(K)ein kleines Heldenepos

Wenn sich zwei Menschen aufeinander einlassen, ist immer die Frage, was sie voneinander wollen. Lockere Affäre oder ist da mehr? Wenn sich beide einig sind, dann ist alles gut. Dann wird sich gemeinsam vergnügt und anschließend der gemeinsame oder der getrennte Weg eingeschlagen. Das ist die optimale Lösung.

Schwieriger wird es jedoch, wenn bei einer – und nur einer – Person die Gefühle ins Spiel kommen und diese mehr will. So ist das beim Protagonisten von Hervé Le Telliers kurzem Roman Ich verliebe mich so leicht, der im Herbst 2022 bei Rowohlt Hundert Augen in der Übersetzung von Romy und Jürgen Ritte erschien. Die Hörfassung, eingesprochen von Uve Teschner und erschienen bei JUMBO Neue Medien & Verlag, ist außerdem für den Deutschen Hörbuchpreis 2023 nominiert.

Eine Affäre in Paris…

In zwölf äußerst knapp gehaltenen Kapiteln und einer dafür – so der Autor selbst – zu langen Vorrede begleiten wir unseren namenlosen Protagonisten, der immer nur als „unser Held“ tituliert wird und sich nach einer Affäre in Paris in seine „Heldin“ verliebt hat. Zwei Monate nach dem körperlichen Intermezzo hält er es nicht mehr in der Nähe von Schloss Versailles aus und macht sich auf, seine Heldin in ihrer an Schlössern und Burgen reichen Heimat Schottland aufzusuchen.

Dass er sie liebt, erfahren wir gleich auf den ersten Seiten, dass sie das wohl nicht erwidert auch. Er ist Ende 40, sie deutlich jünger, aber mit einem Mann in etwa seinem Alter liiert. Was also sucht er dort genau? Wissen wir nicht. Weiß er vermutlich auch nicht. Und dennoch setzt er sich in den Flieger, der ihn mit ordentlich Verspätung in die Highlands bringt und sucht seine Angebetete auf. Die jedoch ist von seinen Avancen nicht ganz überzeugt und für den Helden startet ein kleiner Kampf – weniger um Ruhm und Ehre, sondern vielmehr um und mit seinen Gefühlen.

Angeregtes Desinteresse

O weh, in Summe klingt diese Geschichte wie eine Mischung aus trauriger Romanze und der noch traurigeren Sterbebegleitung eines Mannes in der Midlife-Crisis. Gerade letzteres kann – wie wir herrlich bei Heinz Strunks 2021 für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman Es ist immer so schön mit dir – sehr schnell sehr anstrengend werden und von toxischer Männlichkeit nur so triefen. Einem Mann in „den besten Jahren“ dabei zusehen zu müssen, wie er sich in seiner verqueren Welt verliert, kann sehr, sehr anstrengend sein.

Bei Hervé Le Tellier ist das allerdings nicht der Fall. Anders als bei so manch anderer Literatur über Identität suchende Männer im mittleren Alter werden wir in Ich verliebe mich so leicht eher von einer Art angeregtem Desinteresse begleitet. Da wir alles aus der Vogelperspektive betrachten – der Erzähler gibt die Geschichte von außen wieder, wobei wir dennoch Einblicke in das Seelenleben des Helden bekommen – geraten wir automatisch in eine Art kritische Distanz zu unseren Akteuren, vor allem dem Hauptcharakter.

So ist Liebe eben

Wir können einerseits sein Verlangen nach dieser Frau verstehen, so ist Liebe eben. Wir können aber auch nachvollziehen, dass sie sich zurückzieht, vielleicht erkannt hat, dass die Affäre mit ihm ein Fehler war, aber dennoch irgendeine Anziehung zu ihm spürt. Dass sie sich trotzdem ziert, ist nur folgerichtig und so können wir sowohl seinem Kampf um ihre Zuneigung als auch ihrer Zurückhaltung etwas abgewinnen. Und auch seinem reifen und verständnisvollen Umgang mit der Situation, der gerade in Dingen, die Gefühle angehen, vielfach nicht selbstverständlich sein dürfte.

An dieses Verhalten knüpft in Ich verliebe mich so leicht ein sehr realitätsnaher und gleichsam lakonischer Humor an. Der Held scheint sich seiner Situation zu ergeben, versucht das Beste aus seiner emotionalen Misere zu machen, kämpft und ist sich dennoch bereits im Voraus bewusst, dass sein Kampf eher einer gegen Windmühlen sein dürfte. Das erlaubt ihm oder vielmehr dem Erzähler auch den trockenen Humor, mit dem die Geschichte vielfach angereichert ist.

Heldentod oder Happy End?

Die jüngste ins Deutsche übertragene Geschichte von Hervé Le Tellier – das französische Original von Ich verliebe mich so leicht stammt bereits aus dem Jahr 2007 – überzeugt somit mit einer kurzen und knappen Geschichte, die hätte böse enden können, und uns auch ein wenig ratlos zurücklässt, aber alles in allem doch gute Unterhaltung bietet. Der Held stirbt zwar keinen Heldentod, aber verkörpert gleichzeitig auch den Antihelden. Ähnlich gilt dies für die Heldin. Beiden wünschen wir ein Happy End für ihre vertrackte Geschichte und vielleicht kriegen sie das sogar.

Aber gerade diese Beurteilung liegt im Auge der Leserinnen und Leser – oder Hörerinnen und Hörer, denn auch das Hörbuch lohnt sich nicht nur ob der eingängigen Leistung von Uve Teschner, sondern auch, weil dieses kurze Büchlein dafür genau die richtige Länge hat. Auf einem Linienflug von Paris nach Inverness jedenfalls dürften die Leserinnen und Leser oder Hörerinnen und Hörer damit gut unterhalten sein, denn viel länger ist diese kurze Erzählung nicht.

HMS

Hervé Le Tellier: Ich verliebe mich so leicht; September 2022; Aus dem Französischen von Jürgen und Romy Ritte; 128 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen; ISBN 978-3-498-00312-8; Rowohlt Buchverlag; 20,00 €

Hörbuch: Hervé Le Tellier: Ich verliebe mich so leicht – Ungekürzte Lesung; Interpret: Uve Teschner; Laufzeit: ca. 130 Minuten; ISBN 978-3-8337-4553-9; JUMBO Neue Medien und Verlag; 20,00 €

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