Julian Mars — 1-2-3

Julian Mars? Noch nicht gehört? Oh, dann wird’s aber Zeit. Vor einigen Jahren noch als „Nachwuchsautor“ angesehen, erzielte er mit seinem Debütroman Jetzt sind wir jung weit mehr als einen Achtungserfolg in der queeren Belletristik. Mit stringentem Erzählstil und flottem Tempo prügelte er seinen Protagonisten Felix durch dessen nutzloses Leben. Als Kind reicher Eltern, mit einer Psychologin als Schwester und keinem wahren Ziel, was mensch mit seinem Leben anfangen möchte, da hat er es schon schwer. Wenn mensch dann auch noch die Tochter des Betreibers eines der größten Puffs von Hamburg als beste Freundin hat, dann kann schon fast nichts mehr schief gehen. FAST. Denn es kann sich schon als Fehler erweisen, mit einem Mann den er seine große Liebe nennen möchte, eine Beziehung einzugehen.

Naja, nicht die Beziehung zu Martin ist der Fehler, aber in den Zeiten, in denen schwuler Sex nur einen App-Wisch entfernt und das Motto dann noch „so many men – so little time“ ist, sollte das Versprechen der Monogamie wohl eher nicht auf der To-Do-Liste stehen. Es sei denn, mann ist sich sicher, es halten zu können und zu wollen. Da hält sich Felix jedoch nicht dran, und er fliegt – die geneigte Leserschaft ahnt es bereits – mit Bravour auf die Fresse.

Allerdings mit einem hoffnungsvollen Augenaufschlag

Lass uns von hier verschwinden! – Was sich als Aufforderung lesen lassen könnte, ist der Titel des zweiten Buches von Mars, das schon Fortsetzung seines Debüts ist. Einige Zeit nach dem großen Fall setzt es ein. Felix beschließt, dass nun ein Ortswechsel ansteht. Und wo bitte könnte ein junger, durchaus klischeebeladener schwuler Mann wohl hinziehen? Genau. Nach Berlin. Und warum sollte mensch der schwermütigen Mutter erzählen, dass er wegzieht, wenn es doch die schnelle Bahnstrecke gibt und es doch ein Klacks ist, schnell mal wieder in Hamburg zu sein. Dass die eigene Schwester nicht nur als Psychologin diesen Schritt als höchst inkonsequent bezeichnet, keine Frage.

Die beste Freundin stellt ihm dazu eine wirklich lebens-entscheidende Frage, auf die er erwartungsgemäß erstmal keine klare Antwort weiß. Als dann auch noch Martin wieder in sein Leben tritt, stellt sich nicht mehr die Frage nach dem Ob, sondern eher nach dem Wann. Aber die Männer und Umstände der Hauptstadt bieten im Zusammenspiel mit der Suche nach sich selbst noch so einigen Spielraum für allerlei unterhaltsame Komplikationen.

Sesshaft werden vs. Trophäen sammeln

Tatsächlich so etwas wie abschließend wirkt der dritte und zuletzt erschienene Roman Was wir schon immer sein wollten. Irgendwie endlich in Berlin angekommen und irgendwie auch so langsam den eigenen Lebensweg erkennend, steuert Felix auf die dreißig zu und will endlich sesshaft werden. So mit allem was dazu gehört. Wie gut, dass die große Liebe von damals wieder aufgetaucht ist und sich auch noch als perfektes Ehemann-Material präsentiert. Wenn da nicht plötzlich ein anderer Mann aus der Vergangenheit auftauchen würde. Aber der ist ja keine Gefahr. Ausgemachter Hetero und braucht ne zeitweise Bleibe in Berlin. 

Da bietet sich Felix’ ungenutztes Gästezimmer ja quasi an. Und schon dreht sich das „Soll-Ich-Soll-Ich-Nicht“-Karussell in Felix’ Kopf und die Frage, ob dieser sportliche Schnuckel denn wohl doch eine erreichbare Trophäe werden könnte, steht im Raum. Dass diese ganzen Verwicklungen dann irgendwann noch ähnliche Ausmaße wie die Suche nach dem Sinn des Lebens bekommen, daran ist Felix auch selbst nicht ganz unschuldig.

Nicht nur den flotten Erzählstil oder die stringente Erzählweise hat sich Mars durch alle drei Bücher behalten. Er hat Spaß daran, die Erlebnisse seines Felix zu schildern, das merkt mensch auf jeder Seite eines jeden der drei Bücher. Manchmal wirkt es, als dass er im Spiel mit den Klischees geradezu seine diebische Freude daran hat, seinen Protagonisten direkt auf die Katastrophe zusteuern zu lassen. Das „Wird schon nicht so schlimm!“ noch auf den Lippen reitet dieser sich in Missverständnisse und Schlamassel, die lebensecht und unterhaltsam wirken. Hier merkt die geneigte Leserschaft, dass Mars ein kompetenter und genauer Beobachter des Lebens ist, denn manche Entwicklung kann irgendwie nur dem Leben entsprungen sein. Wie wir alle wissen, ist es eh meist die Wahrheit, die unglaublich klingt.

Gegen die Geradlinigkeit

Mars lässt seinen Felix allerdings nicht nur fröhlich ein Klischee nach dem anderen durchhecheln, nein, er richtet auch gern mal einen Riesenscheinwerfer auf den Moment, in dem dieser sich eindeutig gegen Aufrichtigkeit und Geradlinigkeit entscheidet. Dahinter steckt allerdings nie böse Absicht, sondern immer dieses liebevolle Lächeln, mit dem ein wirklich guter Freund oder zugewandter Verwandter die dann folgenden Kapriolen beobachtet, um ihn am Ende in den Arm zu nehmen und ihm ein „Ich habs doch gesagt… komm, das kriegen wir wieder hin…“ ins Ohr zu flüstern.

Julian Mars // © Salzgeber/Albino Verlag

Und wie Herr Mars das hinbekommen hat.

Sobald eines dieser Bücher in greifbarer Nähe lag und etwas Zeit war, wollte ich lesen. Also auch in Bus, Bahn oder Bad. Hauptsache ich lese, wie es weitergeht. Natürlich lässt sich jedes der drei im Albino Verlag erschienenen Bücher auch separat lesen, aber warum sollte mensch das tun, wenn doch alle drei Bücher griffbereit sind?

Eben.

Frank Hebenstreit

Julian Mars:

Jetzt sind wir jung; November 2015; 328 Seiten; Klappenbroschur; ISBN 978-3-95985-038-4; Albino Verlag; 18,00 €

Lass uns von hier verschwinden; Oktober 2018; 256 Seiten; Klappenbroschur; ISBN 978-3-86300-259-6; Albino Verlag; 18,00 €

Was wir schon immer sein wollten; März 2022; 324 Seiten; Klappenbroschur; ISBN 978-3-86300-332-6; Albino Verlag; 18,00 €

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