[Achtung: Enthält Spoiler zur Handlung von Tatort: Trotzdem und zum Ausstieg Dagmar Manzels.] // Beitrahsbild: Die beiden Kriminalhauptkommissare Felix Voss (Fabian HInrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) befragen Karl Dellmann (Fritz Karl, rechts) // © BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller
„…I’ve come to talk with you again
Because a vision softly creeping
Left its seeds while I was sleeping
And the vision that was planted in my brain
Still remains
Within the sound of silence.“
Als Dagmar Manzel aka Paula Ringelhahn diese Zeilen des Simon & Garfunkel-Evergreens „Sound of Silence“ a capella und beeindruckend tröstlich-untröstlich zum Abschied im Büro vor versammeltem Team singt, ist im Tatort: Trotzdem nicht nur ein Kind in den Brunnen gefallen. Dies lediglich sprichwörtlich. Dennoch sind die Geschlagenen und Getöten am Ende im Prinzip allesamt Kinder. Erwachsene zwar, aber doch die Kinder.
Kunst und Schmerz
Dieser durchaus tragische Tatort, der dennoch im Dunklen auch immer wieder nach dem Licht schaut, gleicht stellenweise eher einem (Familien-)Drama als einem klassischen Krimi. Dies liegt auch daran, dass uns eine Täterin bekannt ist. Länger nicht bekannt ist uns, ob der Bruder von Maria (Mercedes Müller) und Lisa Kranz (Anne Haug), Lenni (Neil Körger), tatsächlich unschuldig im Knast saß. Dass ihn dort alle mochten, bedeutet noch lange nicht, dass er seine Freundin nicht doch vor einigen Jahren erschlagen hat.
Sicher wissen wir allerdings, dass er sich am Ende eines kunstvollen Vorspanns (Bildgestaltung: Christoph Krauss, Montage: Mona Bräuer) in seiner Zelle erhangen hat. Dies weckt erneut Zweifel in Nürnbergs Polizeichef Dr. Kaiser (Stefan Merki) an Lennis Schuld, die er schon seit Langem insgeheim hegte. So bestellen die Kommissar*innen Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel), Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) erneut vier damals ebenfalls Verdächtige ein, überprüfen ihre Alibis ein weiteres Mal und checken deren Hintergrund.
Kurze Zeit später ist der ehemals Verdächtige Stephan Dellmann (Justus Johanssen), der Sohn des wolhhabenden Ehepaares Karl (großartig: Fritz Karl) und Katja Dellmann (immer gern: Ursina Lardi) tot. Er wurde vom Balkon seines Luxusappartments geschubst. Es findet ihn ausgerchnet sein Bruder Ben (Ben Münchow, 791 km). Zuvor sah er noch die Kranz-Schwestern in der Nähe des Tatorts. Die Dellmanns zählen eins und eins zusammen und sind sich einer Sache so sicher wie wir: Die Schwestern sind für den Tod des geliebten Sohnes bzw. Bruders verantwortlich.
Meisterhaft
Wie schon zuletzt im Schwarzwald überwiegt auch im fränkischen Nürnberg das Schweigen. Ob es die Schwestern Kranz sind, Lisas Freund Maik (Florian Karlheim) oder auch die Dellmanns, allen voran Vater Karl – außer Schmu hat niemand viel zu Ringelhahn und Voss zu sagen. Die den Fall natürlich wieder in ihrer sich unnachahmlich ergänzenden Art von durchdachter Hitzigkeit und dem ruhigen Blick aufs Innere angehen.
So gibt es in Trotzdem eine famose Gesprächssituation zwischen den zwei Ermittelnden und Karl Dellmann in der Halle seines Recyclingunternehmens (m.W.n. gedreht im eindrücklichen Foyer der Meistersingerhalle Nürnberg). Dieser Moment, auch wieder wunderbar gefilmt und von den Regisseuren Max Färberböck und Danny Rossnes klasse inszeniert, ist so voller Andeutungen, stiller Momente des Erkennens und des Wissens um die Intentionen der jeweils anderen Seite. Ganz großes Kino, auch dank des ausgezeichneten Buches ebenfalls von Max Färberböck sowie Stefan Betz.
Exkurs
Vor allem Dagmar Manzel spielt in diesem Moment im Grunde alles aus, das Bettina Ricklefs, Programmbereichsleiterin Spiel-Film–Serie beim Bayerischen Rundfunk, in ihrem Abschiedsstatement positiv hervorhebt:
„Es war eine Freude mitzuerleben, wie Dagmar Manzel ihre Figur der Paula Ringelhahn mit Präzision, Klugheit, Tiefe und großem innerem Reichtum lebendig werden ließ. Paula: immer fokussiert auf ihre Zusammenarbeit mit Felix Voss, provokant und zugleich ausgleichend, überraschend und immer beharrlich, mit großem Gespür für die Menschen und ihre seelischen Geheimnisse. Dagmar Manzel hat diese Rolle mit eindrücklicher Präsenz erfüllt und den Tatort aus Franken maßgeblich mitgeprägt.“
Das können wir nur unterschreiben. Vor allem nachdem der Rezensent in der Vergangenheit auch die wirklich starken Nürnberg-Tatorte Der Himmel ist ein Platz auf Erden, Ich töte niemand sowie Die Nacht gehört dir gesichtet hat. (Für die übrigens ebenfalls Max Färberböck verantwortlich zeichnet, wie auch für den hart guten München Tatort: Mia san jetz da wo’s weh tut; Buch alle gemeinsam mit Catharina Schuchmann.)
Einstürzende Gebirge
Nun schweigen die Beteiligten nicht ausschließlich den Ermittlern gegenüber, sondern auch ihren Angehörigen. Ziehen sich mehr und mehr in sich selbst zurück, machen die Dinge mit sich selbst aus. So zieht Vater Dellmann, der selber schon einmal wegen Mordes im Gefängnis saß und dort sein Leben in die richtigen Bahnen zu lenken verstand, Hans Drescher (Gerhard Liebmann, famos wie in Eismayer), der ihm noch was schuldig ist, sagen wir mal… zu Rate.
Im Text des Senders zum Tatort: Trotzdem heißt es: „Wie in einem teuflischen Dominospiel überschlagen sich die Ereignisse in Nürnberg – an dessen Ende sich zwei Familien, vereint in Trauer und Verlust, getrennt durch Wut und Schuld gegenüberstehen.“ Passender lässt sich das nicht formulieren. Dieses „teuflische Dominospiel“ zeigt einmal mehr, was in vielen True-Crime-Formaten gern oft gesagt wird: Ein Tod, ein Mord, betrifft niemals nur eine Person, beziehungsweise mit Täter und Opfer zwei.
Nein, es sind die Familien, die genauso sehr betroffen sind. Die nicht selten auseinandergerissen, innerlich erschüttert und zerstört werden. Das sind dann nicht mehr nur Bruchlinien, das sind Mark erschütternde einstürzende Gebirge, das Innere wie Äußere in den Abgrund reißend.
Perfektes Krimi-Drama
Am Ende dieses visuell wie inhaltlich imponierenden Tatorts, der klar macht, dass nur ein kleiner Moment, eine Fehlentscheidung, eine Ad-hoc-Handlung ausreichen, um alles mühsam Errichtete zu vernichten, zählen wir binnen weniger Tage sechs bis sieben Tote. Das ist dieses Mal vor allem besonders tragisch, da jede*r meinte, das Beste zu wollen. Kein Tod wirklich beabsichtigt schien. Jeder vermeidbar gewesen wäre. Niemand handelt hier aus Habgier oder Mordlust und trotzdem: ein halbes dutzend Getöter und weitere Leidtragende dazu.
Immerhin mischt sich in dieses Düstere, dieses Tragische nicht auch noch so ein, sorry, Mist wie im ohnehin dünnen Tatort: Was bleibt, in welchem der Ausstieg Julia Groszs aka Franziska Weiszs völlig unnötig mit ihrem Tod verknüpft wurde. Paula Ringelhahn, die zunächst gemeinsam mit einem von ihrem Abschied in den Ruhesteand überraschten Voss beim Sekt-Ausstand zum Einsatz gerufen wird, geht mit oben erwähntem Lied und einem abschließenden, sehr typischen Paula-Felix-Austausch sowie einer herrlichen Schlusseinstellung.
Uns bleibt, neben der Anmerkung, dass dieses im Grunde perfekte Krimi-Drama voller Schauspielklasse ein fantastischer und angemessener Ausstieg für Dagmar Manzel ist, zum Ende erneut ein Auszug aus dem Statement Bettina Ricklefs‘:
„Sie wird uns fehlen im Franken-Team, und wir danken ihr von Herzen für dieses große Schauspielgeschenk.“
Adé und Auf Wiedersehen!
AS
PS: Natürlich möchten wir euch die Worte Dagmar Manzels zum ihrem Weggang auf eigenen Wunsch nicht vorenthalten: „Wenn’s am schönsten ist, soll man aufhören. Paula ist eine spannende und vielschichtige Figur, und ich bin sehr dankbar, dass ich sie gestalten durfte, und gleichzeitig gibt es noch viele andere Sachen, auf die ich unglaublich viel Bock habe. Zum Beispiel Oper inszenieren, mit den Enkelkindern spielen oder mehrere Wochen am Stück Urlaub machen. Es war eine wunderbare, beglückende, intensive, zehnjährige Arbeit mit dem Bayerischen Rundfunk, besonders mit Stephanie Heckner, die leider viel zu früh verstorben ist. Ihr habe ich sehr viel zu verdanken. Zum Beispiel die Drehbücher, die mit ihr zusammen entwickelt wurden, die wunderbaren Regisseure, die sie ausgesucht hat, mit denen ich arbeiten durfte und natürlich auch die vielen interessanten Schauspieler, mit denen ich zusammen vor der Kamera stehen durfte. Jetzt beginnt ein neuer Abschnitt. Ich bin dankbar für diese Zeit. Sie hat mich bereichert und glücklich gemacht, und ich durfte Franken und vor allem die Franken kennenlernen und habe dort immer wieder viele schöne Erlebnisse. Paula bleibt in Franken, und ich will dort auch ohne Paula ab und an Land und Leute genießen.“
Aktuell ist sie übrigens als Katarina Witts Trainerin Jutta Müller in KATI – Ein Kür die bleibt in der ZDF-Mediathek zu sehen; der Film lief zum Tag der Deutschen Einheit im TV.
PPS: Noch in diesem Jahr wird der elfte Franken-Tatort gedreht und 2025 ausgestrahlt. Felix Voss ermittelt dort zunächst allein beziehungsweise im bekannten Team minus Paula. „Wer anschließend in das Team des Tatort Franken kommt, wird in Ruhe entschieden und zu gegebener Zeit bekannt gegeben“, so Bettina Ricklefs.
PPPS: Warum die Tage abgezählt werden, erschließt sich mir nicht so recht. Gegebenenfalls, um zu verdeutlichen, wie wenig Zeit es braucht, um alles einzureißen?! Sei’s drum.
Das Erste zeigt den Manzel-Abschieds-Tatort: Trotzdem am Sonntag, 6. Oktober 2024, um 20:15 Uhr; anschließend ist er für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.
Tatort: Trotzdem; Deutschland 2024; Regie: Max Färberböck, Danny Rossnes; Buch: Max Färberböck, Stefan Betz; Bildgestaltung: Christoph Krauss; Musik: ; Darsteller*innen: Damgmar Manzel, Fabian Hinrichs, Eli Wasserscheid, Stefan Marki, Mercedes Müller, Anne Haug, Fritz Karl, Ursina Lardi, Ben Münchow, Florian Karlheim, Gerhard Liebmann, Justus Johanssen, Alexander Schmitt, Lisa Marie Kusz, Neil Kröger, Maja Beckmann; Eine Produktion der Hager Moss Film GmbH (Produzentinnen: Kirsten Hager und Diana Chylla) im Auftrag des BR, Redaktion BR: Claudia Luzius
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