Diese in Der Spitzname von der mittlerweile erfolgreichen Schauspielerin Anna Wittmann (Janina Uhse) über die Großfamilie Böttcher-Wittmann-Berger-König getätigte Aussage, dürfte für jene, die Der Vorname sowie Der Nachname aus der Feder von Claudius Pläging gesehen haben, kaum überraschend sein. Für die Angehörigen der Familie jedenfalls ist sie es auch im dritten Namensfilm Sönke Wortmanns nicht.
Drei Generationen…
Schon eher überraschen dürfte es hingegen, dass zur geplanten Hochzeit Annas und des Immobilienmaklers Thomas Böttcher (Florian David Fitz) in einem Luxus-Ressort in den Tiroler Alpen die Kinder von nun Ex-Professor Stefan Berger (Christoph Maria Herbst) und Lehrerin auf Drei-Fünftel Stelle Elisabeth Berger-Böttcher (Caroline Peters) erscheinen. Ja, wirklich! Wir lernen Antigone (Kya-Celina Barucki) und Cajus (Jona Volkmann) tatsächlich kennen.
Was einigen frischen Wind in die eingeschworen streitende Familiengruppe bringt. Mit Antigone kommt zudem ein woker Freigeist dazu. Eine Rolle, die sonst primär Mutter/Großmutter Dorothea König (Iris Berben) zukam. Nun gehen diese beiden hier eine Art Komplizinnenschaft ein. Eine, die Mutter Elisabeth und Tochter Antigone so vermutlich nicht haben könnten. Schon allein, da das Verhältnis von Eltern und Kind ein anderes ist, als jenes von Großeltern und Enkel*innen.
…mehr Offenheit,…
Nach dem hochgradig relevanten, arg witzigen Kammerspiel Der Vorname (der noch auf der französischen Vorlage Le Prénom basierte), dem auf Lanzarote spielenden eher kauzig-zotigen und mittelmäßigen Der Nachname sind wir nun also in einem Hotel mit Chalets in Osttirol in Österreich (gedreht wurde im Gradonna Mountain Resort in Kals am Großglockner) und erleben diverse Szenenwechsel. Von Autos zu Hotelzimmern, Restaurants und Saunen, Bergen und Gondeln. Ein Spielfilm mit verschiedenen (von Andreas Berger schön gefilmten) Spielorten also.
Ganz passend dazu ist auch die Handlung offener. Oder viel eher sind es die diversen Debattenthemen, die dieses Mal für Spaltung und Haarspalterei in der krawalligen Familie sorgen. Neben dem üblichen Stänkern Stefans gegen Schwager Thomas und dessen Verlobte Anna gepaart mit seinem Kulturpessimismus, zu dem sich dieses Mal noch Bitterkeit gesellt, erleben wir vor allem einen familiären Konflikt zwischen Elisabeth und Antigone.
…mehr Debatte,…
Diese nimmt selten ein Blatt vor den Mund, tut ihre Meinung offen kund und wenn das jemanden aus ihrer Sippe vor den Kopf stößt: so be it! Das fängt schon damit an, dass sie, herrje, gendert! Dass sie für Unisex-Toiletten ist und direkt mal erläutert, dass es eben mehr als zwei Geschlechter gibt. Während sich Thomas, der vor einer Beförderung ein Sensitivity-Training einer Coachin (Mareike Fell) bestehen muss, auf seine lakonische Art eher allgemein lustig macht, scheinen für Antigones Eltern alle Wahrheiten außer Kraft gesetzt, wenn es um derlei Themen geht.
Einsatz Dorothea, die ihrer Enkelin hier Stütze ist und manches Mal schon mit einiger gelassener Belustigung dabei zusieht, wie sich der Rest da so reinsteigert. Doch hat auch sie ihre eigenen Probleme: Gatte Rene (Justus von Dohnányi) ist zum Helikopter-Vater der von einer Leihmutter ausgetragenen Zwillinge geworden. Weshalb er a) später in Tirol eintreffen wird und sich Dorothea b) einige Wochen zurückgezogen hatte. Scheinbar.
…mehr Geheimnisse,…
Scheinbar ist ein solides Stichwort für Der Spitzname. Mehr noch als die Vorgängerfilme der Trilogie (wobei ein vierter Teil nicht gänzlich ausgeschlossen ist, so die Macher) werden viele Andeutungen gemacht, ominöse Blicke ausgetauscht und Halbsätze als Vollwahrheiten gelesen. Was für zusätzlichen Zündstoff in der Familie und durchaus manche Spannung bei den Zuschauer*innen sorgt.
Und während Anna sich nichts sehnlicher als eine ruhige, friedliche Hochzeitszeit wünscht, schaukeln Mensch und Handlung sich nach und nach hoch, bis sich in der in der Luft hängenden Gondel schließlich so manches überschlägt. Das Geschehen dabei immer untermalt von der schon beinahe im ironisch-entsptannten Kontrast stehenden Musik Helmut Zerletts.
Dafür allerdings muss auch Claudius Pläging in seinem Drehbuch so manche Finte schlagen, was nicht immer so recht gelingen mag. Immerhin funktionieren die Witze besser als im zweiten Teil und überhaupt wirkt das Ensemble – mitsamt den Neuzugängen Barucki und Volkmann – in Der Spitzname wieder eingespielter. Manch eine Debatte im Film erinnert sehr an Alter weißer Mann, der kurz zuvor ins Kino kam. Sei es gendern und gender, Generationenkonflikte (gut, die sind oft Thema), ein heimliches Einkommen eines Familienmitglieds oder auch ein angedeutetes Coming-Out, das anders ausfällt, als erwartet.
…mehr Ansichten…
So oder so: Der Spitzname dürfte für solche und solche Reaktionen beim Publikum sorgen. Nicht nur, dass jede*r einen anderen Film sieht, auch dürfte die An- wie Aufnahme manch einer Problematik sehr unterschiedlich ausfallen. Das kann wohl mit dem Verhältnis von Anna und Stephan verglichen werden, die Situationen und Menschen komplett divergent wahrnehmen.
Dass dem so ist, haben wir auch auf der Pressevorführung in einem recht vollen Saal erlebt. „Man lacht mit ein paar hundert Leuten im Saal einfach anders als allein vor dem Fernseher. Es gibt nichts über das Gemeinschaftserlebnis, das man gerade bei einer Komödie im Kino genießen kann“, sagt Produzent Christoph Müller. Damit liegt er natürlich richtig. Ebenso erlebt mensch natürlich auch, welche Einstellung bei diesem oder jener Zuschauer*in (vermutlich) vorherrscht. Das ist manches Mal individuell irritierend, immer aber recht interessant.
…und weniger Lösung.
Für jene, die die Vorgängerfilme gesehen haben, ist Der Spitzname sicherlich ohnehin gesetzt. Für alle anderen steht die Frage im Raum, ob der Film funktioniert, wenn ihr diese nicht kennt. Bedingt. Kann klappen, vieles erklärt sich aber doch aus den vorhergehenden Namens-Nummern. Insofern im Zweifel schnell mal beim Streamingdienst eures Vertrauens nach Der Vorname und Der Nachname suchen.
Wir mochten ihn. Wenn das Ende auch allzu abrupt kommt und die Auflösung des großen Geheimnisses um Thomas, diverse Körperstellen und Fotos etwas… seltsam und letztlich nicht auserzählt ist. Gleiches gilt für die Non-Katharsis zwischen ihm und Anna, die nach unserer Meinung erst einmal zur Paartherapie statt in die Ehe sollten. Umso befriedigender dafür allerdings, was es denn nun mit dem Spitznamen wirklich auf sich hat.
AS
PS: In der Rezension zu Der Nachname schrieben wir übrigens, dass ein möglicher dritter Teil Der Zweitname heißen könnte. Tatsächlich stand wohl kurz die Überlegung im Raum, einen Film zu Doppelnamen zu drehen. Da dies allerdings mittlerweile ein weit weniger kontroverses Thema ist, als noch vor 20 oder 30 Jahren, habe man das verworfen, wie Autor Claudius Pläging erläutert.
Der Spitzname ist ab heute im Verleih von Constantin Film im Kino zu sehen.
Der Spitzname; Deutschland, Österreich 2024; Regie: Sönke Wortmann; Drehbuch: Claudius Pläging; Bildgestaltung: Andreas Berger; Musik: Helmut Zerlett; Darsteller*innen: Iris Berben, Florian David Fitz, Christoph Maria Herbst, Caroline Peters, Justus von Dohnányi, Janina Uhse, Kya-Celina Barucki, Jona Volkmann, Julia Rosa Peer, Mareike Fell; Laufzeit ca. 90 Minuten; FSK: 6; Eine Produktion von Constantin Film in Koproduktion mit Epo-Film
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