„Jede Liebe ist segnenswert“

Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Reihe Parlamentarische Pause ≠ politische Pause. Wir werden in der sommerlichen Zeit weiterhin politische Bücher besprechen, uns mit den Sommerinterviews von ARD und ZDF beschäftigen, selber Schwerpunktthemen setzen, Interviews führen und uns einiges Spannendes einfallen lassen. Am Ende steht ein Fazit, wie wir den Sommer mit und für euch erlebt haben.

Nachdem der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder bereits vor zwei Wochen Theo Koll im ZDF-Sommerinterview mehr oder weniger Rede und Antwort saß, ist er nun wieder von der Kaiserburg runtergeklettert und hat sich für die ARD mit Oliver Köhr auf die Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses an die Spree gesetzt. Erwartungsgemäß gab es allzu viel Neues nicht zu fragen oder sagen, aber ein, zwei Punkte, die es sich zu betrachten lohnt, gab es dann doch.

Kanzlerkandidat erst im März?

Natürlich wurde gleich zu Anfang, einigermaßen süffisant von Oliver Köhr eingeleitet, die Frage „abgeräumt“ ob wir denn 2021 einen CSU-Kanzlerkandidaten Söder sehen würden. „Mein Platz ist in Bayern. Das sagt man nicht nur so dahin, da ist eine echte Schwere dahinter.“ Wesentlich mehr gab es dazu dann aus Söders Sicht nicht zu sagen. Im Format Frag selbst wird er dann noch deutlicher, was seine potentielle Kandidatur angeht, als er sagt: „Zumindest zwei der Bewerber um den CDU-Vorsitz haben klar gemacht, dass sie auch auf jeden Fall Kanzlerkandidat werden wollen und damit ist die Frage eigentlich geklärt“ und später in einem Nebensatz „und da ich ja nicht Kanzler mache“, also vielleicht können wir aufhören zu spekulieren? Ich meine seit geraumer Zeit, er will nicht Kanzler, nur an der Spekulation darüber gewinnen. 

Er betonte, man solle sich nicht die kommenden Monate in Personalfragen ergehen, Corona bliebe das Hauptproblem. So verschiebe es vieles und bedeute auch, dass man Zeitachsen neu denken müsse. Die CDU wähle im Dezember ihren Vorsitzenden (aus drei hervorragenden Politikern, wie er später sagen wird) und dann müsse man über eine gute Aufstellung sprechen. Vielleicht sollte man den Kanzlerkandidaten doch erst im März bestimmen? Natürlich auch aus Respekt gegenüber der Kanzlerin, man solle hier kein halbes oder Dreivierteljahr vorher eine Art Nebenregierung platzieren. Die derzeitigen Umfragewerte seien auch nicht zu ernst zu nehmen, da sie der Krise und Angela Merkel geschuldet seien, damit werde man wohl nicht in den Wahlkampf gehen. Auf keinen Fall dürfe sich ein Streit zwischen CDU und CSU wie 2017 wiederholen.

In der Tat hätte es etwas bis zum März 2021 zu warten, sofern die Unionsparteien das dann richtig spannen und nicht vor allem die Merz-Verfechter nach außen für eine baldige Benennung trommeln. So man die Begründung gut wählte, bei einer Linie bliebe und Geschlossenheit demonstrierte und zugleich nicht bei jeder Einlassung von Stänkerern innerhalb der Union, aber vor allem vom Koalitionspartner oder der Opposition zitterte, könnte sich das bezahlt machen und vor allem dürfte es die SPD zur Weißglut treiben. Doof nur, dass es der Union im Adenauer-Haus tatsächlich an guten Kommunikationsstrategen und an Menschen, die diesen zuhören wollen, offenkundig fehlt. 

Nicht nur körperlich, sondern auch geistig Abstand halten

Zu der Demonstration von Corona-Krisenmanagement-Gegnern am vergangenen Samstag in Berlin sagte der bayerische Ministerpräsident, dass er natürlich das Demonstrationsrecht respektiere, nicht jedoch viele der auf der Demo vorgebrachten Argumente und mit Blick darauf, wer dort so mit wem marschiere – rechts- wie linksextreme Kräfte, Verschwörungstheoretiker, … – gebiete es sich nicht nur körperlich, sondern auch geistig Abstand zu halten. Dass die Polizei die Demonstration schließlich auflöste, hält er für richtig. In Berlin waren für den Samstag im Übrigen gut 80 Demos angemeldet. 

Immer zuversichtlich: Markus Söder // © CSU

Zum weiteren Themenkomplex Corona sagt er dann im Grunde, dass man die Vernünftigen vor den Unvernünftigen schützen müsse; dass das bayerische Krisenmanagement gut und richtig gewesen sei, schließlich sei nichts nicht eingetreten, was man in Bayern nicht befürchtet hätte; dass der Staat derzeit viel von seinen Bürgern verlange und nur wenig zurückgeben könne außer eben Krankenhauskapazitäten und Gratis-Coronatests. Verpflichtende Tests für alle Urlaubsrückkehrer lehne er ab, aber man müsse flexibel, quasi täglich, neu definieren, was und wo Risikogebiete sind und sich entsprechend anpassen.

Nun kommt es zu einer Corona-Frage, die gern etwas zu kurz kommt, wenn Söder für sein Vorgehen gelobt wird: Die Zahlen in Bayern sehen schlecht aus und es kommt auch dort immer wieder zu sogenannten Hot-Spots, zuletzt in Mamming. Verglichen mit dem so oft gescholtenen NRW sieht das dann folgendermaßen aus: Bayern hat in der gesamten bisherigen Corona-Zeit 51.000 Infizierte und 2.600 Tote bei 13 Millionen Einwohnern, NRW kommt auf 49.000 Infizierte und 1.700 Tote bei 18 Millionen Einwohnern. Doch Oliver Köhr bietet mit seiner Frage, ob das alles vor allem an Ischgl liege, auch direkt einen Ausweg. „Ja, natürlich“ sagt Söder darauf, zusätzlich habe man die Tagesausflügler Österreich – Bayern und generell teste man viel und schnell und reagiere dann. Hier geht Söder schnell darüber hinweg und auch den Kommentar von Frank Ulrich Montgomery, dass vieles, was Söder betreibe, doch eher Symbolpolitik sei, wischt er mit dem Kommentar weg, dass die Ärzte Montgomery schon vor Monaten die rote Karte gezeigt hätten. Da macht es sich der sonst so wortgewandte Söder doch etwas zu einfach und geht auch weniger auf den Vorwurf ein. Hier hätte Köhr auch stärker nachhaken können.

Erstmal falsch liegen, bevor es dann richtig werden kann?

Allerdings sitzt sein nächster Punkt – auf den er sich wohl gefreut haben dürfte – dann auch ganz gut: „Sie müssen sich ja häufiger korrigieren“, wendet er sich an Markus Söder, erst in der Flüchtlingsfrage, dann auch beim Klima, Corona eben auch. Ob das denn öfter vorkäme, dass die erste Einlassung von Markus Söder erstmal falsch sei, bevor er dann richtig liege? Das ist schon unterhaltsam und für einen wie Söder auch der nicht ganz verkehrte, schelmische Ton. Der pariert solide: „Zunächst mal bin ich sehr freundlich, auch auf die Frage jetzt“, und führt dann die bekannte Erklärung ins Feld, wenn Situationen sich verändern, sollte man seine Haltung überdenken und wer immer die gleiche Meinung zu etwas habe, löse keine Probleme. Nicht unwahr, aber natürlich auch ein einfacher, rhetorischer Ausweg aus einer schwierigen Fragelage.

Thema Wirecard: Ob er sich denn Vorwürfe mache, dass man nicht genau genug hingeschaut hätte. Wirecard ist schließlich ein DAX-Unternehmen aus Bayern und ebenso war Markus Söder einmal bayerischer Finanzminister. Nein, meint Söder, da sei man nicht direkt zuständig gewesen und nun ermittle auch die Staatsanwaltschaft. Ebenfalls befasse sich jetzt der Bundestag damit und Olaf Scholz mache das alles auch ganz gut. Na dann, alles tutti. Es ist erstaunlich, wie viele Politiker.innen und in den Ministerien Arbeitende derzeit die Hände in die Luft werfen und alle meinen, da liege die Verantwortung ganz woanders und man unternehme ja nun etwas. Ich bin weit seltener als die Opposition dieser Meinung, aber hier gehört ein – sauber und überparteilich arbeitender – Untersuchungsausschuss eingesetzt.

Die Bayerische Staatskanzlei vom Westen. Und hier sei sein Platz, betonte Markus Söder mehrmals.

Apropos Untersuchungsausschuss – Andi-„das-wird-dann-schon“-Scheuer darf nicht fehlen. Oliver Köhr meint, der Scheuer Andi mache ja derzeit keine so gute Figur, woraufhin Söder beinahe wie der ein wenig verzweifelnde Erzieher eines schwierigen Kindes klingt, als er sagt, dass Scheuer ja beinahe täglich von der Presse unter Beschuss genommen werde, mal zu Recht, mal zu Unrecht und die Maut bspw. sei ja nun nicht allein von ihm gekommen, sondern von der gesamten Bundesregierung. Mensch, Markus, du kleiner Spin-Doctor denkt man sich hier! Die CSU wollte die Maut, die Regierung hat es mitgetragen und das mit den Verträgen, naja, das kam dann nicht vom Bundestag, was? „Aber die europäische PKW-Maut hätte er nicht vorschlagen müssen?“, fragt Köhr. „Nee hätte man nicht.“ Und „diese ärgerliche, sehr ärgerliche Sache mit der Straßenverkehrsordnung muss er jetzt auch ins Reine bringen“, so Söder weiter. Mensch, Markus, leicht hast Du’s auch nicht.

Letzter und ein sehr wichtiger, von manchen heruntergespielter, dann aber doch wieder hitzig und emotional diskutierter Punkt: die Frauenquote. Söder hält es für richtig, eine Quote verbindlich festzuschreiben und auch eine Zielmarke zu setzen, 2025 hält er sogar für etwas spät. Nach wie vor merkt man ihm sein Bedauern darüber an, dass er das in seiner Partei nicht durchsetzen konnte, aber auch seinen Stolz, dass er sein Kabinett in Bayern paritätisch besetzt hat. Das sei zwar für einige Teile der CSU sehr neu gewesen, für ihn aber selbstverständlich. Es müsse dringend mehr getan werden, um Frauen, vor allem jüngere Frauen, stärker zu involvieren. Ob er denn die Gegner und Kritiker einer solchen Festschreibung, wie zum Beispiel den Erneut-und-immer-wieder-Vorsitzenden-Anwärter Friedrich Merz, verstehe? „Eigentlich nicht so.“ Aber ein jeder habe seine Meinung und am Ende entscheide der Parteitag souverän. Er störe ihn auch die Art wie darüber diskutiert werde, das habe man im vergangenen Jahr in seiner Partei leider nicht so hinbekommen, aber das könne man in der CDU nun ja besser machen. Sein Wort in der Schreihälse Ohren!

„Jede Liebe ist segnenswert“

Im die Zuschauer.innen einbeziehenden Format Frag selbst wird der CSU-Vorsitzende in der Sprint-Runde noch gefragt verpflichtendes soziales Jahr, ja oder nein, und seine Antwort gefällt: „Noch mehr dafür werben, dass es freiwillig bleibt.“ Ähnlich sieht es auf die Frage „Gendern – Ja oder Nein?“ aus, da antwortet er: „Nicht übertreiben, aber mehr ist gut.“ Übrigens – er ist in diesem Jahr der erste, der wirklich möglichst knapp auf die Fragen antwortet. Schlauer Schelm halt.

Er bekräftigt sein grünes Image, oder viel eher, dass es eben nicht nur ein Image, sondern echte Position sei – das Ganze verknüpft mit der Förderung von Technologie, einer High-Tech-Agenda und dem Raumfahrtprogramm Bavaria One. Das Raumfahrtprogramm soll dann auch dazu genutzt werden, die Erde besser zu beobachten, um mehr Erfahrungen für Klimaschutz und über die Erderwärmung etc. zu sammeln.

Dann fragt eine „Lena“, deren Nachnamen Oliver Köhr „leider nicht lesen kann“ den Vorsitzenden der Christlich Sozialen Union: „Was ist ihr christlicher Standpunkt zur LGBT-Bewegung?“ Er sei der festen Überzeugung, „dass Jeder sein Leben leben soll, wie er ist, wie er glücklich ist und sich glücklich fühlt. Und meine persönlich feste Überzeugung ist, dass jede Liebe segenswert ist und das Staat nicht etwa mit moralischem Zeigefinger oder rechtlichem Rahmen versucht, die Freiheit des Einzelnen dort zu beschränken, sondern er soll ein glückliches Leben ermöglichen.“ 

Das ist doch mal eine feine Aussage, auch wenn sie weniger seinen Standpunkt zur LGBT-Bewegung beschreibt, als vielmehr seine Position zu Liebe, egal ob gleich- oder gemischtgeschlechtlich. Aber geschenkt. Und ähnlich wie die Frauenquote hat es ja auch die Gleichstellung von gleichgeschlechtlicher Liebe in der CSU schwer, mal ganz abgesehen von der Akzeptanz weiterer queerer Lebensentwürfe. Nicht ein.e Jede.r tickt da so, wie beispielsweise die ehemalige Bundestagsabgeordnete Gudrun Zollner, die sich schon seit Langem für LSBTQ*-Rechte engagiert und eine von insgesamt sieben CSU-Abgeordneten (entsprach damals 12,5 % der CSU-Landesgruppe) war, die am 30. Juni 2017 für die gleichgeschlechtliche Ehe stimmten. Übrigens wurde auch schon die Noch-CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer während ihrer Frag selbst-Runde zu einem queeren Thema befragt, das könnt ihr hier nachlesen

Der Vollständigkeit halber noch die anderen sechs CSU-Abgeordneten, die für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe gestimmt haben: Bernd Fabritius, Astrid Freudenstein, Hans Michelbach, Wolfgang Stefinger, Dagmar Wöhrl, Tobias Zech.

Kleine Info in eigener Sache – zeitnah besprechen wir Roman Deiningers Buch Die CSU – Bildnis einer speziellen Partei und ja, das wird recht speziell.

AS

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