Küchentischromantik

Beitragsbild: Kriminalhauptkommissarin Cris Blohm (Johanna Wokalek, links) und Kriminalhauptkommissar Dennis Eden (Stephan Zinner, rechts) treffen auf Maximiliane (Caroline Adam Bay, Mitte) // © BR/PROVOBIS Gesellschaft für Film und Fernsehen mbH/Hendrik Heiden

Küchentischgespräche… Ein Klassiker aus der Zeit der maximal drei Fernsehprogramme erlebt zuletzt eine Art Wiederentdeckung. Robert Habeck, Kanzlerkandidat der Grünen, hat sie im November für seinen kurzen Wahlkampf entdeckt und war damit der einzige Politiker, über dessen Kampagne gesprochen wurde. Wir erinnern uns, den November über ging es bei den anderen Parteien eher um die unklare Kandidatenlage (SPD), die Scherben der zerbrochenen Koalition (FDP) oder… was haben nochmal CDU/CSUAfD und BSW im November gemacht? Vergessen…

Besorgt im Fokus: Ralph Horschalek (Martin Rapold) // © BR/PROVOBIS Gesellschaft für Film und Fernsehen mbH/Hendrik Heiden

Egal, Küchentischgespräche. Zu Weihnachten dürfte es nun auch das eine oder andere gegeben haben, manche belanglos, andere tragisch. Ein einigermaßen dramatisches jedenfalls gibt es im letzten Sonntagabendkrimi des Jahres, dem Polizeiruf 110: Jenseits des Rechts aus München. Ralph Horschalek (Martin Rapold) nämlich sitzt mit seiner Tochter Mia (Emma Preisendanz) und ihrer Schwester in einer Szene zusammen, um ein weniger angenehmes Gespräch zu führen.

Unglücklich

Mias Freund oder sagen wir lieber Kumpane wurde ermordet und Papa Horschalek will als Chef der wegen Waffeninvestments unter Beschuss stehenden Munich Gold AG nicht auch noch privat seinen Namen in wenig glänzendes Licht getaucht sehen. Der Freund von Mia nämlich, Lukas „Lucky“ Bärfuss (Florian Geißelmann) wurde ermordet in einem Wohnwagen aufgefunden.

Mia (Emma Preisendanz) und „Lucky“ (Florian Geißelmann) verbringen eine liebevolle Zeit in Luckys Wohnwagen auf dem Atelierpark // © BR/PROVOBIS Gesellschaft für Film und Fernsehen mbH/Hendrik Heiden

So weit, so unschön. Noch ärgerlicher allerdings ist die Tatsache, dass Lucky und Mia Amateurpornos gedreht und online gestellt haben – und das durchaus erfolgreich. Papa Horschalek jedoch fürchtet um seinen Ruf, was ihm natürlich ein Eins-A-Motiv verschafft. Cris Blohm (Johanna Wokalek) und Dennis Eden (Stephan Zinner) ermitteln jedenfalls akribisch, sind sich auch aufgrund eines Hinweises, der jedoch juristisch nicht verwertbar ist, allerdings sicher, mit Horschalek ihren Täter gefunden zu haben. Daraus nun belastbare Beweise zu generieren ist mehr als kompliziert, wie sich im Lauf dieses Falles zeigt.

Jahresendrallye

Fragen von Recht und Unrecht scheinen zuletzt eine Art Konjunktur in den Krimis zu haben. In Ludwigshafen hatten wir Ende Oktober einen Fall, in dem eine gerissene Anwältin ihren Partner ermordet. Im ZDF lief Ende November ein Film, in dem es um Polizeigewalt ging. Und nun das hier: Cris Blohm bekommt im Fall Jenseits des Rechts Indizien zugespielt, die sie unmöglich verwenden kann, will sie nicht sich selbst und ihr Umfeld in Gefahr bringen.

Rechtsmedizinerin Franca Ambacher (Jule Gartzke) versucht Kriminalhauptkommissarin Cris Blohm das schockierende Ergebnis ihrer Untersuchungen mitzuteilen // © BR/PROVOBIS Gesellschaft für Film und Fernsehen mbH/Hendrik Heiden

Was aber nun tun, wenn es doch scheinbar so offenkundig ist, wer der Täter ist? Klar, belastbare Beweise besorgen, denn einen Täter laufen zu lassen, scheint für viele unerträglich. Aber ist dafür wirklich jedes Mittel recht, wenn es eindeutig nicht rechtens ist? Das sind die Fragen und Abwägungen, die uns in diesen knapp 90 Minuten beschäftigen.

Ausweglos

Das klappt in diesem Fall tatsächlich sehr gut und allein das rettet uns über diesen Fall von Regisseur Dominik Graf mit abschließendem Twist (der sich allerdings dennoch andeutet) hinweg. Die Story nämlich ist eher einigermaßen dünn und gerade in der zweiten Hälfte passiert gefühlt lange Zeit nicht viel, denn Cris Blohm manövriert sich in diesem Polizeiruf 110 in eine wortwörtlich ausweglose Situation, die sie einfach aussitzen muss, wie es scheint.

Statt Ralph Horschalek empfängt seine Anwältin Verena Wegener (Carin C. Tietze) Kriminalhauptkommissar Dennis Eden (Stephan Zinner) im Foyer der MunichGold AG // © BR/PROVOBIS Gesellschaft für Film und Fernsehen mbH/Hendrik Heiden

Und obwohl so viel nicht passiert, tragen das Drehbuch von Tobias Kniebe und ganz essentiell auch die Musik von Florian van Volxem und Sven Rossenbach uns über die gesamte Dauer des Films gut hinweg. Auch die schauspielerischen Leistungen aller Beteiligten tragen ihren wesentlichen Teil dazu bei – besonders eines der wohl schönsten Solos des Jahres, nämlich das der Unternehmensjuristin der Munich Gold AG, Verena Wegener (Carin C. Tietze), die von Blohm ähnlich charmant in ihrem Redefluss unterbrochen werden muss. Ein großartiger Moment. Schade allerdings, dass Ambachers Rolle sonst wenig genutzt bleibt, an der Stelle hätte es noch mehr Potential gegeben.

Straßensammlung

Zum Abschluss des Jahres und einer bisher sehr gelungenen Saison von Tatorten (Ausnahme: Siebte Etage aus Köln) und einem Polizeiruf 110 aus Eberswalde gibt es mit dem Fall Jenseits des Rechts nun also noch einmal einen Kracher, bevor an Silvester nun die wilde Böllerei erneut losgeht.

Nach der Party… // © BR/PROVOBIS Gesellschaft für Film und Fernsehen mbH/Hendrik Heiden

Cris Blohm ermittelt fast im Alleingang und das ist ob ihrer Kompetenzübertretungen auch besser für alle. Vermutlich sollte da mal jemand ein vertrauliches Gespräch am Küchentisch führen – ein möglicherweise geeignetes Möbelstück hierfür sammeln sie und Eden jedenfalls gleich zu Beginn von der Straße ein.

HMS

Johanna Wokalek und Stephan Zinner // © BR/PROVOBIS Gesellschaft für Film und Fernsehen mbH/Hendrik Heiden

Das Erste zeigt den Polizeiruf 110: Jenseits des Rechts am 29. Dezember 2024 um 20:15 Uhr; anschließend ist er für zwölf Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Polizeiruf 110: Jenseits des Rechts; Deutschland 2024; Regie: Dominik Graf; Buch: Tobias Kniebe; Bildgestaltung: Hendrik A. Kley; Musik: Sven Rossenbach, Florian van Volxem; Darsteller*innen: Johanna Wokalek, Stephan Zinner, Emma Preisendanz, Michael Roll, Julia Gartzke, Martin Rapold, Florian Geißelmann, Carin C. Tietze, Florian Karlheim, Jan Messutat, Falka Klare; Eine Produktion der Provobis Gesellschaft für Film und Fernsehen (Produzent: Jens C. Susa) im Auftrag des BR

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