Beitragsbild: Daniel Weinert (Florian Lukas) hat etwas zu verbergen: Falke (Wotan Wilke Möhring,re.) und Eve Pötter (Lena Lauzemis) nehmen den ehemaligen Klosterschüler in die Mangel // © NDR/Kai Schulz
Wie könnte ein Jahr besser beginnen, als sich mit sich selbst und den eigenen Sünden und Fehltritten auseinanderzusetzen? Klar, auch zum Jahresende ist das gängige Praxis, aber Anfang und Ende gehen ohnehin ineinander über. Pünktlich zum 1. Advent startet vielleicht nicht das neue Kalender-, aber zumindest das neue Kirchenjahr. Und da die katholische Kirche es mit der Sündenvergebung bekanntermaßen hat, strahlt Das Erste mit dem Tatort: Schweigen an diesem Abend einen passenden Fall aus.
Innere Einkehr
Thorsten Falke (Wotan Wilke Möring) braucht eine Auszeit, ist nach dem unnötigen und bis heute ärgerlichen Tod seiner Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) für eine Weile in einem Kloster gelandet. Vermutlich eine Anordnung seines Arbeitgebers, denn er liegt Pfarrer Otto (Hannes Hellmann) mit einer „Bescheinigung für den Arbeitgeber“ in den Ohren. Deutsche Bürokratie eben, aber Hauptsache Falke findet seine Achtsamkeit wieder.
Otto wiederum liegt nach kurzer Zeit verkohlt in seinem Wohnwagen, der an Falkes letztem Abend mutmaßlich angesteckt wurde. Falke ist zwar nicht als Ermittler vor Ort, greift aber der örtlichen Kollegin Eve Pötter (Lena Lauzemis) in ihrer scheinbar ersten Mordermittlung unter die Arme – und deckt dabei ein ganzes Nest von Pädophilen auf, das die gesamte Kirche vor Ort in ein düsteres Licht stellt.
Düster – nicht nur im Advent
Wir könnten uns nun die Frage stellen, ob der 1. Advent ein passender Zeitpunkt ist, einen Tatort zu zeigen, der ein solch düsteres Thema behandelt. Die Antwort sollte aber klar sein: ja, natürlich. Niemand fragt die Opfer von Missbrauch und sexualisierter Gewalt, ob es ihnen gerade passt, dass sich jetzt jemand an ihnen vergeht oder sich die Bildchen, die sie „so begehrenswert“ – so ein Täter in diesem Film – machen, ansieht.
Sie müssen den Rest ihres Lebens mit der Scham und dem Stigma des Missbrauchs leben, wie an Daniel Weinert (Florian Lukas) in Schweigen deutlich wird. In ihm wird die ganze Schwere des Verbrechens deutlich – auch des Vertuschens und Darüberhinwegsehens inner- wie außerhalb der Kirche. Wer gerade bei einer Institution, die lange Hexen verfolgen ließ und Vergebung predigt, jedoch selbst systematisch gegen ihre Grundsätze verstößt, Rücksicht anmahnt, sollte sich lieber mit der belastenden Situation der Opfer (Bester Mann?) auseinandersetzen.
Mit Mut und Fingerspitzengefühl
Es bedarf eines gewissen Mutes wie auch einer großen Menge an Fingerspitzengefühl, sich solch einer schweren Thematik filmisch zu nähern und dennoch einen einigermaßen spannenden Fall daraus zu machen. Mit Regisseur Lars Kraume, dessen Sohn Jakob die nicht ganz unwichtige Rolle des Lukas Pötter spielt, hat der NDR an dieser Stelle jedoch einen Mann engagiert, der bereits andere schwere Themen aufgearbeitet hat.
Zuletzt und sehr erfolgreich hat er dies in seinem Film Der vermessene Mensch bewiesen, der die Verbrechen des Deutschen Kaiserreichs im heutigen Namibia aufarbeitet. Kraume setzt auch in Schweigen richtige Akzente, lässt seine Figuren laut werden, wenn es nötig ist, aber auch Momente der Stille und des Innehaltens zu. Manchen mag das getragen vorkommen, den Fall vielleicht auch in die Länge ziehen. Aber das sollte eher als eine Modulation der jeweiligen Stimmung gesehen werden, die dieser Thematik angemessen erscheint.
Die durchweg guten und glaubhaften schauspielerischen Leistungen eigentlich aller Figuren sowie das Drehbuch von Stefan Dähnert, die unaufdringliche und dennoch eindringliche Musik von Christoph Kaiser und Julian Maas sowie die Kameraführung von Anne Bolick tragen dazu bei, dass dieser Übergangsfall, in dem Falke kurzzeitig allein ermittelt (wenn er bei der Sichtung des Materials auch von der LKA-Beamtin Schwerdtfeger, Julia Jendroßek, unterstützt wird), mit schweren, aber dennoch wichtigen Gedanken die scheinbar so besinnliche – und wahrscheinlich für die meisten eher hektische – Weihnachtszeit gebührend einleitet.
HMS
PS: „Wie war der so der Pfarrer, als Kollege. Oder wie sagt ihr?“ – „Als Mensch?“
PPS: „Außerdem besteht akute Flucht- und Verdunklungsgefahr.“ – „Sprichst du jetzt von der Mafia?“ – „Nee, von der katholischen Kirche.“
Das Erste zeigt den Tatort: Schweigen am Sonntag, 1. Dezember 2024, um 20:15 Uhr und um 21:45 Uhr ist der Tatort auf one zu sehen; anschließend ist der Film für ein Jahr in der ARD-Mediathek verfügbar.
Tatort: Schweigen; Deutschland 2024; Regie: Lars Kraume; Drehbuch: Stefan Dähnert; Bildgestaltung: Anne Bolick; Musik: Christoph Kaiser, Julian Maas; Darsteller*innen: Wotan Wilke Möhring, Florian Lukas, Lena Lauzemis, Sebastian Blomberg, Falilou Seck, Julia Jendroßek, Sebastian Klein, Hannes Hellmann, Michael del Coco, Jakob Kraume; Eine Produktion der Nordfilm GmbH im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks für Das Erste.
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