„Ich will nicht lesbisch sein“

Ein Coming-out ist in vielen Fällen nicht einfach, kaum ein Mensch outet sich einfach mal so, ganz spontan. Zumeist gehen dem Momente des In-sich-Gehens und der Reflexion, womöglich auch der Antizipation von Reaktionen, Wunschvorstellungen und Horrorszenarien voraus. Das kann dazu führen, dass sich immer wieder vermeintlich gute Gründe finden lassen, das eigene Coming-out zu verschieben. Wie clever es ist, es dann auf Thanksgiving – in den USA immerhin einer der höchsten Festtage – zu legen, wenn die ganze chaotische Familie antanzt und bevor die Freundin vorbeikommen soll, nun, darüber lässt sich trefflich debattieren. Ganz passend wird auch in L Bomb viel gequasselt. 

Eine große, laute Familie

Lauren (Jenna Laurenzo, die auch das Drehbuch schrieb und Regie führte) und Hailey (Caitlin Mehner) sind seit einiger Zeit ein glückliches, verliebtes und romantisches Paar, auch wenn Hailey und Austin (Brandon Michael Hall), Laurens Mitbewohner, einander nicht sonderlich mögen. Was jedoch noch fehlt, um das gemeinsame Glück auf die nächste Stufe zu heben: Laurens Coming-out vor ihrer Familie. Das drängt ein wenig, da insbesondere Laurens Mutter Rose (Deirdre O’Connell) unbedingt endlich den neuen Freund ihrer Tochter kennenlernen will.

Alles ist und bleibt gut zwischen Hailey und Lauren, oder?! // © Pro-Fun Media

Also: Machen wir es eben an Thanskgiving beim Besuch der Familie, mit Crumble (der aus irgendeinem Grund am Vorabend zubereitet wird, was völlig seltsam ist) und einige Stunden bevor Hailey ebenfalls eintreffen soll. Doch plötzlich steht Austin vor der Tür und Mutter und Vater George (Kevin Pollak) glauben, er sei besagter Freund. Laurens Bruder John (Davram Stiefler) flirtet derweil heftig mit Hailey, die Großeltern (Cloris Leachman und Bruce Dern) haben alles zu kommentieren und bei der aufgeheizten Stimmung ist es kein Wunder, dass irgendwann (beinahe) das Haus in Flammen steht.

So, die Ausgangslage klingt herrlich nach einer humorvoll-melodramatischen Outing- und Liebes-Geschichte mit allerlei Missverständnissen, doofen Zufällen, schrägem Wortwitz und reichlich Situationskomik. Dem ist leider nur bedingt so. Viele der Momente, in denen etwas gesagt werden könnte, dies durch einen Zufall, eine Unterbrechung, einen eingeworfenen Gedankengang dann aber doch nichts wird, sind so unmöglich konstruiert, da es an sich ein Leichtes wäre, über sie hinwegzugehen. 

Austin kommt mehr oder weniger überraschend auch dazu // © Pro-Fun Media

Unausgewogen und langamtig

Auch ein Moment, der sehr witzig sein könnte und in manch anderem Film mit ähnlichen Situationen gut funktioniert, ist, als Lauren versucht, ihren Eltern zu erklären, dass der nun anwesende Austin nicht der Freund und die noch nicht anwesende Hailey nicht nur eine Freundin ist, Austin dies immer wieder durch Einwürfe kommentiert. Das kommt hier nicht wie gewollt forschend humorvoll, sondern einfach unsympathisch daher. Timing und Stil passen in der Szene null.

Das ist in L Bomb leider oft der Fall, wie auch die Mischung aus Komödie und Melodrama nur bedingt funktioniert. Was sicherlich auch daran liegt, dass das Buch von Jenna Laurenzo grundsätzlich zwar eine gute Mischung abgedrehter Charaktere bietet, jedem auch Eigenheiten zugesteht und auch eigene Probleme. Dies jedoch führt dazu, dass der Film unglaublich voll ist und sich sehr oft in Andeutungen ergeht, um diejenige Person den Rest der Zeit nur noch als Stichwortgeber agieren zu lassen. Diese Unausgewogenheit lässt die neunzig Minuten auch wesentlich länger erscheinen. Und uns Zuschauer*innen beinahe das Interesse daran verlieren, wann denn diese große L-Bombe nun platzt. 

Wenn der Bruder aus doofen Gründen mit der Freundin flirtet… // © Pro-Fun Media

Auch Mutter Rose ist schwierig, beschwert sie sich doch den ganzen Film über, dass alles stressig sei, wobei doch sie die erste ist, die immerfort Unruhe in Situationen bringt und, schlimmer, sie beklagt sich fortwährend, dass ihre Tochter Lauren gar nicht mehr mit ihr rede, ihr früher alles erzählt habe und so weiter und so fort. Doch lässt sie ihre Tochter, die oft versucht etwas zu sagen, auch nie zu Wort kommen. Es wird nicht deutlich, ob das ein Running Gag oder ein dramatisches Mittel sein soll… Es ist vor allem: anstrengend und ärgerlich. Überhaupt wird hier konstant belanglos übereinander hinweggeredet, dass es nur noch nervt. Da springt kein Charme-Funken über und dieser wird auch nicht dadurch gekillt, dass die Tonqualität (zumindest bei der vorliegenden Pressekopie) leider nur sehr mäßig ist. Das ist keine unterhaltsam dysfunktionale Familie wie etwa in Clea DuVall’s Happiest Season, der sonst ähnlich aufgebaut ist.

Goldene Momente und Stärken

Was nicht heißt, dass der Film, der auch über ein queeres Publikum hinaus als einfache Familien-Feiertagsgeschichte funktionieren kann, nicht seine Momente hätte: Die von Cloris Leachman gespielte Großmutter ist ein Fest, wenn sie zum Beispiel erklärt, dass die Beilage nicht zusammen mit der Hauptspeise präsentiert wird, als sie glaubt zwischen Lauren, Hailey und Austin gebe es ein Art Dreiecksverhältnis (was so falsch gar nicht mal sein soll…). Auch Kevin Pollak als Vater George gehört eine der besten Szenen, als er Austin klar macht, wie der mit seiner Tochter umzugehen habe. 

Oma und Opa haben nicht nur einander einiges zu sagen… // © Pro-Fun Media

Zum Ende von L Bomb steht die Frage im Raum: Hatte Lauren bisher wirklich keine Gelegenheit zu sagen, dass sie lesbisch ist oder hat sie gar selber dazu beigetragen, es zu verschleppen? Denn irgendwie wissen es auch ohne ihr Zutun so manche und das größte Problem scheint nicht die Familie zu sein. Durch diesen nicht nur inneren Konflikt kommt eine gewisse Spannung auf, die uns auch endlich mal ein wenig Nähe zu den Charakteren verspüren lässt. Für einen Moment bleibt der Fokus einmal bei einer Sache und schwenkt nicht alle 60 Sekunden zum nächsten vermeintlich Gag mit Unterton. Etwas, das zuvor fast vollständig ausblieb.

So ist das letzte Drittel dann der stärkste Teil eines Films, der sehr viel gewollt hat und leider im eigenen Charme- und Storyanspruch steckenbleibt. Der nicht recht dramatische Komödie oder komisches Drama ist und dessen Macherin und Protagonistin nicht zu wissen scheint, ob sie primär eine Coming-out und/oder Liebes- oder Familiengeschichte erzählen will. Ein gut gemeinter Film, der nicht schlecht, aber definitiv auch nicht gut ist. Was sehr schade ist, denn wir hatten L Bomb mit einer gewissen Vorfreude und dem Wunsch ihn zu mögen entgegengeblickt.

Den Trailer findet ihr hier.

L Bomb (OT: Lez Bomb); USA, 2018; Regie & Drehbuch: Jenna Laurenzo; Musik: P. T. Walkley; Kamera: Gabriel Stanley; Darsteller*innen: Jenna Laurenzo, Caitlin Mehner, Deirdre O’Connell, Brandon Michael Hall, Kevin Pollak, Cloris Leachman, Bruce Dern, Davram Stiefler, Steve Guttenberg, Rob Moran, Adeel Ahmed, Elaine Hendrix, A. B. Farrelly; Laufzeit: ca. 90 Minuten; FSK: 12; Pro-Fun Media; erhältlich auf DVD, als VoD und Download; englische Originalfassung, optional mit u. a. deutschen Untertiteln

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