„Sieben Tage“, raunte eine kratzige Stimme in den Haunting-Horror–Filmen Ring ins Telefon. Für manche mag der Horror in sieben Tagen Realität werden. Am kommenden Montag wird der verurteilte Straftäter Donald J. Trump als 47. Präsidenten der USA vereidigt. Der 45. war er bereits. Neben einem Umbau Amerikas weg von einer liberalen Demokratie, dürfen wir mit mehr Xenophobie, offenem Rassismus, Queerfeindlichkeit, Bildungsferne und einer weiteren Abschottung der Wirtschaft rechnen. (Bereits in Trumps erster Amtszeit fielen die USA im Democracy Report 2022 des Forschungsinstituts Varietes of Democracy von Platz 17 auf 29 von 179. Damit zählten sie „zu den 33 Staaten, in denen die Demokratie zwischen 2016 und 2021 am meisten Schaden nahm“, wie wir in Stephan Bierlings Die unvereinigten Staaten lesen können. Müssen.)
(K)Eine Schwarz-Weiß-Welt
Klar reden Trump und seine teils ultrarechten Gefolgsleute wie Wähler*innen mal wieder von „build the WALL and have the MEXICANS pay for it.“ Kein Zugang zum vermeintlichen Paradies, das die USA gegebenenfalls bedeuten könnten. Jedenfalls für viele Zuwanderungswillige ein sicheres Leben. Nein, nicht mit diesem Präsidenten, der für Abschottung in vielerlei Hinsicht steht. Für den, neben seinem goldenen Klo, die Welt eher schwarz-weiß als alles andere ist.

Werfen wir also einen Schwarz-Weißen-Blick in die USA. Und zwar mit den Fotobänden Eden von Robert Adams sowie Francesco Anselmis Borderlands, erschienen bei Steidl und im Kehrer Verlag.
Eden von Robert Adams rekurriert dabei etwa nicht auf das Paradies in der Bibel, wie den Garten Eden. Nein, der 1937 geborene Fotograf meint Eden, Colorado. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund fühlte sich im Jahr 1968 Adams von dem Gedanken angezogen, diesen nichtssagenden Ort zu fotografieren, wie uns Steidl in der Buchbeschreibung wissen lässt. In der Tat vermitteln die Fotografien nichts Paradiesisches. Paradoxerweise wirken sie jedoch sanft auf uns.
Kaum Wärme
Auf den Fotografien von Straßen und Autos, Kurven und Schildern, Brücken und Böschungen sowie Tankstellen geht es meist verlassen und einsam, ja bewegungslos zu, ganz gleich ob am Tage oder in der Nacht. Einzige Ausnahmen bilden zwei Aufnahmen in einem Diner.
„Except for casual greetings from the waitresses in the cafe, Eden is a place without human gentleness. The air is weighted by the sound of traffic.“

Abgesehen von zwanglosen Begrüßungen von Kellnerinnen des Diners, sei Eden ein Ort ohne jede menschliche Freundlichkeit, ohne jede Sanftmut. Die Luft sei gedrückt durch die vom Verkehr verursachten Geräusche (und wohl durch den Feinstaub, möge heute angefügt werden).
Existenzialismus in der Einöde
Und doch, so Robert Adams, in den wenigen Zeilen, die er 1968 schrieb, gebe es noch einen anderen Bezug zu diesem Ort. Um diesen auf eher rätselhafte Weise zu vermitteln, zitiert er den 1964 verstorbenen Maler Stuart Davis. Der meinte zu seiner Herangehensweise an Kunst, dass er nicht bemüht sei, etwas Neues oder Großartigeres zu kreieren. Das existiere ja bereits, habe schon immer existiert. Wir müssten nur eine Verbindung dazu herstellen.

Hui! Bedeutet das mit Blick auf diesen öde wirkenden Ort im Mountain State Colorado, dass dort doch mehr ist, than it meets the eye, dass mehr dahintersteckt? Possibly, möglicherweise. Eden übt doch eine recht starke Anziehungskraft aus. Der Drang, den in Leinen gebundenen Bildband immer wieder aus dem gräulich-sandfarbenen Schuber zu nehmen und einzelne der 21 Fotografien wieder und wieder zu betrachten, ist ausgeprägt. Rätselhaft, haunting, beinahe. Ob nun eindringlich oder quälend, mag eine Frage bleiben.

Der Beginn vom Mehr
Robert Adams jedenfalls haben die von ihm gemachten Bilder dieses „reizlosen Ortes“ wohl einen entscheidenden neuen Weg eröffnet, um einen Bezug zur Welt um ihn herum herzustellen. Das ist nachvollziehbar – wer einen innerlichen wie nach außen zu tragenden Anschluss findet, dürfte einen neuen Blick auf die Dinge erfahren. Adams jedenfalls nutzte dies und baute diese Erfahrung, oder auch „Offenbarung“, aus und erweiterte dies mit dem Band The New West (derzeit im Nachdruck, der vermutlich im April 2025 bei Steidl erscheint).

Konnte Adams in der zunächst augenscheinlichen Tristesse eines unwirtlichen Ortes noch ein annehmliches, ihn mit der Welt verbindendes Element finden, wirken die Aufnahmen von Orten und Menschen in Francesco Anselmis Borderlands verlorener. Der 2019 in Perpignan, Frankreich, mit dem Visa d’or Award ausgezeichnete Fotograf könnte der Enkel oder im Jahre 1984 ein sehr spät geborener Sohn Adams‘ sein.
Dokumentation der Abschottung
Dessen im Mai 2024 im Kehrer Verlag erschienener Fotoband zeigt Wüste, scheinbar auseinanderfallende Orte, Waldstücke und Menschen. Solche, die kommen wollen oder nun da, von vielen jedoch unerwünscht und deshalb halb versteckt sind. Sie zeigen jene, die einen schwammigen Status Quo erhalten möchten, dabei selber teils orientierungslos wirken. Die grau melierten Fotografien entstanden im Laufe von vier Reisen entlang der Grenzgebiete von Arizona, Texas und Kalifornien in den Jahren 2017 bis 2019.

Schon das Cover zum dokumentarischen Foto-Essay gibt uns, neben dem recht eindeutigen Titel Borderlands (nicht der Film!), den Bild-Ton vor: Wir sehen den Grenzzaun zwischen San Diego und Tijuana im April 2017. Auf dem Vorsatzpapier ist eine beinahe gezeichnet wirkende Fotografie von Reifenspuren in der Patton Valley Wüste in Winterhaven, Kalifornien, im Dezember 2018 zu finden.

Dabei reproduziert Francesco Anselmi in seinen 61 Duoton-Fotografien nicht etwa gesetzte Stereotype. Füttert keine Täter-Opfer-Erzählung, ganz gleich in welche Richtung mensch sie zu schwingen wünscht. Stattdessen bildet der Bildband eine Komplexität ab, die ein um die 3.600 Kilometer langes Grenzstück in der Realität bedeutet. Die Verschiedenheit der Menschen dies- und jenseits der Grenze, wenn auch mit dem Fokus auf jene, die sie bewachen und bewahren, womöglich noch dichter haben mögen.
Kontrastreiche Schwarz-Weiß-Welten
Wie vermutlich Rancher Jim Chilton aus Arivaca, Arizona, der mit seinem Gewehr in der Hand an dem Punkt, an dem seine Ranch endet und die Grenze zu Mexiko beginnt, in die Ferne schaut. Oder Laine Lawless, ebenfalls aus Arizona (Mesa), die als Gründerin und Anführerin der so genannten Border Guardians Zivilmiliz mit ihrer Katze auf dem Schoß und Maschinengewehren links wie rechts von ihr auf der Couch sitzt.

Im Kontrast dazu Familien beim Rodeo, zwei weiße Kinder auf dem Fahrrad, ein Schönheitswettbewerb oder ein Paar während des Spring Break. Immer wieder Kirchen, kontrastiert von über die Grenze abgelichteten Häuserbergen in Mexiko. In Camouflage und durch die Schwarz-Weiß-Fotografie noch getarnter an einem Baum ist Harry Hughes zu sehen. Hughes ist Anführer des National Socialist Movements und Gründer der sogenannten US Border Guard, einer paramilitärischen Gruppe, die entlang der Grenze zwischen Arizona und Mexiko patrouilliert.

Auf der folgenden Seite sehen wir die von Schmugglern in der Sonoran Desert, Arizona, zurückgelassenen, verzweifelt wirkenden Gabriel und Marilena. In Balboa Park, San Diego, Kalifornien, teilen sich im November 2017 Pablo und José Crack Cocain. Im Dezember 2018 rennt eine Familie, kurz nachdem sie illegal die Grenze von Tijuana nach San Diego überwunden haben.
Watchers on the Wall
Menschen, die Drohnen zum Kontrollflug vorbereiten, treffen auf einen verlassenen, zerstörten Wohnwagen. Rehkitze blicken im Dunkel aus dem Wald. Helikopter der US-Border Control kreisen über dem Grenzgebiet. Gangmitglieder „treffen“ in Borderlands auf eine Weihnachtsparade im Ak-Chin Reservat in Maricopa, Arizona. Kirchen auf Waffenläden. Ein Minute-Man-Aktivist hält in Campo, Kalifornien, mit Fernglas Ausschau nach illegalen Einwanderern. In Lukeville, Arizona, sehen wir eine Gruppe Demonstranten, die Schilder mit Aufschriften wie „Build Bridges, Not Walls“ oder „NO WALL to divide the desert + it’s people“ mit sich tragen.

Ergänzt werden die Bilder und ihre Beschreibungen wie zeitliche und örtliche Zuordnungen von einem lesenswerten Essay von Autor und Übersetzer Francisco Cantù, der selbst einige Zeit ein „Watcher“ der United States Border Patrol war. Frisch von der Universität, fasziniert von der „umstrittenen Natur“ des Grenzgebiets, bewarb er sich und ging die Sache „with a very American kind of naivety“ an. Sicherlich habe es dort immer viel Grausamkeit gegeben, aber auch Gutes. Und warum nicht die Dinge von innen verändern?

Veränderung, ja. Nur in welche Richtung geht das Pendel?
So die Frage: Kann ein Mensch etwas über lange Zeiträume Entstandenes verändern? Es ist kein Spoiler, wenn die Antwort gegeben wird: Nein. Nicht in dieser Welt, was nicht nur die USA betrifft (Hey, Frontex!). Eher resigniert wendet Cantù sich ab, wird einen Bestseller über die Situation und Zeit schreiben (The Line Becomes the River: Dispatches from the Mexican Border) und nach mehr als zehn Jahren, in denen er versucht habe „to de-metabolize the rhetoric of violence, that still pervades dominant notions of the border, both in America and abroad“, verfasst er den Essay für Borderlands.

So scheint es, dass die „more perfect union“ immer zerrissener, gemäß dem Titel von Stephan Bierlings oben erwähntem, im C.H. Beck Verlag erschienenen Buch, immer unvereinigter ist. Die kommenden vier Jahre scheinen entscheidend, nicht nur mit Blick auf das Verhältnis der Amerikaner*innen zum vermeintlich Fremden. Sondern auch, wenn es um die Frage geht, ob sie eine liberale, offene Demokratie oder ein abgeschotteter Paria im Kreise unzuverlässiger Autokratien und Despoten sein wollen.

Werden sie ein Land, das keine Menschen aus Mexiko aufnehmen, aber den Assads der Welt ein Heim bieten würde? Robert Adams‘ Fotografien zeigen uns eine Welt, die manche bewahren wollen. Diese fügen sich zu Francesco Anselmis Fotos, die uns eine verunsicherte Welt zeigen, einen zum Krisengebiet auswachsenden Bereich. Für einen anderen Ansatz muss er dafür bald nicht mehr an die Grenzen gehen, da kann er im Inneren des Landes bleiben. Dessen Bürgerkrieg hat zumindest im digitalen Raum und in Form von Attacken und Anschlägen längst begonnen.
AS


Robert Adams: Eden; Juli 2023; Englisch; 48 Seiten, 21 Abbildungen; Hardcover, gebunden; Format: 23 x 20,5 cm; ISBN: 978-3-95829-681-7; Steidl Verlag; 55,00 €
Francesco Anselmi (Fotografie), Francisco Cantù (Essay): Borderlands; Mai 2024; Englisch; Editiert von Renata Ferri; Design: Emiliano Biondelli, 136 Seiten, 61 Duoton-Fotografien; Hardcover, gebunden; Format: 22,5 x 27 cm; ISBN: 978-3-96900-155-4; Kehrer Verlag; 44,00 €
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