Ihre Berufung war der Fortschritt

Es ist nun bald eine Woche her, dass die feministische, die LGBTQ+-Community unterstützende, in subtiler Schlagfertigkeit bewanderte und nur selten verlegene, immer streitlustige, vernunftbegabte Richterin am US-Supreme Court Ruth Bader Ginsburg 87-jährig verstarb. Unter die Trauer mischen sich viele Frage und große Unwägbarkeiten: Wird Donald Trump noch in seiner aktuellen ersten Amtszeit den nun vakanten Sitz neu besetzen können und somit einen stark republikanisch geprägten Supreme Court möglicherweise für Jahrzehnte zementieren können? Es sieht ganz danach aus. Wird das eine erzkonservative, von den Evangelikalen bevorzugte Rechtssprechung des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten zur Folge haben? Möglich. Wird es auch einen Rollback bedeuten – Schwangerschaftsabbrüche, Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Rechte Homo- und Transsexueller – wird man versucht sein, hier Gesetze wieder rückgängig zu machen? Das ist nicht unwahrscheinlich. 

Die Beste ihres Fachs und doch keinen Job

Doch bevor wir uns in der kommenden Zeit mit all diesen und anderen Fragen intensiver auseinandersetzen werden, möchten wir noch einmal einen genaueren Blick auf das Leben der RBG werfen. Nur knapp zwei Wochen vor ihrem gefühlt viel zu frühem Tod haben wir uns den Film Die Berufung – Ihr Kampf für Gerechtigkeit angesehen, der sich mit ihren Jahren als Studentin, junge Anwältin, Professorin und ihrem ersten großen Prozess befasst. Dieser soll nun besprochen werden. Eine Dokumentation über ihr Leben und ein Buch ihrer berühmtesten Statements sollen folgen.

Ruth Bader Ginsburg (Felicity Jones) geht noch zuversichtlich auf Jobsuche. // © eOne Germany

Im Jahr 1956 beginnt Ruth Bader Ginsburg (Felicity Jones) ihr Studium an der Harvard Universität, als eine von sehr wenigen Frauen zwischen sehr vielen Männern. Eine Entwicklung, die der Dekan Erwin Griswold (Sam Waterston) auch schon als kritisch betrachtet, was spätestens bei einem absurden Begrüßungsdinner nur allzu deutlich wird. Unterstützt wird sie von ihrem Ehemann Martin „Marty“ (Armie Hammer). Bei diesem wird jedoch früh Krebs diagnostiziert und die Aussichten sind schlecht. Ruth besucht nun zusätzlich zu ihren eigenen auch noch die für ihn wichtigen Vorlesungen. Wider Erwarten kann Marty genesen und wird bald ein angesehener Steueranwalt (1959) in New York. Ruth jedoch findet als Frau trotz ihres Abschlusses als Jahrgangsbeste keine Anstellung als Anwältin, nicht einmal in eher mittelmäßigen Kanzleien. So nimmt sie etwas widerstrebend eine Stelle als Professorin an der Rutgers-Universität in New Jersey an und spezialisiert sich dort auf den Themenbereich „Geschlechterdiskriminierung und das Recht“. Beinahe zehn Jahre später macht Marty sie auf einen Fall aufmerksam, der ihre Chance sein könnte, doch noch in die Praxis zu wechseln: einem Junggesellen (Chris Mulkey) ist es verwehrt worden die Pflege seiner kranken Mutter von der Steuer abzusetzen, da das Gesetz davon ausgeht, dass nur alleinstehende Frauen und Witwer Angehörige pflegen. Also die Benachteiligung eines Mannes wegen seines Geschlechts. Ruth und Marty sehen nicht nur die Chance, für sie als Anwältin tätig zu werden, sondern gleich noch Rechtsgeschichte zu schreiben. Gegen einen vermeintlich übermächtigen Gegner allerdings brauchen sie Hilfe, unter anderem von Mel Wulf (Justin Theroux) von der American Civil Liberties Union, aber nicht jeder ist sofort Feuer und Flamme…

Recht (mit) viel Show

Der Film hat von Beginn seiner Entstehung an schon einmal einen großen Vorteil: RBG hat ihn genehmigt. Es war nämlich ihr Neffe, Drehbuchautor Daniel Stiepleman, der nach der Beerdigung seines Onkels Marty im Jahr 2010 auf sie zukam und wissen wollte, ob es okay sei, einen Film über eine der prägendsten Erfahrungen in ihrem Leben zu machen. Sie soll geantwortet haben: „Wenn du so deine Zeit verbringen willst…“ 

So nicht, junger Mann! // © eOne Germany

Wollte er, machte er und schrieb das Drehbuch, das schließlich von der lange nicht mehr für eine Kinoproduktion verantwortlich gewesenen Regisseurin Mimi Leder (Projekt: Peacemaker, Deep Impact) verfilmt wurde. Drehbuch und Regie gehen gut Hand in Hand, was an mancher Stelle aber auch bedeutet, das beide zeitgleich ein wenig zu dick auftragen. Es gibt die eine oder andere Szene, in der man sich ein bisschen weniger beinahe Rom-Com taugliches Pathos gewünscht hätte, welches von der teilweise hart am Kitsch kratzenden Musik von Mychael Danna noch unterstrichen wird.

Diese halten sich aber im Rahmen und ansonsten wird nach einer zwar sehr vollgestopften, aber auch notwendigen Einführung ein eher klassisches und doch packendes Gerichtsdrama erzählt. Manch eine bezeichnende und belegte Szene gibt es aber auch schon zuvor, wie beispielsweise das oben erwähnte Begrüßungsdinner beim Dekan, welches ich hier nicht weiter spoilern möchte. Oder auch eine der ersten Vorlesungen, in der ihr Professor Ernest Brown (Stephen Root) sie erst einmal auszublenden versucht. Im Übrigen wird Ruth im Laufe des späteren Verfahrens sowohl dem Dekan als auch dem Professor wieder begegnen. 

Ansteckendes Engagement…

Die Anbahnung des Prozesses und Ruths Kampf darum, dass es überhaupt dazu kommen kann, sind dann wie erwähnt klassisch aber dennoch interessant und manchmal gar mitreißend inszeniert. Zuschauerinnen und Zuschauer können sicherlich schnell das Gefühl verspüren, sich ebenfalls engagieren zu wollen, Ruth und Marty auf ihrem Weg zu helfen. Oder das Engagement ins Heute zu verlagern.

RBG (Felicity Jones) und ihre Tochter Jane (Cailee Spaney) versuchen die Anwältin Dorothy Kenyon (Kathy Bates) für ihren Fall zu gewinnen. // © eOne Germany

Auch die Szenen, die sich nur im familiären Kreis zwischen Ruth, Marty und ihren Kindern, Tochter Jane (Cailee Spaney) und Sohn James Steven (Callum Shoniker) abspielen sind in erster Linie sehr passend, beschreiben sie doch eine nicht immer reibungslose, aber doch einander zugetane und für diese Zeit eher fortschrittliche Familiendynamik. Die in der Zeit entstehende und erstarkende Bewegung um Gloria Steinem (wir besprechen demnächst Mrs. America) wird ebenfalls über Szenen zwischen Mutter und Tochter thematisiert, wobei die an manch einer Stelle dann doch etwas zu konstruiert daherkommen.

Dass der Film trotz manch einer inszenatorischen Schwäche über zwei Stunden gut funktioniert, liegt natürlich auch an den Leistungen der Schauspielerinnen und Schauspieler. Allen voran Felicity Jones, die zwar auch im Originalton nicht klingt wie Ruth Bader Ginsburg, aber wunderbar ihre stille Unzufriedenheit und ihr inneres Brodeln sehr authentisch vermittelt. Es ist eine kleine Erfahrung, mitansehen zu können auf wie viele unterschiedliche Arten man seine Lippen zusammenpressen und seine Augen funkeln lassen kann. Armie Hammer (Call Me By Your Name) spielt souverän den charmanten, aber auch mal engagiert ungeduldigen Martin. Justin Theroux (The Leftovers, hier arbeitete er bereits mit Mimi Leder zusammen) ist als ACLU-Repräsentant Mel überzeugend drüber und gibt an passenderer Stelle das opportune Arschloch, das irgendwie auch noch an veralteten Gedankenmustern klebt. In kleineren Rollen begeistern uns Kathy Bates, Sam Waterston, der immer unterschätzte Stephen Root und Cailee Spaney.

…jetzt erst recht!

Vieles, das erzählt wird, ist, wie bereits erwähnt, belegt, manches natürlich arg gestrafft, einiges zu Unterhaltungszwecken dramatisiert. Als RBG beispielsweise ihren Moment im Gericht hat, stammelt sie im Film anfangs und ist enorm verunsichert, verhaspelt sich dann im Argument. Das ist dramaturgisch natürlich ein solides Element und MUSS in nahezu jeder Serie (Good Wife ♥️) und jedem Film mit dem Thema Juristerei vorkommen. In Wirklichkeit ist das allerdings nicht passiert, Ruth Bader Ginsburg war da souveräner. Von RBG, die sich einen Tag vor der Weltpremiere des Films drei Rippen brach, gibt es am Ende dann auch noch eine Art Cameo. 

Die erste und gleich alles entscheidende Verhandlung. // © eOne Germany

Die Berufung – Ihr Kampf für Gerechtigkeit (OT: On the Basis of Sex, im Sinne von Geschlecht) ist eine absolut unterhaltsame, engagierte und lehrreiche Filmbiografie in Form eines gesellschaftskritischen Gerichtsdramas, das nach Ruth Bader Ginsburgs Tod aktueller denn je ist. Schließlich möchten wir wohl nicht in die Zeit zurückversetzt werden, in der sie sich anfänglich zu behaupten hatte. 

AS

Die Berufung – Ihr Kampf für Gerechtigkeit (On the Basis of Sex); USA 2018; Regie: Mimi Leder; Drehbuch: Daniel Stiepleman; Musik: Mychael Danna; Kamera: Michael Grady; Darsteller: Felicity Jones, Armie Hammer, Justin Theroux, Kathy Bates, Sam Waterston, Cailee Spaney, Stephen Root, Jack Reynor, Chris Mulkey; Laufzeit ca. 122 Minuten; FSK: 0; eOne Entertainment; erhältlich auf DVD, BluRay, Download und Stream (u. a. Netflix, Amazon)

Beitragsbild: Ruth Bader Ginsburg (Felicity Jones) entschlossen auf dem Weg zur Verhandlung, direkt hinter ihr: Ehemann Martin (Armie Hammer). // © eOne Germany

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitstzeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

Seht hier den deutschsprachigen Trailer:

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert