Laute(r) bunte Liebe im Theater des Westens

Spät kommen wir — doch wir kommen! Nicht nur von Rosenstolz– und/oder Peter-Plate-Ulf-Leo-Sommer-Fans ist das Musical ROMEO & JULIA —Liebe ist alles heiß erwartet worden. Nein Musical-Enthusiast*innen aus aller Bundesherrenländer (und darüber hinaus) blickten gespannt auf den 19. März 2023. An diesem Tag fand die große Gala-Premiere der klassisch angehauchten, primär aber poppig-bunten Songschau im Stage Theater des Westens statt. Die Standing Ovations am Ende, so wie die überbordende Stimmung im Saal während der Vorstellung sprachen für sich. 

Exzessive Liebe

Zu der Geschichte wird an dieser Stelle nicht viel verloren — sie sollte weitestgehend bekannt sein. Wer in der Schule nicht aufgepasst hat oder krank war, kann ja fix die empfehlenswerte Baz Luhrman-Verfilmung mit Claire Danes als Julia und Leonardo DiCaprio als Romeo schauen, bevor er*sie entscheidet, ob es für knapp drei Stunden in das Musicaltheater in der Nähe des Kurfürstendamms gehen soll. So viel aber schon einmal vorweg: Wer Musicals schätzt, es knallig und reich an Höhepunkten mag, macht mit einem Ticket schon einmal nichts falsch. 

Wir sind Verona – Mercutio (Nico Went) ganz vorn dabei // © Jörn Hartmann

Es geht im von Christoph Drewitz inszenierten und Jonathan Huor und Andrew D. Edwards choreographierten Musical gar so exzessiv zu, dass es uns, die wir keine ständigen Musicalgänger*innen sind, hier und da ein wenig viel war. Das dürfte aber weniger am Stück als eben an uns als Gästen gelegen haben. Zumal wir uns den Rang mit zwei, drei derart begeisterten Menschen teilten, dass wir an mancher Stelle nicht wussten, ob die Musik auf der Bühne oder dem Rang spielt. Musical als Erlebnis — was will mensch mehr?

Gänsehaut — nicht nur beim Tod

Zum Beispiel Talent auf der Bühne. Aber auch das wird solide bedient. Was bei dem Macher*innen-Profi-Team nicht sonderlich erstaunt. Counter-Tenor Nils Wanderer ist uns bekannt und gibt den verlockenden, seine Fäden spinnenden Tod ganz wunderbar und sorgt schon während der Ouvertüre für Gänsehaut. Ebenso hatten wir vor der Premiere in der Probenphase mit Nico Went sprechen dürfen, der den Mercutio singt und spielt und, ja, gar über den Tod der Figur hinaus lebt. Ob nun bei „Es lebe der Tod“ oder „Lass es Liebe sein“, der junge Mann überzeugt auf ganzer Linie. Eindrücklich sein „Kopf sei still“.

Der Todesengel über allen und allem // © Ron Scheffel

Nicht minder beeindruckend ist Steffi Irmen als Amme Julias, die wohl nicht nur von uns gefühlt spätestens mit „Jung sein“ die Kontrolle über den Saal gewinnt und dieses Romeo & Julia-Musical zu ihrem macht. Beeindruckend, mitreißend, groß! Bei späterem Nachhören fällt allerdings auf, dass dieser Song vor allem auf der Bühne funktioniert, auf dem Album verblasst die Kraft ein wenig. Überhaupt ist es hier exakt entgegengesetzt dem Ku’damm 56-Musical. Da schätzten wir das Album sehr, fanden die Aufführung allerdings eher… so mittel. Hier glänzt es auf der Bühne, das Album hingegen fließt einfach angenehm poppig vor sich hin.

Hörenswerter Gesang und sehenswertes Schauspiel 

Julia (Yasmina Hempel) und Romeo (
Paul Csitkovics) // © Jordana Schramm

Was, wie wir unter anderem an „Dann fall ich“ performt von Paul Csitkovics als Romeo und Yasmina Hempel als Julia feststellen, mitnichten an den Künstler*innen liegt, sondern einfach am ineinander übergehenden Arrangement des Albums. Auf der Bühne hingegen haben wir es immer wieder mit (durchaus nicht selten angepassten) Dialog-Versatzstücken aus Shakespeares großem Liebesdrama zu tun (in der Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel). Bedeutet wir sind immer in der Handlung. Erleben nicht nur die Musik, die Bewegung, das ausdrucksbetonte Gefühl, sondern auch ruhigere Momente zwischen den Knallern, den Humor vor der gesungenen Leidenschaft. Apropos Leidenschaft: Die geschätzte Marcella Rockefeller ist immer mal für Gastspielmomente Teil des Musicals.

Zurück zum Spiel: Hier wissen in erster Linie Went, Csitkovics und Irmen zu überzeugen. Vor allem letztgenannte scheint neben einer großen Sängerin auch eine starke Schauspielerin zu sein. Nicht vergessen dürfen wir Lisa-Marie Sumner als Julias Mutter Lady Capulet, die gerade im herzzerreißenden Moment des möglichen Verstoßens der eigenen Tochter alles gibt. Ein wenig blass blieb für uns der talentierte Anthony Curtis Kirby als Bruder Lorenzo; gut im Spiel, etwas fad im Gesang. Das mag jedoch in der Tat den Liedern geschuldet sein, die zu den schwächsten des Musicals gehören (mit Ausnahme von „Der Krieg ist aus“, das allerdings eher eine Ensemble-Nummer ist und mit dem Musical weniger zu tun hat und wohl mehr als ein lieber Gruß im Sinne von #StandWithUkraine gelten dürfte). 

Die queere Nuance

Clever ist die simpel erscheinende aber doch prägnante Bühnenkonstruktion. Wie ein Theater in einem Theater, dabei aber auch Saal, Halle, Balkon, Platz, Schlafzimmer, Kirche, usw. usf. Ohne viel Umbau-Tam-Tam lässt sich das Stück durch einen Lichteffekt hier, eine kleine Bank dort oder ein wunderbares Himmelszelt herrlich spärlich und doch üppig aufführen. Es sind eben die Kleinigkeiten, die zählen. 

Cast unn Macher auf der Premiere am 19. März 2023 // © Dominic Ernst

Das dachte sich auch Peter Plate, als er Shakespeares Drama auf Zwischentöne abklopfte und dabei einen in Romeo verliebten Mercutio ausmachte. Ich selber fand ja die Beziehung zwischen Meructio und Thybalt immer eher homoerotisch aufgeladen (was vielleicht gar ebenso im Musical aufgegriffen wird…). Plate über Mercutio: „Nachdem Julia im Leben seines Freundes auftaucht, stichelt er immer wieder gegen sie. Er ist nämlich total eifersüchtig, weil er Romeo liebt.“ So geht es in diesem Musical also nicht „nur“ um die Liebe zwischen Romeo & Julia sondern auch einen inneren Outing-Prozess von Mercutio. 

Charmant und reich an Talenten

Hier ist Liebe ist alles allerdings selber so voller subtiler Zwischentöne, dass jene, die entweder a) dies nicht vorher wissen oder b) nicht aufgrund eigener Erfahrungen sensibilisiert sind, es womöglich gar nicht mitbekommen und dadurch an einem Punkt im zweiten Teil des Musicals einen Schock erfahren könnten. Ein Bekannter jedenfalls meinte, seine Mutter würde das nie mitbekommen. 

Amme (Steffi Irmen) und Lady Capulet (Lisa-Marie Sumner) // © Dominic Ernst

Aber auch darin mag ein Verdienst des bei allem Drama locker-flockig präsentierten Musicals mit einem Mix aus Klassik und Pop liegen: Sensibilisierung. Das wiederum ist etwas, wovon wir nicht nur in Bezug auf Queerness mehr im Alltag bräuchten. Wenn dieser dann von einem so feinen wie eingängigen, häufig charmanten und an Talenten reichen Musical wie ROMEO & JULIA — Liebe ist alles unterbrochen wird, ist das eine feine Sache.

QR

PS: Katja Ebstein war übrigens auch dort. Und anders als bei Unser Lied für Liverpool, wurde sie zu nichts genötigt und äußerte sich positiv über die schönen Melodien des Musicals. Die Frau muss es wissen. Conchita Wurst nannte das Stück „Delicious“ und Heike Makatsch gab an, Tränen in den Augen gehabt zu haben.

Romeo (Paul Csitkovics) ist verzweifelt // © Stefan Graefe

PPS: Seit wenigen Tagen ist das Musikvideo zu „Halt dich an die Reichen“ feat. Lisa-Marie Sumner als Lady Capulet verfügbar. Eine feine Sache und ein sehr besonderes Stück, wie wir meinen. 

PPPS: Seit diesem Sonntag ist wieder der nimmermüde ZDF-Fernsehgarten mit Andrea „Kiwi“ Kiewel am Start. Am kommenden Sonntag, den 14. Mai 2023, wird das Ensemble des Musicals ROMEO & JULIA — Liebe ist alles zu Gast sein. Das Motto der Sendung lautet Darts-Party… Uhm, nun ja. Dann wäre ja Wilhelm Tell fast besser 😉

Romeo & Julia – Liebe ist alles. Das Musical // Foto: © BMG

Tickets gibt es hier.

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