Wenn der Papst stirbt, sprechen die Fachleute von einer „Sedisvakanz“. Der Stuhl, der Heilige, er ist vakant, unbesetzt. In der weltlichen Politik wird bei einem unanfechtbar und unfehlbar agierenden Alleinherrscher – meist ist das ein Diktator, aber der Papst verfügt über ähnlich umfassende Kompetenzen – von einem Machtvakuum gesprochen.
Bis ein neuer Papst gewählt ist, besteht diese Sedisvakanz fort. Andererseits könnte mensch in dieser Situation auch von einer Übergangsregierung sprechen, einem Interregnum. Denn natürlich gibt es einen vorgesehenen Prozess, der zur Wahl eines neuen Papstes führt und dieser wird von den Technokraten gesteuert, die den Vatikan im Hintergrund lenken.
Zwitter im Konklave
Wir kennen dieses Interregnum als Konklave und genau das ist der Titel des neuen Films des Regisseurs Edward Berger. Für seine Adaption des Klassikers Im Westen nichts Neues regnete es Anfang des Jahres Oscars, für die Verfilmung des hierzulande bei Heyne erschienenen Robert-Harris-Buchs könnte er erneut ein heißer Anwärter sein.
Hauptfigur der Geschichte ist Kardinaldekan Lawrence (Ralph Finnes), der in seiner Zwitterrolle das Konklave federführend organisiert und gleichzeitig zum erweiterten Kreis derer gehört, die Aussichten haben, den leeren Stuhl zu füllen. Die AfD würde an dieser Stelle vermutlich direkt von einem Komplott des „Establishments“ reden, aber in der Katholischen Kirche sind manche Regeln eben über Jahrhunderte bewährt.
Kompromiss in der Kapelle
Zumal Kardinal Lawrence ohnehin nicht zu den Favoriten zählt. Das sind nämlich der konservative Kardinal Tedesco (Sergio Castellitto) aus Venedig, die liberalen Bellini (Stanley Tucci) und Tremblay (John Lithgow) aus den USA und Kanada sowie – leicht hinter diesen – der afrikanische Kardinal Adeyemi (Lucian Msamati). Während Tedesco nach vierzig Jahren (!) endlich wieder einen Italiener (also sich) auf dem Heiligen Stuhl sehen und die liberalen Reformen der vergangenen Dekaden zurückdrehen möchte, schart gerade Bellini die progressiveren Kräfte um sich – oder er versucht es zumindest. Wird es also – ähnlich wie wir beim Buchpreis vermuten – doch der Kompromisskandidat aus Nigeria?
Es entspinnt sich jedenfalls ein zweistündiger und spannungsvoller Thriller, in dem unser Hauptcharakter Lawrence gleich an einer Reihe von Fronten kämpfen muss. Der verstorbene Papst hat das Konklave mit einer Reihe von Hinterlassenschaften vorgeprägt: Einem der genannten Anwärter scheint er die Kardinalswürde kurz vor seinem Ableben aberkannt zu haben, was jedoch nicht dokumentiert ist. Ein weiterer Kardinal, der aus Kabul (Carlos Diehz), taucht hingegen ohne Vorwarnung im Vatikan auf und wünscht sein Recht, an der Papstwahl teilzunehmen, ausüben zu dürfen. Dazu kommen Lawrence‘ persönliche Trauer um den verstorbenen Heiligen Vater, die Zweifel an der Stärke seines eigenen Glaubens und eben die strenge Abgeschiedenheit in der Sixtinischen Kapelle.
Alte weiße Männer mit Knall(effekt)
All das könnte in einem öden Film über alte weiße Männer enden und eigentlich ist es das auch – bis auf die Ödnis. Die Regie Bergers sowie das Drehbuch von Peter Straughan wissen nämlich durchaus zu überzeugen. Viele der späteren Konflikt- und Handlungsfelder werden bereits früh aufgemacht und entspinnen sich nach und nach.
Dabei droht zwar die Gefahr, dass der eine oder andere Strang ein wenig zu kurz kommt oder sich Ungereimtheiten einschleichen, aber anders als beispielsweise bei Im Westen nichts Neues passiert das hier nicht. Ganz im Gegenteil, zum Ende werden alle Erzählstränge gut zusammengeführt und – so viel kann an dieser Stelle verraten werden – ein neuer Papst wird gefunden, auch wenn es noch einen kleinen Knalleffekt geben wird.
Verbeugungen und ein Knicks
Zu dieser Glaubhaftigkeit des Films tragen auch die durchgehend überzeugenden darstellerischen Leistungen bei. Ralph Finnes spielt seinen Kardinal Lawrence mit einer ähnlichen Überzeugung wie seine Compagnons der liberalen Priesterschaft. Und auch der aus allen Poren den rückwärtsgewandten Konservatismus verströmende Antagonist Tedesco wird uns von Castellitto überaus überzeugend dargebracht, wenngleich es gerne noch ein oder zwei spitze Dialoge mehr mit Lawrence hätte geben können.
Sehr viele alte weiße Männer mögen nun manche einwenden. Stimmt, aber so ist eben auch die katholische Kirche. Von daher ist es durchaus nachvollziehbar, dass Frauen in dieser Geschichte eine nicht nur protokollarisch untergeordnete Rolle spielen – mit Ausnahme der Ordensschwester Agnes (Isabella Rossellini), die ganz famos aufspielt. Ohne ihr Zutun – oder manchmal auch Wegsehen – und das ihres Ordens könnte Lawrence seine Ermittlerarbeiten nach den Motiven des verstorbenen Papstes vermutlich einstellen. Agnes gehört daher auch eine sehr knappe, wenn auch brillante Szene, die sich den Zuschauer*innen humorvoll einprägen dürfte.
Konklave gekonnt
All das wird ergänzt um eine gekonnte Kameraführung (Stéphane Fontaine), Schnitte von Nick Emerson, die auf den Punkt passen, sowie die grandiose Filmmusik von Volker Bertelmann, der bereits Im Westen nichts Neues, Als Hitler das rosa Kaninchen stahl oder auch die Serien Westwall und Wild Republic vertonte. Gerade Bertelmanns Musik ist es, die den Film und die Geschichte deutlich tragen und unterstützen. Die Knalleffekte – einer kommt wie Gottes Fügung zur rechten Zeit – unterstreichen dies noch zusätzlich.
Das prozessuale Interregnum von Kardinaldekan Lawrence, also die Organisation und Durchführung dieses Konklaves, ist also von Edward Berger und seinem Team spannend und unterhaltsam auf Film festgehalten. Konklave führt uns in die Abgründe der vatikanischen Politik, der manchmal auch nicht ganz so stillen Diplomatie (wer kommt bitte auf die Idee, geheime Absprachen in einem Treppenhaus abzuhalten?) um das höchste Amt in der Kirchenwelt. Wer Bergers Im Westen nichts Neues mochte, bekommt hier eine sehr fesselnde Geschichte– dieses Mal sogar mit einem guten Drehbuch obendrauf.
HMS
Konklave startet heute im Kino
Konklave; USA, GB 2024; Regie: Edward Berger; Drehbuch: Peter Straughan; Kamera: Stéphane Fontaine; Musik: Volker Bertelmann; Darsteller*innen: Ralph Fiennes, Stanley Tucci, Isabella Rossellini, John Lithgwo, Carlos Diehz, Brian F. O’Byrne, Lucian Msamati, Sergio Castellitto; Laufzeit ca. 120 Minuten; FSK: 6; ab 21. November im Kino
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