Das Leben könnte so schön sein für Alex (Claire Danes) und Greg Wheeler (Jim Parsons) sowie deren Kind Jake (Leo James Davis). Eine zufriedene kleine Familie. Sie Anwältin, die sich aber vornehmlich, um Hausfrau und Mutter zu sein, vorerst aus ihrem Job zurückgezogen hat, er Therapeut mit zumindest okay-ish laufender Praxis und eben Jake, ein aufgeweckter, smarter Vierjähriger. Doch, oh weh, der Stress von außen, Vergleich mit anderen Eltern – in Alex‘ Fall gar mit dem eigenen Vorzeigebruder – und die scheinbare Notwendigkeit, nach dem Besten und Höchsten für den Nachwuchs zu streben.
Plötzlich Prinzessin?!
Um Jake auf die bestmögliche öffentliche Grundschule schicken zu können, sind die Eltern extra umgezogen. Doch dann wurde der Bezirk in Brooklyn neu aufgeteilt und nun ist die gewählte Schule nicht mehr zuständig für Jake. Also muss eine neue gefunden werden. Die ihnen zugewandte und mit Alex befreundete Direktorin von Jakes Kindergarten, Judy (Octavia Spencer), schlägt ihnen vor, es an einer der zahlreichen Privatschulen zu versuchen und sich gleichsam um ein Stipendium zu bewerben.

Ein schwieriger Prozess, mit all den Optionen und natürlich dem perfekten Bewerbungsschreiben. Immerhin suchen jährlich Hunderte bis Tausende Eltern nach DER Schule für das Kind. Dass Jake ausgerechnet in dieser Zeit anfängt öfter aus der Rolle zu fallen, Wutanfälle zu bekommen und Streit zu führen, ist nicht gerade hilfreich. Judy schlägt vor, dass Alex und Greg doch das geschlechterübergreifende Spielen Jakes hervorheben könnten….
…und plötzlich fällt den Eltern stärker auf, dass die Disney-Filme Jakes allesamt Princess-Movies sind, dass er doch allzu gern Tüllröcke zum Spielen trägt und zu Halloween als Ballerina, Rapunzel oder ähnlichem gehen möchte. Hoppala!
Kenner*innen am Werk
Regisseur Silas Howard, bekannt unter anderen auch als erster trans*Regisseur der wegweisenden Serie Transparent, nimmt sich in der Theateradaption Ein Kind wie Jake dem Thema der möglichen Transidentität eines Kindes sensibel an, beinahe so, als wolle er die Zuschauer*innen bei der Hand nehmen und sie sachte an das Thema heranführen. Was im Jahr 2018, da erschien der Film, mit Blick auf den Mainstream sicherlich noch mehr Sensibilität erforderte als heute.
Dass Daniel Pearle (Minjan) für die Drehbuchadaption verantwortlich zeichnet, ist nur logisch und konsequent, schließlich stammt von ihm auch die Bühnenvorlage. Im Film finden sich manche Nebenhandlungen und -figuren, die es auf der Bühne wohl nicht gab, ebenso nimmt Brooklyn viel Raum ein. Interessant und in Teilen kritisch zu sehen ist, dass in einem Film namens Ein Kind wie Jake, das Kind Jake so gut wie gar nicht auftaucht, es sich streckenweise eher wie ein getragenes, hier und da vermeintlich ziellos mäanderndes Ehemelodrama abspielt.
Nebenrollen und -schauplätze
So mag sich, bei aller Sensibilität und einer tollen Reihe an Nebendarstellerinnen, außer Octavia Spencer etwa Ann Dowd, Priyanka Chopra und Amy Landecker, in der ersten Hälfte des nur gut achtzigminütigen Films die Frage stellen, wohin die Reise denn gehen soll. Und mit dieser verbunden: Ja oder nein? Dranbleiben oder nicht.

Das ist verständlich, denn so interessant es zeitweise sein mag, der angestrengten Suche Alex‘ und Gregs nach einer Schule zu folgen, so gut geschrieben und inszeniert der tonale Wechsel von entspanntem zu angespanntem Umgang miteinander, aber auch mit Jake, ist, so sehr scheint dies nicht selten davon ablenken zu wollen, dass die Geschichte nicht zu ihrem eigenen Kern kommen mag. Und das ist bei aller Achtsamkeit dann doch ein wenig irritierend.
Gewittrige Eskalation
Oder mensch mag es so interpretieren, dass wir ähnlich wie die Eltern erst nach und nach auf den Trichter kommen sollen, was hier eigentlich vor sich geht. Das würde auch die physische Abwesenheit Jakes erklären – der*die zudem nicht in der Lage ist, zu artikulieren, was da vor sich geht. Zwar gibt es einige Szenen, in denen Jake auftaucht, doch von vielem, das hier über Jake erzählt wird, sehen wir nichts. Wir erleben die meist stürmisch konsternierte Reaktion von Mutter Alex und die eher ruhig abwägende von Vater Greg, der sich schnell für den Besuch bei einem Therapeuten oder einer Therapeutin ausspricht. Oh Wunder!

Jake Wheeler (Leo James Davis) verbringen zusammen Zeit miteinander // © WDR/2018 A Kid Like Jake LLC
Nun mag das keine schlechte Idee sein, denn klar ist, dass beide Elternteile dezent überfordert sind. Was letztlich nicht nur zu einem Streit mit ihrer guten Freundin Amal (Chopra) sowie einer Eskalation mit Judy und schlussendlich einem Gewitter zwischen dem Paar führt. Sind etwa all die Geschiedenen um sie herum eine Andeutung? Nun, so weit führen Howard und Pearle das Drama der Ehe dann doch nicht.
Angenehme Therapiesitzung
Eher besinnt sich der Film schließlich auf das, was er eigentlich erzählen will und entpuppt sich zum Ende als eine durchaus angenehm ausgestaltete Therapiesitzung für Verunsicherte. Fragen zu Rollenbildern und -klischees werden gestellt und debattiert, Fragen zu Fragen aus dem Umfeld durchgespielt, liberale Offenheit wird auf die Probe gestellt und Geschlechterkonventionen hinterfragt.
Im Grunde ist Ein Kind wie Jake etwas, das Eltern gezeigt werden sollte. Für viele, die sich mit Queerness in allen diversen Facetten befassen und/oder selber Teil der LSBTIQ*-Community sind, dürfte das auch von Jim Parons mitproduzierte Erziehungsdrama vor allem eine sympathische Fußnote sein.
AS

Im Rahmen von ONE Queer wird Ein Kind wie Jake am 26. Juli 2024 um 21:45 Uhr auf ONE gezeigt und ist anschließend für 30 Tage in der ARD Mediathek verfügbar.
Ein Kind wie Jake; USA, 2018; Regie: Silas Howard; Buch: Daniel Pearle, basierend auf dessen gleichnamigem Bühnenstück; Bildgestaltung: Steven Capitano Calitri; Musik: Roger Neill; Darsteller*innen: Claire Danes, Jim Parsons, Octavia Spencer, Ann Dowd, Priyanka Chopra, Amy Landecker, Leo James Davis, Aasif Mandvi, Annika Boras; FSK: 0; Laufzeit ca.: 90 Minuten; im Verleih von MFA+ FilmDistribution
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