Himmelfahrtskommando

Am 7. Juni ist William Anders gestorben, Astronaut der NASA und Fotograf von Earthrise, einem der wohl bekanntesten Bilder unseres Planeten aus dem Weltall. Anders haben wir es zu verdanken, dass wir wissen, wie unser Planet von oben aussieht – ein blauer Planet, den wir dabei sind, mit unserem Handeln zu zerstören.

Die Crew der I.S.S. genießt den Blick – noch // © UIP/Bleecker Street

Ein Szenario, wie wir dies erreichen können, wäre durch einen großen Krieg – gab es ja im 20. Jahrhundert schon zweimal, auch wenn ein großer Nuklearkrieg glücklicherweise noch ausblieb. Nicht so im neuen Actionthriller I.S.S. von Regisseurin Gabriela Cowperthwaite und Autor Nick Shafir, der auf besagter Raumstation spielt und in dem zwischen den beiden Atommächten Russland und USA ein flächendeckender Krieg ausbricht.

Naturzustand im Weltall

Jeweils zwei Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin aus Amerika und aus Russland – also insgesamt sechs Personen – sind auf der Raumstation eingesetzt und gehen ihren Forschungen nach. Unser Hauptcharakter ist die lesbische Amerikanerin Kira Foster (Ariana DeBose), die erst kurz vor Ausbruch des Krieges auf der I.S.S. angekommen und daher weniger versiert im Umgang mit den technischen Gerätschaften ist als die anderen Crewmitglieder.

Kira (r.) und recht Gordon (l.) // © UIP/Bleecker Street

Alle jedoch – so erfahren wir – haben von ihren jeweiligen Regierungen den Auftrag erhalten, die Kontrolle über die Raumstation zu übernehmen, egal zu welchem Preis. Es beginnt also das, was der Philosoph Thomas Hobbes als „Naturzustand“ bezeichnet: Jede*r gegen jede*n oder zumindest „wir“ gegen „die“ – die noch tags zuvor beste Kolleginnen und Kollegen und teils sogar Geliebte waren…

Verbrennen, verglühen, verwelken

Die Forschung tritt hier relativ schnell und wenig überraschend in den Hintergrund. Wer den Krieg auf der Erde begonnen hat, erfahren wir nicht, aber anhand der Bilder, die wir sehen, scheint Amerika unter Beschuss zu stehen oder vielmehr flächendeckend zu verglühen. Die gesamte Erde – und vor allem die zu sehenden Landmassen, die eben eher an die USA erinnern – leuchten brennend rot, was allerdings nicht die einzige unwahrscheinliche Darstellung in diesem Thriller ist. Selbst in der heißesten Phase des Ukrainekriegs brannte schließlich nicht das ganze Land lichterloh…

© UIP/Bleecker Street

Die drei amerikanischen Besatzungsmitglieder – neben Kira sind dies Gordon Barrett und Christian Campbell (Chris Messina und John Gallagher Jr.) – kämpfen gegen die drei russischen Kolleg*innen Alexey und Nikolai Pulov (Pilou Asbæk und Costa Ronin) sowie Weronika Vetrov (Marsha Mashkova). Auch wenn es scheinbar immer gewisse Vorbehalte gegeneinander gab, diese abrupte Feindschaft kommt schon sehr plötzlich.

Scheinbar bedingungslose Gewalt

Es ist erstaunlich, mit welcher Unerbittlichkeit sechs eigentlich sehr gebildete Menschen, die wissen, dass sie eigentlich im halbwegs sicheren Seiten-Aus stehen, nicht auf die Idee kommen, durch Diplomatie diesen Konflikt, deren Ursache sie ja auch selbst nicht kennen, beizulegen. Andererseits: Auch die Völker Jugoslawiens oder Armenier und Aserbaidschaner lebten lange Zeit friedlich nebeneinander – mit jeweils bekanntem Ausgang. Die recht plötzlich ausbrechende und scheinbar bedingungslose Gewalt innerhalb der Crew verwundert jedoch trotzdem.

Skeptische Blicke und viel Sorge – Civil War oder so… // © UIP/Bleecker Street

Das trägt aber auch dazu bei, dass es durchaus spannungs- und actionreich in diesem Film zugeht. Jede und jeder misstraut erst einmal allen anderen und tut daran auch sehr gut und so ist dies eine wunderbare Parabel auf eines der Grundprinzipien der internationalen Beziehungen – eben besagter Naturzustand.

Abwechslung von den Sportbustern

Selbst im eigenen Lager kann mensch sich der Loyalitäten eben nicht immer sicher sein. Allerdings ziehen sich manche Szenen am Ende doch arg und unnötig in die Länge, manches wirkt redundant und vermutlich hätte dieser Film auch mit 75 statt 96 Minuten auskommen können. Das machen auch die starken Darstellerinnen und Darsteller sowie manch (!) ein gut geschriebener Dialog oder der stimmige Score von Anne Nikitin nur bedingt wett.

Alexey (Pilou Asbæk) und Kira (Ariana DeBose) // © UIP/Bleecker Street

Alles in allem aber ist I.S.S. ein halbwegs spannender Thriller, der uns in diesem Sommer begleiten kann. Anders als im letzten Jahr mit Oppenheimer oder Barbie handelt es sich bei dem Film zwar nicht um Blockbuster- oder gar Oscarmaterial, aber wer zwischen FußballEuropameisterschaft und Olympischen Spielen einmal ein wenig Auszeit vom Sport braucht, bekommt bei I.S.S. zumindest einigermaßen gute Unterhaltung geboten.

HMS

PS: Am heutigen 20. Juli ist übrigens Weltraumforschungstag, wie wir Dank des Katzen Taschenkalenders 2024 aus dem Verlag Schöffling & Co. wissen. Außerdem jährt sich heute zum 80. Mal das so genannte Stauffenberg-Attentat. Dazu gibt es in Kürze Rezensionen zu einem für den Deutschen Sachbuchpreis 2024 nominierten Titel von Ruth Hoffmann sowie einem von Dörte Schipper aus der im Piper Verlag erscheinenden Reihe Schicksalsmomente der Geschichte. In der Reihe erschien kürzlich auch ein Roman zur Mondlandung und mit To the Moon von Greg Berlanti ist vergangene Woche eine DramaKomödie zum Thema in die Kinos gekommen – Rezensionen zu beiden folgen.

I.S.S. ist seit dem 18. Juli 2024 in unseren Kinos zu sehen.

I.S.S.; USA 2023; Regie: Gabriela Cowperthwaite; Buch: Nick Shafir; Bildgestaltung: Nick Remy Matthews; Musik: Anne Nikitin; Darsteller*innen: Ariana DeBose, Chris Messina, Pilou Asbæk, Masha Mashkova, John Gallagher Jr., Costa Ronin; FSK: 12; Laufzeit ca. 96 Minuten; im Verleih von Universal Pictures

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