Zeitenwende 2.0? Dieses Mal richtig? In den USA wird Donald Trump erneut zum Präsidenten gewählt. Trotz allem. Und in Deutschland zerbricht am gestrigen Abend die erste Ampelkoalition. Wegen allem.
Schnell ist für viele ausgemacht, dass die Schuld daran allein und ausschließlich der FDP-Finanzminister Christian Lindner trage. Dessen 18-Punkte-Papier wurde als Scheidungsurkunde tituliert und teils, vermutlich ohne gelesen oder wenigstens eines ernsthaften Blickes gewürdigt worden zu sein, verdammt. Die ach so neoliberale FDP und ihre vermeintlich großkapitalistischen Träume wollten, so manch eine Interpretation, Zukunft für alle vermeiden.
Bedenkenlos nachgeplappert wurde, was jene Koalitionäre von SPD und den Grünen, die die FDP als Feindbild und Sündenbock perfektioniert haben, seit Tagen und Wochen in die Welt schicken. Sicherlich, hat die FDP, hat Christian Lindner Fehler gemacht. Sicherlich muss keine Person, Anhänger*in der Partei und deren politischer Ziele sein. Dennoch wurde hier oft, ob von Politiker*innen und Bürger*innen, in den Medien und in Social Media, ein Ton angeschlagen, der unterirdisch, verfälschend und heuchlerisch war und ist. Was in einem sehr persönlichen und beinahe diffamierenden Statement Olaf Scholz‚ zum Abschied Lindners gipfelte: Zu oft habe dieser „kleinkariert, parteipolitisch taktiert“. Was hier gerade passiert, ist nicht zuletzt eine persönliche Schlammschlacht zwischen Scholz und Lindner – allerdings mit den Vorzeichen, dass Scholz sie angezettelt hat und ein Großteil (nicht alles) von Lindners Reaktion Verteidigung ist.
All jenen, die nun das Ende Lindners als Finanzminister und den Koalitionsbruch feiern, sollten sich fragen, was sie hier feiern. Der ewige Vorwurf, Christian Lindner habe auf die Einhaltung der Schuldenbremse beharrt, mag bequem sein. Ignoriert aber zu gern, dass dies im Koalitionsvertrag festgehalten wurde. Diesen werden Kanzler Olaf Scholz (SPD) sowie Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) nicht unter Zwang mitgetragen und verantwortet haben. Lindner hat sein Beharren auf die Schuldenbremse mit seinem Amtseid begründet. Das ist nicht ganz praktisch: Vor allem hätte er den gemeinsamen Koalitionsvertrag brechen müssen bzw. wurde scheinbar vom Kanzler hierzu aufgefordert. Hierauf hätte sich Lindner viel eher berufen sollen als auf seinen Amtseid.
Robert Habeck, der mit seinem Papier kürzlich und diversen Einlassungen ebenfalls parteipolitisch taktiert, sagte heute Morgen im Deutschlandfunk übrigens, dass der Verteidigungsminister für die Bundeswehr zu lobbyieren habe, die Umweltministerin für die Umwelt, etc. Ein Finanzminister aber müsse mit allen Ressorts und also Ministerien und letztlich Minister*innen gut auskommen. Für alle da sein. Das ist Blödsinn. Wie sicherlich nicht nur der vor bald einem Jahr verstorbene, für diverse finanzpolitische und haushalterische Auseinandersetzung bekannte Wolfgang Schäuble unterschrieben hätte.
Vornehmliche Aufgaben eines Finanzministers, vielleicht auch mal einer Finanzministerin, sind es, den Haushalt, die Verschuldung, das Steuersystem sowie den Ausgleich von Willen, Interessen und Machbaren der jeweiligen Regierung und einzelnen Ressorts im Blick zu haben. Zumal hier nicht nur hinzukommt, dass Lindners 18-Punkte-Plan weithin und über die Grenzen wirtschaftspolitischer Richtungen Anerkennung wie Zustimmung fand.
Nein, auch, so ist es einem Deutschlandfunk-Gespräch des SPD-Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil mit Philipp May vom Dienstag – also vor dem Ampel-Aus – zu entnehmen, soll die Schuldenbremse für konsumtive Ausgaben gelockert werden: Rente, Wirtschaftshilfen, Ukraine-Hilfen. Mit Schulden soll letztlich nicht Innovation, sondern Verbrauch finanziert werden. Des Weiteren sollen Kosten für Projekte und Anliegen, die sich in Wahlkampfzeiten positiv auszahlen, finanziert werden. Eine Ausnahme wäre die weitere Unterstützung der Ukraine, hier aber wäre ein Reden mit dem Finanzminister a. D. möglich gewesen, wie es scheint. Es lohnt sich das Gespräch erneut nachzuhören, denn bereits am Dienstagmorgen deutete Klingbeil hier ein Ende der Koalition an. Ein Schelm, wer dem Kanzler und seiner Partei unterstellt, dass sie nicht bereits vor Dienstagabend den Zünder an diese Koalition angelegt hatten, selbst wenn viel des Sprengstoffs (siehe oben) durchaus auch von Lindner und seiner FDP kam.
So sollten sich also all jene antikapitalistischen, sozial bis sozialistisch geprägten, super hippen Gen X- bis Z-ler einmal klar machen, dass sie bis in ihren Tod hinein malochen werden müssen, um die Schulden von heute zu bezahlen. Jene Schulden, die gemacht würden und werden, um im Jetzt großzügig und wählbar zu erscheinen.
Mit Innovation, Investition und Verantwortung hat das alles so viel zu tun, wie die SPD mit sinnvoller Rentenpolitik.
AS
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