Was allerdings in der Tat ein wenig stört – das hat auch die geschätzte Petra Wiemann bei Elementares Lesen bereits kritisiert und wir schließen uns dem an – ist die fast durchgängige Sexualisierung des Buchs und der Geschichte.

Davis erzählt nicht nur vom Liebesleben der Pinguine, sondern zieht regelmäßig Vergleiche verschiedener sexueller Verhaltensmuster von Pinguinen und Menschen. Dabei, mit Verlaub, sollte es uns eigentlich egal sein, welcher Forscher eine Affäre mit welcher Frau eines anderen Forschers hatte, dass der damals regierende britische König Edward VII. liebevoll als „der Streichler“ bezeichnet wurde oder dass manche Expeditionsteilnehmer hübsche Männer waren.

Die zweite Wahl

Natürlich sind Streicheleinheiten und hübsche Männer etwas Schönes, über das sich viele Menschen freuen sollten, aber in einem solchen Buch hat die wiederkehrende Beschreibung des Äußeren, die erst einmal nichts mit der kräftigen körperlichen Konstitution, die für eine Polarexpedition erforderlich ist, zu tun hat, eigentlich wenig bis nichts verloren. Die Techtelmechtel der Männer, ihrer Frauen oder dem Umfeld sollten eigentlich irrelevant sein, stattdessen hätte Davis mehr Aufmerksamkeit auf Pinguine und/oder George Murray Levick legen sollen.

Das geheime Liebesleben der Pinguine ist also leider eher eine Enttäuschung für diejenigen, die sich aus genuinem Interesse mit den gefährdeten Polarvögeln auseinandersetzen möchten. Zum Glück gibt es eine Reihe von Geschichten, die sich deutlich fokussierter, fundierter und faszinierender mit Pinguinen befassen, etwa das von Klemens Pütz und Dunja Batarilo oder der hübsche Bildband von Christoph Kaula und Jessica Winter. Betrachtungen, die das Liebesleben der Pinguine im Titel tragen, haben uns nach Bernhard Hecklers Roman leider ein weiteres Mal enttäuscht. Lloyd Spencer Davis‘ Buch hat sich für uns leider als Katzengold herausgestellt.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Lloyd Spencer Davis: Das geheime Liebesleben der Pinguine. Ein vergessener Polarforscher, ein aufregender Fund und eine erstaunliche Erkenntnis; Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer; Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen; 384 Seiten, mit 24-seitigem Farbbildteil; ISBN: 978-3-421-04852-3; DVA; 22,00 € 

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