Erster Stolperstein für homosexuelles §-175-Opfer in Chemnitz verlegt

Die Stadt Chemnitz hat am Donnerstag an mehreren Orten Stolpersteine verlegt, um an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu erinnern. Erstmals wurde dabei in Chemnitz neben Menschen, die als Juden oder politische Gegner verfolgt wurden, auch ein Stolperstein für ein homosexuelles Opfer der Nazi-Diktatur gelegt. Der Stein erinnert an den am 26. August 1942 im KZ Dachau ermordeten Adolf Wilhelmi, der vor seinem Tod in Chemnitz lebte und unter dem grauenhaften Paragraphen 175 RStGB (Reichsstrafgesetzbuch) mehrmals verurteilt wurde.

„Hass und Hetze bedrohen die gesamte Gesellschaft“

Tom Haus, Mitglied im Landesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) Sachsen, erklärt dazu: „Der Lebens- und Leidensweg von Adolf Wilhelmi zeigt uns deutlich, welches unfassbare Leid der Paragraph 175 unter dem nationalsozialistischen Unrechtsregime anrichtete. Wenn Hass und Hetze eine Gesellschaft vergiften, Ausgrenzung und Entrechtung zulassen, dann bedroht das nicht nur Homosexuelle, sondern die gesamte Gesellschaft. Das galt damals und leider auch wieder heute. Die Geschichte der Unterdrückung und Verfolgung von Homosexuellen in der Bundesrepublik und der DDR muss deshalb stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden, vor allem auch in Schulen. Wir müssen mit aller Kraft verhindern, dass dieser Hass wieder in unserer Gesellschaft erstarkt. Unser Dank gilt den Grünen in Chemnitz, die den Stolperstein ermöglichten und die Patenschaft übernommen haben“

Unweit von Chemnitz liegt auch Sachsenburg, wo sich seit Jahren engagierte Bürger*innen und Initiativen mit der Stadt Frankenberg und dem Freistaat Sachsen um den angemessenen Ausbau des ehemaligen KZ Sachsenburg zu einer würdigen Gedenkstätte streiten. Ein Vorgang, den auch der Journalist Michael Kraske in seinem analytischen Buch Der Riss – Wie die Radikalisierung im Osten unser Zusammenleben zerstört erläutert. Im KZ Sachsenburg waren neben Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftern, kritischen Priestern und Juden auch Homosexuelle inhaftiert. 

Ermordet in Dachau

Der 1874 geborene Adolf Wilhelmi wurde erstmals im Dezember 1932 wegen homosexueller Kontakte vom Amtsgericht Chemnitz zu einer Geldstrafe verurteilt. Erneut verurteilt wurde er im Juli 1937 nach dem inzwischen von den Nationalsozialisten verschärften Paragraphen 175a RStGB und verbrachte neun Monate in Gefängnissen in Bautzen und Plauen. Wegen „Unzucht mit Männern“ wurde Wilhelmi durch das Landgericht Chemnitz zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der vollen Verbüßung seiner Strafe wurde Wilhelmi, ein Reichsbahningenieur, allerdings nicht freigelassen, sondern in das KZ Buchenwald deportiert, später in das KZ Dachau wo er am 26. August 1942 ermordet wurde. Der Stolperstein zum Gedenken an Adolf Wilhelmi
ist in der Augustusburger Straße 121 in 09126 Chemnitz zu finden.

Der Paragraph 175 hatte bis ins Jahr 1994 Bestand im wiedervereinigten Deutschland, wurde zuvor in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich behandelt und verfolgt. Nach wie vor wird mit der erforderlichen Erinnerung an die und Anerkennung der homosexuellen Opfer des NS-Unrechtsregimes gerungen, wie auch dem oben stehenden Statement von Tom Haus zu entnehmen ist. Viele Schicksale und der Weg zu einem angemessenen Gedenken werden exemplarisch in dem ausführlichen Werk Erinnern in Auschwitz auch an sexuelle Minderheiten thematisiert.

Am morgigen 8. Mai jährt sich der Tag der Befreiung zum 76. Mal.

Hinweis: Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Deming, das im Jahr 1992 begann. Auf knapp 10 mal 10 cm großen Messingtafeln werden Namen und wichtige Lebensdaten von verfolgten, ermordeten, deportierten, vertriebenen und in den Suizid getriebenen Opfern des Nationalsozialismus vermerkt. Inzwischen sind über 75.000 dieser Tafeln verlegt worden; immer wieder werden sie aber auch geschändet.

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