Die Wasserqualität der Seine war vor sechs Wochen ein bestimmendes Thema, sollten doch Olympische Schwimmwettbewerbe in diesem schmutzigen Gewässer ausgetragen werden. Übrigens kochte das Thema vor wenigen Tagen erneut hoch, als es um die Paralympischen Wettbewerbe ging, aber diese erfahren seit jeher weniger Aufmerksamkeit. Sind ja nur Menschen mit Behinderung, da sind keine besonderen Leistungen zu erwarten *Ironie aus*.
Vor der lange mit Fäkalien und Chemikalien versetzten Brühe schützen Schwimmanzüge – die wiederum noch vor zehn bis 20 Jahren für große Diskussionen im Schwimmsport sorgten, als es um die Vorteile ging, die hochtechnologisierte Materialien denen boten, die sich diese leisten konnten. Das ist heute vorbei, alles bis ins Detail geregelt und zumindest die Männer müssen nun wieder mit nacktem Oberkörper schwimmen (ein Schmachten geht an Leon Marchand).
Exotisch
Wasserqualität in der Seine und Rennanzüge – das scheinen partikulare oder einigermaßen exotische Themen zu sein. Und doch gibt es ein Buch, das diese bereits 2020 verband. In Deutschland dauerte es bis 2023, bis der mareverlag Owen Booths Geschichte mit dem prägnanten Titel Die wirklich wahren Abenteuer und außerordentlichen Lehrjahre des Teufelskerls Daniel Bones von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann ins Deutsche übertragen ließ.
Wir starten im englischen Marschland der 1880er-Jahre. Daniel Bones, ein Teenager lebt dort mit seinem Bruder und seinem prügelnden Vater ein bescheidenes Dorfleben. Die Aufbruchstimmung jener Zeit will es aber, dass er kurz darauf zu seinen Abenteuern aufbrechen soll, denn ein „Furchtloser Froschmann“ entsteigt den Gestaden.
Opak
Der nicht ganz durchsichtige Amerikaner Captain Clarke B. trägt einen speziellen Anzug, der das Schwimmen, Tauchen und lange Verweilen im Wasser erlaubt und gedenkt Dan öffentlichkeitswirksam als seinen Gehilfen zu rekrutieren. Dieser folgt dem Captain und sie starten ihre Reise auf das Festland, die sie nach Frankreich, die Niederlande, Deutschland, die Schweiz und Italien bis nach Neapel führen wird.
Heute würden wir das, was die beiden gemacht haben, als eine Art Werbetour bezeichnen, auf der sie den Anzug in teils spektakulären Vorführungen demonstrieren. Daneben gibt es aber immer wieder Spezialaufgaben, die sie übernehmen (müssen), denn es scheint, dass die aufstrebenden Anarchisten und andere Mächte – gerade im präfaschistischen Königreich Italien – sie und ihren zwischenzeitlich für ihre Gruppe aufgelesenen Italiener Andrea für ihre Zwecke einspannen.
Verworren
Die Geschichte mag einigermaßen verworren klingen und das ist sie auch. Gleichzeitig ist sie ziemlich geradlinig, eine Abenteuergeschichte, wie es sie seit Längerem nicht gab. Der gewiefte Daniel schließt sich dem zwielichtigen Captain an und schon früh bemerkt er, dass dort etwas nicht stimmt. Anfangs will er es nicht ganz wahrhaben, aber manch Vorfall lässt ihn an den Absichten seines Mentors zweifeln.
Ohne Zweifel bietet ihm der Captain ein Leben voller Überraschungen, guten wie schlechten. Und er führt Daniel in ein Leben ein, wie es ein kleiner Junge aus dem englischen Marsch sich nicht erträumen lassen konnte. Von noblem Essen, schicken Hotels, opulenten Empfängen und sexuellen Eskapaden ist alles dabei, was das Herz eines Abenteurers höherschlagen lässt.
Janusköpfig
Im Winter dieses Jahres führte die Europäische Kommission ein Konsultationsverfahren zur Förderung der Forschung an Gütern, die möglicherweise sowohl für zivile als auch militärische Zwecke genutzt werden können durch und dieser Froschanzug wäre ein Paradebeispiel für ein solches Dual Use Good. Am Ende geht es doch immer um diesen Anzug, der ihnen eine Sonderrolle in jedweder Gesellschaft zuteilwerden lässt.
Er steht für den wissenschaftlichen Fortschritt und die möglichen Anwendungen für das Gute – etwa zur Seenotrettung – oder auch weniger gute Zwecke – beispielsweise politisch motivierte Attentate. Das und die Illustration des wissenschaftlichen Fortschritts zu jener Zeit dürften wesentliche Gründe sein, warum das Buch in der Kategorie Unterhaltung als Wissensbuch des Jahres 2024 nominiert ist. Dass es sogar eine queere Geschichte beinhaltet, ist umso erfreulicher.
Finesse
Die Auszeichnung wäre mehr als angebracht, denn die Geschichte ist absolut fesselnd, gut geschrieben und zieht ihre Leserinnen und Leser durch sprachliche Finesse in ihren Bann. Kurze und komplexe Sätze wechseln sich ab, passgenau eingesetzte Stilmittel sorgen für Eindringlichkeit und sowohl der direkte Humor als auch nur angedeutete und zwischen den Zeilen formulierte Witze wecken alles auf einer Humorskala von Schmunzeln bis lautem und inbrünstigem Auflachen. Gerade hier zeigt sich übrigens auch die Stärke der Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Die wirklich wahren Abenteuer und außerordentlichen Lehrjahre des Teufelskerls Daniel Bones von Owen Booth ist ein grandioser Abenteuerroman, der Unterhaltung garantiert, subtil Wissen vermittelt und gerade in den vielleicht letzten heißen Sommertagen für entspannte Unterhaltung und Abkühlung sorgen kann. Die Wasserqualität in der Seine war auch bei den Paralympischen Spielen teils bedenklich, aber so viel darf verraten werden: Das Abenteuer des Daniel Bones in den Pariser Unterwelten dürfte weitaus besorgniserregender für diesen gewesen sein.
HMS
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Owen Booth: Die wirklich wahren Abenteuer und außerordentlichen Lehrjahre des Teufelskerls Daniel Bones; September 2023; Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, 384 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen; ISBN: 978-3-86648-663-8; mareverlag. 25,00 €
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