[Beitragsbild: Emma Riedle (Irene Böhm) war wegen des Wegzugs ihrer Schwester tief verletzt und fühlte sich im Stich gelassen. Mit Thorsten Lannert (Richy Müller,l.) und Sebastian Bootz (Felix Klare) will sie am liebsten gar nicht reden // © SWR/Benoît Linder]
Das Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern ist nicht immer einfach. Vor allem wenn die Kinder flügge werden und, pfui, ein eigenen Kopf und Willen nicht nur entwickeln, sondern diesen mit jenem gar durchsetzen. So macht es Hanna Riedle (Mia Rainprechter), die eher weniger Lust hat, den Gasthof der Eltern Luise (Julika Jenkins) und Hannes (Moritz Führmann), inklusive möglicher Pflege dieser, in einem urig-schwäbischen Dorf zu übernehmen.
„Das will ich aber net.“
Stattdessen verschlägt es sie in die provinzielle Großstadt Stuttgart, wo sie eine Lehrer als Schreinerin anfängt (das ist nicht mehr Friedrich Merz‚ Deutschland!). Tragischerweise verschlägt es sie allerdings auch ermordet in die Büsche. Der Leichenfund wiederum verschlägt Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) in Hannas Heimatdorf. Mit Hilfe eines kurzen Streichholzes wird entschieden, dass der Kürzere aus dem Team Lannert-Bootz gleich mal vor Ort bleibt, während der Längere mit dem kleinen Edelwagen des Kollegen und Vater Riedle in die Gerichtsmedizin nach Stuttgart fährt.
Lannert schaut sich derweil im Gasthaus Riedle um, scheint dezent beeindruckt von der unklaren Familiendynamik, die noch durch die eigensinnige Emma (Irene Böhm) angereichert wird. Dass die Familie allerdings mit Trauer und im Falle von Mutter Luise, die immer wieder ihre tote Tochter herbeifantasiert und unter des Teufels Bad zu leiden scheint, auch Reue mehr als beschäftigt ist und als Täter*innen eher nicht in Frage kommen, wird schnell klar.
„Du muscht aba.“
Dafür bietet das heimatliche Dorf eine kleine, feine Reihe Verdächtiger. Da wäre der Ex-Verlobte Martin Gmähle (Sebastian Fritz), den Hanna samt eingerichtetem Neubau zurückließ – und der sie wiedergewinnen wollte. Der ehemalige Mitschüler Marek Gorsky (Timocin Ziegler), der immer schon verliebt in sie war – und der sie nun in Stuttgart stalkte. Der durch und durch seltsame, zu viel saufende und auf konstantem Aggro-Level befindliche Jögi Sütterle (Michael Sideris). Sowie ein paar weitere Dorfgestalten, die eher im Hintergrund scheinen. Doch beim Tatort weiß mensch ja nie.
Und dass in diesem insgesamt 1 280. Fall namens Lass sie gehen von Autor Norbert Baumgarten und Regisseur Andreas Kleinert, keine*r so recht loslassen kann, ist immer wieder deutlich vernehmbar. Alles entwickelt sich gemächlich, schon beinahe schleichend und doch wird es so gut wie nie langatmig. Eindrücklich fangen die Macher*innen den Mikrokosmos Dorf ein, sezieren ihn schon beinahe und werden dabei doch nie abschätzig.
Spezielle Spannung
Dass Kleinert einen guten Blick für das Kleine, das Menschliche in verschiedenen Ausprägungen hat, bewies er schon mit dem getragenen Franken-Tatort: Wo ist Mike? Eine weitere Parallele ist, dass auch hier vor allem eine Figur, ein irgendwie Dorf-Fremder, unter Verdacht gerät. Und als dieser einmal da ist, scheint es kaum mehr ein Zurück zu geben. Der sich verstetigende Meinungsdruck einer kleinen Gruppe, den Täter gefunden zu haben, gepaart mit dem Bedürfnis nach Schadensausgleich und Rache wird eine bitter-ironische Konsequenz mit sich bringen.
Für jene, die geneigt sind, an diesem Sonntag einem latent lakonischen, aktuell akzentuierten und speziell spannenden Tatort zu folgen, der mit einem überaus überraschenden Ende ums Eck kommt, ist Lass sie gehen feinste Krimikost (und lässt gar Raum für einen Nachfolgefall in einigen Jahren).
AS
PS: Rechtsmediziner Dr. Daniel Vogt (Jürgen Hartmann) ist auch wieder ganz der Alte. In Anbetracht des vorherigen Falls irgendwie seltsam. Wir hätten uns da eine leicht veränderte Dynamik zwischen Lannert, Bootz und Vogt gedacht.
PPS: Kürzlich ging es bei Lakonisch Elegant um deutsche Krimis, eine gewisse Piefigkeit, Neuerungen usw. usf. Natürlich war auch der ewige Tatort Thema und die Frage nach Dialekten. Kurz zuvor hatten wir nun diesen Stuttgarter Dorffilm gesehen und waren recht angetan davon, dass im Dorf ordentlich geschwäbelt wird. Hier auch einmal der Mut gegeben war, den Zuschauer*innen, die es zwar gern real, aber doch verständlich wollen, dies zuzumuten. Nun sind wir gespannt, wie viele Leute bei X und Co. kommentieren werden: „Man versteht ja nichts!“ oder „Kein Bock Untertitel zu lesen!“ lesen werden.
PPPS: Kommende Woche geht es zahnlos in den Kölner Puff, es folgt der gar nicht so schweigsame Falke-Tatort: Schweigen und darauf eine Stille Nacht in Bremen. Die jeweiligen Rezension lest ihr immer am Samstagmorgen vor dem Ausstrahlungs-Sonntag.
Das Erste zeigt den Tatort: Lass sie gehen am Sonntag, 17. November 2024, um 20:15 Uhr, auf one ist der Film um 21:45 Uhr zu sehen. Anschließend steht er für zwölf Monate zur Ansicht in der ARD-Mediathek bereit.
Tatort: Lass sie gehen; Deutschland 2024; Regie: Andreas Kleinert; Buch: Norbert Baumgarten; Bildgestaltung: Michael Merkel; Musik: Daniel Michael Kaiser; Darsteller*innen: Richy Müller, Felix Klare, Jürgen Hartman, Moritz Führmann, Julika Jenkins, Irene Böhm, Timocin Ziegler, Michael Sideris, Sebastian Fritz, Mia Rainprechter, Muriel Leinauer, Hannah Elischer, Christoph Glaubacker
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