„Ich wollte da einfach nur raus“

Mit diesen tragischen Worten endet der Tatort: Restschuld, der an diesem Sonntag ausgestrahlt wird. Der Täter oder die Täterin scheint die Tat inständig zu bereuen. Denn der Inkasso-Manager Fabian Pavlou (Thomas Hauser) wurde verletzt und entführt, wie wir und sein Mann David Gross (Vladimir Korneev) live sehen.

Unter Schock: David Gross (l., Vladimir Korneev) hat gerade live am Handy mitbekommen, wie sein Lebensgefährte Fabian Pavlou brutal überfallen wurde. Jetzt wird er von Freddy Schenk (r., Dietmar Bär) am Tatort befragt // © WDR/Martin Valentin Menke

Gross telefoniert mit seinem Partner, der im Auto sitzt und anhält, weil er scheinbar „etwas mitgenommen“ hat. Der Anruf läuft weiter, Gross und wir hören Pavlou im Hintergrund erst schreien und sehen dann, wie er zurück auf die Rückbank kommt – schwer verletzt. Mehr erfahren wir zu Beginn nicht, aber die Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt), Freddy Schenk (Dietmar Bär) und ein fast gleichberechtigt auftretender Norbert Jütte (Roland Riebeling) ermitteln von diesem Punkt an.

Alles korrekt(?)

Sie arbeiten sich in die Fälle ein, die der offenbar sehr erfolgreiche Pavlou für seine Firma Correct Inkasso betreut hat. Das ist die Steuerfachangestellte Stefanie Schreiter (Katharina Marie Schubert), die ihren Söhnen einen schönen Anzug kaufen will. Das ist das Ehepaar Lehnen (Tilla Kratochwil und Roman Knižka), bei dem trotz oder gerade wegen der Geldsorgen alles doppelt kommt: die Schicksalsschläge und die Nutzung des Kaffees.

Timo Eckhoff (Ben Münchow) hat noch am späten Abend in einem Luxushotel einen seiner Privatkunden massiert. Wieder wurde er nicht bezahlt // © WDR/Martin Valentin Menke

Und das ist der Masseur Timo Eckhoff (Ben Münchow), der seiner alten Vermieterin eine Stromsperre beschert. Sie alle sind in der Schuldenfalle gefangen. Sie alle hatten das Schicksal nicht auf ihrer Seite. Und sie alle werden von Correct Inkasso nicht ganz korrekt in ihren jeweiligen Teufelskreisen gefangen gehalten.

Sich selbst perpetuierende Sympathieträger

Ballauf, Schenk und eben auch Jütte ermitteln in scheinbar gutbürgerlichen Kreisen, denn niemandem ist das Feststecken in der sich selbst perpetuierenden Schuldenfalle anzusehen. Drehbuchautorin Karlotta Ehrenberg verpasst all diesen und noch einigen weiteren Personen wunderbar nachvollziehbare Hintergrundgeschichten, die scheinbar aus der Nachbarschaft von jedem von uns kommen könnten. Sie und Regisseurin Claudia Garde erzählen die Geschichte all dieser handelnden Personen mit größter Empathie.

Gemeinsam mit zwei Correct Inkasso-Managerinnen überprüfen die Kommissare Pavlous Accounts.
Im Bild v. l. n. r. Norbert Jütte (Roland Riebeling), Max Ballauf (Klaus J. Behrendt), Silja Mayer (Karolina Horster), Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Milena Ilic (Olga Prokot) // © WDR/Martin Valentin Menke

Empathie, die scheinbar „die bösen Kapitalisten“ von den Inkasso-Unternehmen schon per definitionem eben nicht verkörpern sollen. Und in der Tat kommen diese nicht so gut weg, aber das mag daran liegen, dass die Branche ohnehin nicht der größte Sympathieträger ist. Anders als zu erwarten, schaffen sie es aber dennoch, hier und da zumindest eine gewisse Humanität zumindest aufblitzen zu lassen und auch die Perspektive der Gläubiger einigermaßen seriös darzustellen. Das ist ein Drahtseilakt und den meistern die beiden gemeinsam mit ihrem Team jedoch sehr gut – deutlich besser als im letzten Fall aus Köln.

Die Scham

Was bleibt, ist vor allem der Eindruck, dass gerade einmal jetzt, zwei Wochen nach Weihnachten, das mit der Nächstenliebe oft so eine Sache ist. Viele Menschen kommen unerwartet in Schwierigkeiten oder übernehmen sich, ohne dass ihnen dafür eine Verantwortung zuzuschreiben wäre – manchmal jedoch durchaus. Sie verzweifeln an ihrer Situation und einem ganzen System, dass sie manchmal vermeintlich und manchmal eben auch tatsächlich benachteiligt. Und es ist gerade die Scham, die in allen parallel erzählten Situationen immer wieder in den Vordergrund tritt.

Extrem knapp bei Kasse: Jost Lehnen (l., Roman Knižka) und seine Frau Monika (r., Tilla Kratochwil), beim kargen Frühstück // © WDR/Martin Valentin Menke

Genau das schaffen die Macherinnen und Macher des Tatorts: Restschuld mit großer Empathie und Glaubwürdigkeit. Sie zeigen uns einen Film, der vermutlich vielen aus der Seele spricht, uns berührt und bewegt und in die doch sehr soziale Erzählweise des Teams aus Köln passt. Selbst wenn der Wurstdialog von Schenk und Ballauf doch sehr plakativ daherkommt, im Wesensgehalt aber dennoch einen wahren Kern in sich trägt. Nach dem Fall aus Ludwigshafen vor wenigen Tagen bleibt das Niveau der Filme auch kurz vor Dreikönig weiter hoch.

HMS

Drehstart, v. l. n. r.: Roland Riebeling (Rolle Norbert Jütte), Karlotta Ehrenberg (Autorin), Götz Bolten (Redaktion/WDR), Klaus J. Behrendt (Rolle Max Ballauf), Claudia Garde (Regie), Dietmar Bär (Rolle Freddy Schenk), Lena Katharina Krause (Kamera), Jan Kruse (Produzent/Bavaria Fiction) // © WDR/Bavaria/Martin Valentin Menke

Das Erste zeigt den Tatort: Restschuld am 5. Januar 2025 um 20:15, auf one ist er um 21:45 Uhr zu sehen; anschließend ist der Film für zwölf Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Restschuld; Deutschland 2024; Regie: Claudia Garde; Drehbuch: Karlotta Ehrenberg; Bildgestaltung: Lena Katharina Krause; Musik: Florian Tessloff; Darsteller*innen: Dietmar Bär, Klaus J. Behrendt, Roland Riebeling, Tinka Fürst, Katharina Marie Schubert, Tilla Kratochwil, Roman Knižka, Tanja Schleiff, Ben Münchow, Gabriele Schulze, Sebastian Hülk, Lea Gerstenkorn, Vladimir Korneev, Karolina Horster, Thomas Hauser; Eine Produktion der Bavaria Fiction (Niederlassung Köln) im Auftrag des WDR für die ARD

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