Kartografen als Dichter und Denker

Beitragsbild: Wie Liebende einander nennen // © Katapult-Verlag, 2020

Sprache prägt unser tägliches Leben. Sie bildlich darzustellen ist schon fast ein Stück Kunst. Die Köpfe hinter dem Katapult-Buch „100 Karten über Sprache“ schaffen das aber ganz meisterhaft.

Bei winterlicher Tristesse und Corona-Lockdown 2.0 wünscht man sich nicht selten etwas Lustiges, um die Stimmung zu heben. Dass ausgerechnet die Wissenschaft, Geografie und trockene Statistik das vermögen, scheint nicht auf den ersten Blick offensichtlich.

Allerdings kommt es, wie so oft, darauf an, wie man damit umgeht. Bereits seit 2015 gibt es das Magazin KATAPULT aus Greifswald. KATAPULT bereitet seit seiner Gründung wissenschaftliche Erkenntnisse, Statistiken, Kuriositäten und vieles andere grafisch ansprechend auf und stellt seine Illustrationen den Leserinnen und Lesern zur informativen Erheiterung zur Verfügung.

Die Macherinnen und Macher des Magazins haben nun einen Verlag gegründet und ein paar Bücher veröffentlicht, die wir nach und nach besprechen wollen. Wir beginnen heute mit dem Buch 100 Karten über Sprache. Und wie der Name bereits verrät, ist der Bild- und Grafikanteil sehr hoch, der Textanteil ironischerweise nicht so sehr.

Sprache in Bilder gegossen

Die einseitige Einleitung gibt den Ton vor: Tim Ehlers, der Cheflayouter von KATAPULT erläutert die Motivation der Redaktion, Sprache in Karten darzustellen: „Bei kaum einer anderen Sache reagieren die Deutschen so empfindlich wie bei ihrer Sprache oder wenn es um ihre Veränderung geht. Dabei passiert das die ganze Zeit“, heißt es dort. Wachsender oder zumindest zunehmend sichtbarer Rassismus und Antisemitismus sind leider auch in unserer Sprache, wie in so vielen anderen auch, ein Problem, dem sich 100 Karten über Sprache spielerisch nähert.

© Katapult-Verlag, 2020

Auch wir haben uns in der Vergangenheit damit befasst, beispielsweise als wir das Buch Wer wir sein könnten des Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck besprochen haben oder als wir uns zu der Debatte zwischen Bundesinnenminister Horst Seehofer und der taz im Sommer äußerten. Daher stieß 100 Karten über Sprache bei uns von Beginn an auf offene Augen und Ohren. Und weil wir Karten ganz einfach mögen 😉

Karten mit Zwinkersmileys

Was kann sich die Leserin oder der Leser also von 100 Karten über Sprache erwarten? Vor allem sind das spannende Inhalte, beispielsweise eine Karte darüber, in welchen Ländern welche inaktiven oder bereits ausgestorbenen Sprachen wiederbelebt werden (S. 62 – 63), eine darüber, wo man einen leider zu oft immer noch an Homophobie leidenden Sport mit „football“, „soccer“ oder etwas ganz anderem bezeichnet (S. 126 – 127) oder eine Europakarte mit alten Begriffen für die Syphilis in verschiedenen Ländern (S. 190 – 191). Die Syphilis-Thematik greift übrigens auch Timothy Snyder in seinem von uns jüngst besprochenen Buch Die amerikanische Krankheit kurz auf.

All diese Inhalte werden von den Macherinnen und Machern schön humoristisch aufgelockert. Hierzu tragen die Doppelseiten bei, die verschiedene Bedeutungen des Wortes „Zug“ illustrieren (S. 134 – 135) und dabei meist ein witziges verbindendes Element haben. Das hat dann aber weniger aufklärenden Inhalt, sondern soll vermutlich eher ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen verursachen (in der Regel mit Erfolg).

Goethe und Konfuzius treffen aufeinander

Gleichzeitig haben die meisten Karten und Illustrationen einen ernsteren Hintergrund. Die Seiten 162 und 163 zeigen beispielsweise die weltweite Verbreitung meist staatlicher Sprach- und Kulturinstitute, beispielsweise des deutschen Goethe-Instituts. Und auch wenn wir es oftmals nicht wahrhaben wollen, Sprache und Kultur werden gerne instrumentalisiert, um eine nationale Agenda voranzutreiben.

© Katapult-Verlag, 2020

Das Goethe-Institut tut das genauso wie beispielsweise das chinesische Konfuzius-Institut. Im Fall Goethe sind das die Werte der liberalen Demokratie, das chinesische Pendant hingegen hat bereits in der Vergangenheit mit anderen – der Volksrepublik recht unkritisch gegenüberstehenden – Inhalten auf sich aufmerksam gemacht. So sind die Institute auch Mittel der Außenpolitik, der so genannten „soft power“. Die Verbreitung dieser Institute gibt einen Einblick in die außenpolitischen Schwerpunkte einzelner Länder. Hinter den meisten noch so trocken oder sinnfrei erscheinenden Grafiken (à la „Wen interessiert schon, wo es ein Konfuzius-Institut gibt?“) steht also ein ernster Hintergrund, beispielsweise die Erläuterung einer politischen Agenda. Nach aktueller Planung befasst sich übrigens auch der Deutsche Bundestag am Donnerstag, 14. Januar 2021, um ca. 18 Uhr, mit der Problematik der Konfuzius-Institute. UPDATE, 13.1.2021, 12:09 Uhr: Die Debatte ist abgesetzt worden.

Der verdammte Fall Fucking

Sprache ist allerdings nicht nur reines Datenmaterial, das die KATAPULT-Redaktion analytisch aufbereitet. Karten mit den übersetzten Namen aller Ländernamen (S. 24 – 29) ergänzen das Buch ebenso wie auch lustige Straßen- und Ortsnamen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (S. 12 – 13 bzw. S. 108 – 109 und 198 – 199). Das österreichische Dorf Fucking beispielsweise war erst jüngst in den Schlagzeilen, da es sich in das phonetisch sehr ähnliche Fugging umbenannte.

© Katapult-Verlag, 2020

In meiner Heimat liegt die Gemeinde Petting, von der ich mir sagen ließ, dass Scherzbolde allzu oft die Ortsschilder abmontierten, weil sie den Namen so witzig fanden. Es steht zu befürchten, dass auch Fucking unter einem ähnlichen Phänomen litt. In 100 Karten über Sprache ist noch der alte Name vermerkt – auch wenn das Buch erst im September 2020 erschien, ist es also schon wieder überholt. Die Macher sehen also unseren erhobenen Zeigefinger und sollten eine Überarbeitung und gegebenenfalls Erweiterung des Buchs in Betracht ziehen. Wir würden jedenfalls auch einen zweiten Band lesen 😉

Ein lehrreiches Buch, das spielerisch Nerdwissen vermittelt

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Macherinnen und Macher von 100 Karten über Sprache ein sehr witziges Buch herausgegeben haben, das wertvolle Informationen mit der spielerischen Leichtigkeit von Karten und Illustrationen verbindet. Gleichzeitig leisten sie einen wertvollen Beitrag dazu, uns zu zeigen, wie divers Sprache ist, wie divers sie uns uns macht, aber auch wie ausgrenzend sie sein kann. Und auch darüber, welche Agenda – politisch, sozial oder sonstige – man mittels Sprache verfolgen und vorantreiben kann.

100 Karten über Sprache ist also ein überaus empfehlenswertes Buch, das man getrost auch mit wenig Zeit immer wieder in die Hand nehmen kann, um sich eine oder zwei Karten anzusehen. Man wird immer ein klein wenig lernen und das ohne großen Aufwand. Wir empfehlen das Buch daher jeder und jedem, die bzw. der sich für Sprache, Kultur und gesellschaftliche Zusammenhänge interessiert und gern auch mal mit Nerdwissen brillieren möchte.

HMS

Cover // © Katapult-Verlag, 2020

Einen Blick ins Buch könnt ihr hier werfen.

Benjamin Friedrich (Hrsg.): Atlas: 100 Karten über Sprache; 1. Auflage, September 2020; 208 Seiten; Hardcover; ISBN: 978-3-948923-00-6; Katapult Verlag; 22,00 €

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