Harte Schönheit raus aus der dunklen Nische

ACHTUNG: 18+ / NSFW-Beitrag.

In seinem ersten Bildband Uncensored – My year behind the scenes with Michael Lucas and his Models, den er seinem Ehemann widmete, folgte der in New York lebende Fotograf Kenneth Gruenholtz einigen Drehs des im Titel genannten Pornofilm-Labels sowie den Models, vor allem vor und nach den einzelnen Szenendrehs. Dabei entstanden, wie wir in unserer Rezension schrieben, einige wunderbare Fotografien von Nähe, Ironie, Menschlichkeit, aber auch manch politisch konnotierter Moment. All dies abgebildet mit nicht selten erigierten Schwänzen. 

© Gruenholtz/Salzgeber

Da scheint es nur folgerichtig, dass der Folgeband, der kürzlich, wie der Vorgänger auch, im Salzgeber Verlag erschienen ist, The Fine Art of Erections heißt. Ebensowenig wundert es, dass wir hier auf ein, zwei Fotografien stoßen, die uns auch schon aus Uncensored bekannt sind. Mehr dürften es allerdings wahrlich kaum sein. 

Körpergebäude

Umso faszinierender ist die Bandbreite der gut über einhundert Fotografien — mag das Thema „Erektionen“ doch auf den ersten Blick einseitig erscheinen. Andererseits gehen wir für gewöhnlich auch nicht davon aus, dass beispielsweise Architekturfotografie mit siebzehn Fotografien abgedeckt wäre. Denn wir wissen: (Beinahe) Jedes Gebäude ist anders. Genau so verhält es sich mit Körpern und Erektionen. 

Dem, es muss wohl kaum betont werden, aber dennoch: hochwertig aufgemachten Fotoband vorangestellt ist ein Zitat, das Gruenholtz in der Richard-Avedon-Biografie von Philip Gefters gefunden hatte. Er schreibt, es habe ihm dabei geholfen, herauszufinden, was genau er mit diesem Band wolle. Denn klar war: Es sollte kein Band über Sex werden. In dem Zitat geht es darum, wie Avedon einmal den Balletttänzer Rudolf Nurejew ablichtete — in Paris, kurz nachdem er erfolgreich dem sowjetischen Regime entkommen war

„…und während ich ihn weiter fotografierte, hob er langsam die Arme, und mit den Armen hob sich auch sein Penis. Es war, als würde er mit jeder Faser seiner selbst tanzen. Für mich einer dieser seltenen Momente, die nicht in Worte zu fassen sind — zu schön, um wahr zu sein.“

Automatikfunktion

Gruenholtz merkt dazu einigermaßen launig an: „Wenn einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts eine spontane Erektion für die Manifestation überirdischer Schönheit halten durfte, hatte ich mein Organisationsprinzip gefunden.“ Somit bildet The Fine Art of Erections in erster Linie Erektionen ab „zu denen es einfach so kam, ungewollt und ungeplant.“ Ein paar wenige Ausnahmen dürfte es dabei gegeben haben. Sehen wir doch unter anderem ein Model, das zuvor gegen einen Spiegel gespritzt hat oder eines, das sich (scheinbar) selbst befriedigt. 

© Gruenholtz/Salzgeber

Das ist nun aber einmal so — wer einen Ständer hat, fasst ihn gelegentlich wohl auch an. Und dass es für manche zusätzlich an- und erregend sein dürfte, sich vor der Kamera auszuziehen und dabei schon mal ganz von selbst was wächst, dürfte die wenigsten wundern. Der Autor dieser Zeilen jedenfalls spricht aus eigener — guter — Erfahrung. Das „Klick, klick, klick“ einer Kamera kann also durchaus dafür verantwortlich sein. Nicht jedes Model muss sich (künstlich) genieren, wie es bei jenen von Phil Dlab oftmals der Fall zu sein scheint (und als Narrativ natürlich funktioniert).

Fantasiereich

Die Fotografien, die in diesem Band, der in seiner Gliederung etwa dem Tagesverlauf von morgens bis abends folgt, mit einer 60/40-Mischung Schwarz-Weiß und Farbe daherkommen, changieren zwischen kunstvoller Inszenierung (inklusive einiger sehr ästhetischer Bondage-Fotos), spontaner Aufnahme und immer gern gesehenen (After)-Shower-Pictures. Manche Models stretchen, andere bewundern, hier und da umklammern sie sich. Zwar haben wir es vorrangig mit Solo-Fotografien zu tun, nicht aber ausschließlich. Auffällig ist zudem die Dichte an Fotografien, auf denen Füße und Socken nicht immer ganz zufällig ins Auge stechen.

© Gruenholtz/Salzgeber

Dabei, ganz ähnlich dem ersten Band, ist Erections eine feine Synkrise aus purer Erregung und manches Mal schon fast rätselhafter Erotik. Allein durch dieses spannende Zusammenführen, scheinbar Widersprüchliches miteinander in Einklang zu bringen, unterscheidet Gruenholtz Fotografie von Pornografie. (Was natürlich nicht heißt, dass diese Bilder nicht durchaus die Fantasie anregen dürfen.)

Ausgestellt

Umso erstaunlicher ist die Anekdote, mit der Gruenholtz das Vorwort von The Fine Art of Erections einleitet. Im Jahr 2020 sollte es in einer Galerie eine Ausstellung zu seinem Band Uncensored geben — immerhin entstanden im Rahmen von Porno-Shootings, wenn es sich in dem Band auch mitnichten ausschließlich um XXX-Pics handelt; bei Erections übrigens ebensowenig — und die Galerie behielt sich das Recht vor, über die Auswahl der Bilder zu entscheiden. So weit, so semi-heikel. 

© Gruenholtz/Salzgeber

Nun traf diese Galerie also die Auswahl und der Fotograf, dem wir mal unterstellen, dass er mit seinem eigenen Werk vertraut sein dürfte, stellte schnell fest, dass etwas fehlte. Es waren Bilder von Models mit Erektionen. Na hoppala! Das ist doch schon komisch. Und schade. Wie kann denn Nacktheit und die Natürlichkeit des Körpers aus einer Psssscht!-Schmutz-Nische geholt werden, wenn nicht einmal Galerien, die sich entscheiden quasi nackte, schwule Kunst zu präsentieren, den harten Schwanz ausstellen? Zumal, nun, der schon nicht unwesentlicher Teil der Fotokunst Gruenholtz’ ist.

Ausgegrenzt

Gehört nicht auch dies zur Meinungsfreiheit? Wie ich die Kunst ausdrücke. Umsetze. Gestalte. Präsentiere. Natürlich können hier Räume geschaffen werden, um den Zugang Minderjähriger zu vermeiden. Andererseits wüsste der Autor dieser Zeilen nicht, was an Brustwarzen, Vulven, Schwänzen — ob schlaff, halbhart (auch nett) oder harthart — bedrohlich sein sollte. Der Verlag schreibt ganz richtig: „Auch heutzutage gilt dieses Sujet in der Kunst weitgehend als Tabu.“ 

© Gruenholtz/Salzgeber

Das stimmt. Sie werden nur mit, wie angedeutet, Warnung gezeigt. In den sozialen Medien zensiert, gelöscht, blockiert. Gruenholtz erwähnt gar, dass sein erster Agent ihm kündigte, als er diesem eröffnete, von nun auch Erektionen zeigen zu wollen. Und weiter: „Künstlerkollegen brachen den Kontakt zu mir ab; Freunde und Verwandte äußerten sich so missbilligend, dass ich mich an den Pranger gestellt fühlte. Wenn Künstler dazu genötigt werden, Erektionen aus ihren Werken zu verbannen – und die meisten Künstler halten sich daran –, wird die breite Öffentlichkeit sie nur noch im Kontext von Pornografie zu sehen bekommen; und das wiederum führt dazu, dass die Darstellung von Erektionen mit Pornografie gleichgesetzt wird.“

Ausgezeichnet

Genau darin liegt das Problem: Indem wir die Dinge wegsperren, üben sie nicht nur den Reiz des Verheimlichten auf jüngere Menschen aus. Nein, sie werden auch immerfort den Anstrich des Verruchten, Verbotenen, Verwerflichen beibehalten. Willkommen im viktorianischen Zeitalter

Ein Bild, das sich auch schon in Uncensored fand. Gruenholtz über dieses schöne Foto: „Abgesehen von einem leisen Kitzel, fängt dieses Bild die unerwartete Schönheit der unverkrampften Nähe zwischen den Models ein – und den Mond, der gerade aufgegangen war. Ja, ich finde nicht einmal, dass es besonders erotisch ist. Und wenn man dem gängigen Verständnis folgt, wonach Pornografie vor allem dazu dient, sexuelle Erregung zu erzeugen, glaube ich nicht, dass das Bild dem entspricht.“ Word. // © Gruenholtz/Salzgeber

Bitte nicht! Wir sollten uns also vielleicht einmal die Frage stellen, warum wir sowohl der Wort- als auch der Bildkunst nicht die Freiheit geben, die sie doch angeblich haben. Kunstfreiheit. Meinungsfreiheit. Alles nur leere Schlagworte? Solche, wie sie gern einfach mal irgendwohin gestreut werden — ohne Angst ihnen folgen zu müssen, da mensch sie mit nichts zu füllen gedenkt? 

Bitte nicht! Einteilungen sollten überdacht, Abstufungen getroffen, Abstrafungen unterlassen werden. Der Körper ist etwas Wunderbares. Etwas Schönes. Etwas, das es sich zu betrachten und wertzuschätzen lohnt. Natürliches, das Kunst ist und in abgebildeter Form erst recht nochmals auf besondere Art und Weise sein kann. So verhält es sich auch mit Erektionen. Gruenholtz’ wunderbarer und eleganter Fotoband The Fine Art of Erections ist der knapp 180-seitige Beweis dafür. 

AS

Gruenholtz: The Fine Art of Erections; 1. Auflage, März 2023; Hardcover, gebunden; 176 Seiten, 108 Abbildungen in s/w und Farbe; 32 x 24 cm; Texte in deutscher und englischer Sprache; ISBN: 978-3-95985-665-2; Salzgeber Buch; 59,00 €

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