Gegen die Omikronwand fahren

Karl Lauterbach hat als Gesundheitsminister wohl den schwierigsten Job in der neuen Ampelkoalition. Aber die Bilanz seiner ersten Wochen fällt – von der Öffentlichkeit fast unbemerkt – ernüchternd aus. Ein Kommentar.

Die Ampelkoalition genießt etwas mehr als einen Monat nach ihrem Amtsantritt noch großes Vertrauen. Dem müssen die Parteien aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP nun auch gerecht werden. Erste Gesetzesentwürfe wie zur Abschaffung des Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch oder Annalena Baerbocks diplomatische Initiativen in Russland sind schon einmal gute Ansätze.

Uns alle betrifft aber derzeit die Coronapolitik noch unmittelbarer. Und hier stellt sich knapp sechs Wochen nachdem der, zu Unrecht, so unbeliebte Gesundheitsminister Jens Spahn seinen Platz räumen musste, was eigentlich sein Nachfolger so treibt. Erinnern wir uns: Spahn wurde quasi jeder Makel angehängt, alles hätte er voraussehen müssen und zu wenig Impfstoff zum Boostern sei auch da gewesen. Man wünscht ihm, dass er über die Weihnachtszeit vielleicht doch ein wenig Ruhe gefunden hat.

Tritt vors Schienbein

Karl Lauterbach, sein Amtsnachfolger, hat nun einen unbestreitbar schweren Job. Doch die ersten Wochen lassen auch ihn nur bedingt gut aussehen. Gleich zu Beginn eine „Impfstoffinventur“ anzuordnen, die de facto kein Ergebnis brachte, ist nicht mehr als ein Tritt vor das Schienbein seines Vorgängers.

ZDF-Politbarometer vom 14.1.2022 zur Allgemeinen Corona-Impfpflicht // © ZDF/Forschungsgruppe Wahlen

Quasi über Nacht und ohne große Absprache mit einschlägigen Stellen den Status von Geimpften und Genesenen zu ändern, wie jüngst geschehen, ist auch nicht gerade die feine Art. Sachlich vielleicht richtig, aber die Art und Weise ist mehr als streitbar. Und übrigens wäre er als Gesundheitsminister durchaus in der Lage, sein Haus einen Gesetzesentwurf zur Impfpflicht erarbeiten zu lassen und der Bundesregierung vorzulegen und diese so Farbe bekennen zu lassen (etwas, das ihm und seinem Amt auch auf Grundlage der Daten der Forschungsgruppe Wahlen laut letztem ZDF-Politbarometer gut zu Gesicht stünde). Das nennt man Regieren. Dass es unglaubwürdig wäre, da auch andere und gegensätzliche Gesetzesentwürfe zu begleiten wären, was Aufgabe seines Ministeriums ist, ist Unsinn. Siehe selbiges Verfahren in Bezug auf die Masernimpfpflicht.

Vor der Wand

Noch mehr verwundert aber seine in die Zukunft blickende Coronapolitik. Während viele Länder um uns herum unter astronomischen Omikronzahlen leiden, wurde Deutschland bisher von der neuesten Mutation noch vergleichsweise wenig getroffen, auch wenn die Zahlen zuletzt deutlich ansteigen. Den Höhepunkt der „Omikronwand“ erwartet Lauterbach für Mitte Februar.

Und da wird es fragwürdig. Bei einer Inkubationszeit von etwa zwei Wochen würde das bedeuten, dass sich die dann – zum Höhepunkt der „Wand“ – Infizierten etwa Ende Januar/Anfang Februar mit dem Virus anstecken würden. Also sind diese Leute bis heute gar nicht infiziert, sondern wir reden von denen, die sich das Virus erst in den kommenden ein bis zwei Wochen holen.

Zwischenbilanz: Wie bitte?

Und was tun Lauterbach und Scholz? Außer (ohne Zweifel wichtigen und richtigen) Impfaufrufen nichts! Die adäquate Maßnahme wären doch erneut und unmittelbar gültige Kontaktbeschränkungen bis der Anstieg gebrochen ist. Ansonsten laufen wir doch gerade sehenden Auges in eine nur schwer zu kontrollierende Lage.

Wir halten also fest: Karl Lauterbachs Bilanz bisher beinhaltet, dem Vorgänger vors Schienbein zu treten, unangekündigte Änderungen im Impf- und Genesenenstatus umzusetzen, einen Gesetzesvorschlag zur Impfpflicht zu verbummeln und das Land erst einmal gegen die Omikronwand zu fahren. Wie Lauterbach dennoch weiterhin Liebling der nicht nur politischen Öffentlichkeit sein kann und ein medialer und gesellschaftlicher Aufschrei, der anderen Personen schon fürs bloße Platznehmen in der Bundespressekonferenz sicher war, ausbleiben kann, ist angesichts dessen schleierhaft.

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