Klaustrophobisches Vexierspiel

Kürzlich haben wir ein paar sehr typische Weihnachtsstories erwähnt. Ob sich in diese Reihe wohl der Horrorfilm Heretic einreihen könnte? Wunderbar ironisch wäre es, spielt Hugh Grant hier doch den titelgebenden Häretiker, der in einem der interessantesten und witzigsten Momente des Films erläutert, welche Religion bei welcher abgeschrieben und was das mit modernem Kapitalismus zu tun hat.

Entweder-Oder-Fragen

Und wie gut Kapitalismus und Weihnachten, dieses mehr oder minder christliche Fest der (Nächsten-)Liebe, zusammenpassen ist hinreichend bekannt. Grant debattiert in seiner Rolle als „smirking“ Mr Reed den zwei Mormoninnen Schwester Barnes (Sophie Thatcher, Yellowjackets) und Schwester Paxton (Chloe East), die kurz zuvor an seiner Tür geklopft haben. Nun sitzen sie auf seiner Couch, warten auf die vermeintliche Ehefrau und einen angeblichen Blueberry Pie.

Gretchenfragen im Horror-Haus : Bei einem intimen Gespräch fühlt der eloquente Mr. Reed (Hugh Grant) den beiden Missionarinnen Schwester Barnes (Sophie Thatcher, Mitte) und Schwester Paxton (Chloe East, rechts) auf den Zahn // © PLAION PICTURES / Kimberley French

Beide(s) wird es nicht geben, dafür die Entscheidung zwischen „belief“ und „disbelief“, also Glaube und Unglaube. Als diese getroffen werden muss, läuft Heretic, geschrieben und inszeniert von Scott Beck und Bryan Woods (A Quiet Place), seit einer bis dahin recht famosen Stunde. Denn auch ohne den Trailer gesehen zu haben, wissen wir, als sich die Schwestern gesetzt haben und Mr Reed mit seinen Fragen beginnt, was aus der Nummer werden wird…

Macht und Horror

…ein hintergründiges, hinterlistiges und doppelbödiges (Diskussions-)Spiel um die Macht des Arguments. Die Macht einer Person über alle anderen. Die Macht des angenommenen Wissens. So ist die erste Stunde auch eine Art ironischer Versuchsanordnung. Ein gegenseitige Herausforderung. Zwar liefert Mr Reed zu jedem Argument der Schwestern ein auf den ersten Blick pragmatisches Gegenargument. Doch gerade in Schwester Barnes hat er eine harte Gegnerin, ist diese doch mitnichten eine religiöse Fanatikerin oder ein naives Entlein.

Verzweifelte Suche: Bei ihrem Fluchtverscuh aus dem verwinkelten Haus, stößt Schwester Paxton (Chloe East) auf ein mysteriöses Holz Modell // © PLAION PICTURES / Kimberley French

Wenn sich der von Chung Chung-hoon stark fokussiert gefilmte Heretic dann einmal um 180 Grad dreht und in eher klassische Horror-Gefilde vordringt, geht buchstäblich etwas abwärts. Zwar bleibt der Film kurzweilig. (Ich war im Kino bei knapp zwei Stunden nicht einmal auf dem Klo – das will was heißen!) Doch verrennt er sich auch ein wenig in den labyrinthisch angelegten unterirdischen Räumen und kommt schlussendlich nur so halb zurück zu den anfangs prägenden Fragen.

Licht ins Dunkle: Nur mit einem Streichholz bewaffnet, sucht Schwester Barnes (Sophie Thatcher) nach einem Ausweg aus dem Keller des Horror-Hauses // © PLAION PICTURES / Kimberley French

Das mag auch an vielen, vielen Wendungen liegen, die allerdings an vielen Stellen in der Tat überraschend sind. Wenn auch das Thema „Logik“ nun nicht mehr sonderlich zutreffend ist, dafür eher der Begriff „Sadismus„. Wenn die Schwestern der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage erst lange in einem Raum ausharren müssen, um schließlich einem Wunder beizuwohnen und anschließend in einem Film à la Scream oder auch Saw zu stecken, ist das spannend und amüsant, aber auch recht „klassisch“.

Frohes, düsteres Kinofest

Dennoch ist Heretic aus dem inspirierten A24-Studio (u. a. Moonlight, Civil War, Hereditary, The Zone of Interest, MaXXXine, The Brutalist) mit Sicherheit keiner der üblichen Wiederaufguss-Horrorfilme. Was nicht zuletzt auch an den wirklich starken Leistungen von Sophie Thatcher, Chloe East und dem Golden Globe-nominierten Hugh Grant liegt. Vor allem in der ersten Hälfte lebt der Film davon, dass hier zwar mächtig diskutiert wird, dies allerdings inhaltlich wie schauspielerisch meist auf Augenhöhe geschieht.

Möchte ein Spiel spielen: Mr. Reed (Hugh Grant) hat sich auf den Besuch der beiden Missionarinnen bestens vorbereitet // © PLAION PICTURES / Kimberley French

So bekommen wir einen etwas anderen Weihnachtsfilm zu sehen, der doch gut in diese und unsere Zeit passt. Ein Film, der Fragen wie jene nach Denk- und Glaubensmuster stellt, dabei meist verschachtelt und clever ist und, wie erwähnt, nicht selten witzig. Die Musik von Chris Bacon trägt dazu bei, dass Heretic bis zum… speziellen Ende stimmungsvoll bleibt. Ein solides Spiel, das wir gern mitspielen. Frohe (Kino-)Festtage!

AS

PS: Apropos Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage – es gibt mit Latter Days und der The Falls-Trilogie recht gute, schwule Filme zu dem Thema.

PPS: In der FAZ bzw. auf deren Website findet ihr ein lesenswertes Porträt von Bert Rebhandl zum Film und Hugh Grant

Heretic ist ab dem 26. Dezember 2024 im Kino zu sehen.

Heretic; USA 2024; Regie und Buch: Scott Beck, Bryan Woods; Bildgestaltung: Chung Chung-hoon; Musik: Chris Bacon; Darsteller*innen: Hugh Grant, Sophie Thatcher, Chloe East, Topher Grace, Elle Young; Laufzeit ca. 111 Minuten; FSK: 16; eine Produktion von A24, im Verleih von Plaion Pictures

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