Lesbische Sichtbarkeit in einer Bubble?

Am 7. August 2021 findet das Fest der Lesbischen Sichtbarkeit in Berlin statt. Alle Infos dazu hier.

Wie ist „Sichtbarkeit“ zu definieren? Wie „lesbische Sichtbarkeit“? Wie gar „Sichtbarkeit feministischer Lesben“ oder „lesbischer Feministinnen“? Eine Fragenreihe die ganz sicher nicht nur am heutigen Internationalen Tag der lesbischen Sichtbarkeit von Interesse ist. Sichtbarmachung gelingt der Politikwissenschaftlerin und Soziologin Susanne Kalka und der Künstlerin und Artdirektorin Helene Traxler in ihrem Band Lesbisch – Feministisch – Sichtbar. Role Models aus dem deutschsprachigen Raum, der im Querverlag erschienen ist, durchaus. Wie „sichtbar“ viele der 41 frauenliebenden Frauen jedoch in der Breite sind, ist sicherlich auch eine Frage der individuellen Biografien der Leser*innen.

Individuelle Biografien auf allen Seiten

Nun könnten wir noch die Frage aufwerfen, wie diese „Breite“ definiert werden sollte und beantworten sie für die folgende Betrachtung des Buches einfach mal plump damit, dass Anne Will und Maren Kroymann mehr Breitenwirkung haben als Diana Kinnert und Tanja Walther-Ahrens, die wohl mehr Personen bekannt sein dürften als Madeleine Marti und Dagmar Schultz. Individuelles Befinden und örtliche Gegebenheiten außen vor und vor allem frei von jeder Wertung der biografischen und beruflichen Leistungen der einzelnen Frauen. 

Denn diese sind in allen 41 alphabetisch angeordneten Fällen, die jeweils mit einer zumeist hervorragenden Illustration von Helene Traxler der jeweiligen Porträtierten und einem sie und ihr Wirken einrahmenden Zitat beginnen um durch zwei- bis vierseitige Kurzbiografien fortgeführt werden, ohnehin beachtlich. Völlig gleichgültig, ob es sich um die 1941 in Jerusalem geborene Jutta Schwerin handelt, die nicht nur erfolgreich in einer recht famosen Aktion Ende der 1950er-Jahre den Wehrpflichtdienst in der israelischen Armee verweigerte, sondern auch als eine der ersten offen lesbisch lebenden Bundestagsabgeordneten (für die Grünen) mit ihrem „Zwischenruf im November 1988 bei der Rede des damaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger anlässlich der Gedenkfeier zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht“ fast Berühmtheit erlangte. Oder um die bereits erwähnte, fünfzig Jahre später geborene, Diana Kinnert, die als „junge, selbstbewusste, lesbische Frau mit Migrationshintergrund“ in die CDU eintritt, ein, wie Susanne Kalka treffend schreibt, „Novum in einer Traditionspartei wie der CDU“ darstellt, sich politisch, ökologisch und medial engagiert, gerade ihr zweites Buch veröffentlicht hat und dennoch noch reichlich öffentlichkeitswirksames Leben vor sich haben dürfte.

Katharina Oguntoye im Buch Lesbisch – Feministisch – Sichtbar // © Helene Traxler

Oder die von Mahide Lein, Jahrgang 1949, einer Kulturvermittlerin, die mit oft alternativem Engagement mehr für kulturellen Austausch getan hat als auch das soundsovielte staatlich verordnete Programm es zu schaffen vermag und die 1992 den ersten CSD Russlands in St. Petersburg mitorganisiert hat. Genau wie die türkeistämmige, 1972 geborene Aktivistin und DJ İpek İpekçioğlu, deren Diplomarbeit aus dem Jahr 1997 im Fach Sozialpädagogik den Titel Lesbisch sein; Türkisch sein – Ein Widerspruch? trägt und die sagt, Politik und Musik ließen sich nicht trennen.

Oder nehmen wir noch Dagmar Schultz, geboren 1941, emeritierte Professorin, Filmemacherin, unter anderem eines Dokumentarfilms über die „feministische, afroamerikanische, lesbische Aktivistin und Poetin“ Audre Lorde, der sie auch zu einer Gastprofessur an der Freien Universität in Berlin verhalf, während derer die 1959 geborene Katharina Oguntoye Seminare von ihr besucht und so auch dazu kommt, das Buch Farbe bekennen: Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte mitzuentwickeln. Es soll schließlich 1986 im von Dagmar Schultz gegründeten Verlag sub rosa  (später Orlanda Frauenverlag) erscheinen.

Lesbisches Engagement auf allen Seiten

Da funktioniert notwendiges und richtiges Netzwerken schon bevor es in Deutschland die Wirtschaftsweiber, deren Gründungsgrundstein die Personalmanagerin Margarete Voll legte, oder die österreichischen Queer Business Women, die auch durch das starke Engagement der auf Diversity Management spezialisierten Organisationsberaterin Astrid Weinwurm-Wilhelm, über unser Nachbarland hinaus bekannt sind. Jedenfalls manchen Menschen.

Nach der Lektüre des Buches sicherlich noch einigen mehr. Dieser äußerst lückenhafte und doch schon vielfältige Auszug von in Lesbisch – Feministisch – Sichtbar porträtierten Frauen zeigt zwei Dinge auf, die gleichzeitig Vorteil wie auch Problem des Buches sind: Es handelt sich in der Tat um sehr unterschiedliche Kurzbiografien, die, gemäß dem im Titel prägnant geäußerten Anspruch des Buches, in erster Linie die Leistung des Engagements lesbischer Anliegen hervorheben. Es sind zum Teil Biografien von Frauen, die sich nicht nur aufgrund ihrer Sexualität durchkämpfen mussten, sondern auch aufgrund der Zeit, in der sie geboren wurden, weil sie in Zeiten studieren wollten, in denen das so nicht gedacht war oder auch, weil sie Schwarze Frauen sind. 

Luise F. Pusch im Buch Lesbisch – Feministisch – Sichtbar // © Helene Traxler

Die meisten im Buch abgebildeten Frauen haben studiert, einige sind habilitiert, ein nicht unwesentlicher Teil arbeitet(e) im wissenschaftlichen Bereich. Das ist fantastisch. Es kann aber auch als insoweit problematisch gesehen werden, als dass der Eindruck einer akademischen Bubble entstehen kann (einige bewegen sich beispielsweise zwischen der Humboldt-Universität zu Berlin, der Freien Universität Berlin und der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin) und sich potenzielle Leser*innen auch fragen könnten: Nun, ein Studium und eine wissenschaftliche Karriere werden es für mich womöglich nicht und ins Management geht es auch nicht. Um mal einen The L Word-Vergleich zu bringen: Sehr viel Bette Porter, wenig Shane McCutcheon. Womöglich trägt das Buch aber auch dazu bei, diese Bubble zugänglicher werden zu lassen und hilft der Annäherung von sehr unterschiedlichen Lebenswelten und -realitäten.

Denn klar ist auch, ohne die Beteiligung vieler der porträtierten Frauen sähe die Welt anders aus. So begegnen wir Frauen, ohne die es Gender Studies an deutschen Universitäten kaum geben dürfte; ohne deren Kompetenzen, Wirken, Vorarbeit und direkte Beteiligung man*frau in der Schweiz womöglich umsonst um die erfolgreiche Volksabstimmung zum Verbot von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung gekämpft hätte, es ebenso in der Schweiz weder den von Madeleine Marti und zwei Freundinnen gegründeten Sappho-Verein (Sappho lernt ihr auch bei den Queer Heroes kennen) noch L-Wiki, dass das bestehende Wissen zur Lesbengeschichte in der Schweiz dauerhaft abrufbar macht, geben würde und ohne die zumindest eine in Teilen stattfindende Repräsentanz in den deutschsprachigen Medien kaum denkbar wäre; ohne die es heute wohl weit weniger dezidiert lesbische aber auch allgemein queere Medien und Netzwerke gäbe und ohne die die Welt des Sports heute noch homophober als ohnehin aussehen dürfte. 

Wachsende Neugierde auf vielen Seiten

Das von Helene Traxler ganz, ganz toll illustrierte Buch lädt auch dazu ein, sich noch eingehender mit der Geschichte lesbischen Engagements im Allgemeinen zu befassen, vor allem aber je nach Interessenlage in manches Detail zu gehen. Die ehrenamtliche Unterstützung der Stiftung ZURÜCKGEBEN – zur Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft durch die Fotografin und Journalistin Sharon Adler macht neugierig und das Buch Seit dieser Nacht war ich wie verzaubert von Corinne Rufli, in welchem sie die Ergebnisse der Forschung im Rahmen ihrer Masterarbeit zur Geschichte frauenliebender Frauen in der Schweiz durch die Methode der Oral History aufbereitete und festhielt, klingt spannend (ähnliches hat Benno Gammerl kürzlich zur Geschichte schwulen und lesbischen Lebens in der Bundesrepublik veröffentlicht).

Henrie Dennis im Buch Lesbisch – Feministisch – Sichtbar // © Helene Traxler

Hoch interessant ist auch die Geschichte von Henrie Dennis, die vor der Homophobie und der Illegalität der Homosexualität in Nigeria flieht (eine ähnliche Situation wie in Kenia), um in Österreich nun rassistischen Vorurteilen zu begegnen und als Reaktion darauf Afro Rainbow Austria gründet, es nach und nach gesellschaftspolitisch ausrichtet, damit über die Grenzen Österreichs hinaus zu arbeiten beginnt und sich unter anderem auch gegen Frauenhandel engagiert. Der Band will die lesbische Community aus einer intersektionalen Perspektive aufzeigen – das klappt schon mal.

Leichter Ärger auf manchen Seiten

Schade ist es, dass sich die frauen- und (mit Sven Lehmann) queer-politische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Ulle Schauws, als Hauptantrieb in die Politik zu gehen, den Allgemeinplatz des Kampfes um eine gerechtere Gesellschaft aussucht. Das sind Aussagen, wie sie die Journalistin Ines Pohl vermutlich nervös auf dem Stuhl rutschen lassen dürften. 

Und bei aller sinnvollen und fokussierten Kürze kann beklagt werden, dass an der einen oder anderen Stelle ein Halbsatz mehr hätte Platz finden sollen. Wenn die Schweizer Aktivistin Anna Rosenwasser aus „dem Studium fällt“, wäre es fein gewesen zu wissen, warum – ein „aus persönlichen Gründen“ hätte es sogar getan. Oder eine kurze Ergänzung für welche „klare politische Haltung“ die Moderatorin Bettina Böttinger steht – nicht allen dürfte das so bewusst sein. Oder wieso die Journalistin und Moderatorin Inge von Bönninghausen die Gründungsgruppe der EMMA schnell wieder verlassen hat.

Inge von Bönninghausen im Buch Lesbisch – Feministisch – Sichtbar // © Helene Traxler

Manch ein falscher Fakt hat sich ebenso eingeschlichen, so beispielsweise bei Mirjam Müntefering, deren Vater, der SPD-Politiker Franz Müntefering, 1998 nicht Vizekanzler, sondern nur kurzzeitig Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im Kabinett Schröder I war. Vizekanzler war er hingegen von 2005 bis 2007 im Kabinett Merkel I. Das ist nicht dramatisch, in einem sonst aber wohl sorgfältig zusammengestellten Buch ist es schade. Wir klagen hier auf hohem Niveau.

Apropos: Was überhaupt nicht geht, ist das Papier, auf dem das ansonsten schön gebundene Buch gedruckt ist. Es ist dieses entsetzliche, glatte, glänzende und quietschende Lehrbuchpapier, das eigentlich alle schon in der Schule und im Studium hassten. Zumal darauf jeder kleine Abdruck zu sehen ist und es im Licht auch leicht spiegelt, was beim Lesen etwas nerven und beim Betrachten der Bilder den Effekt schmälern kann. Da wäre das für die das Buch einrahmenden Doppelseiten genutzte Papier in mehrerlei Hinsicht feiner gewesen. 

Wünschenswerte Öffnung allerseits

Zum Schluss lässt sich noch festhalten, dass Susanne Kalka das Buch mit einem schönen und persönlichen Vorwort einleitet, das uns nicht nur die Bedeutung von Sichtbarkeit vor Augen führt, sondern auch das Potenzial eines Folgebands erkennen lässt. Dieser wiederum, so können wir das Nachwort interpretieren, würde allerdings vielleicht ein wenig mehr auf die Bedeutung von Zuschreibungen wie „lesbisch“, „queer“, „Frau“ oder „Frau*“ eingehen. All das haben die Macherinnen hier mitgedacht und die Begriffe „Lesbe“ und „lesbisch“ inklusiv verwendet, mach einer angefragten Person war das aber wohl nicht ausreichend. Kalkas charmante Replik darauf im Nachwort allein macht das Buch empfehlenswert und regt zum Nachdenken über Ausgrenzung innerhalb einer sicherlich nicht homogenen Community an.

Lesbisch – Feministisch – Sichtbar erzählt wichtige Geschichten und zeigt wunderbare Illustrationen. Es sind aber auch Geschichten, die nicht Jede*r wird auf sich übertragen können. Auch wenn die meisten der 41 Stories durchaus damit verbunden sind, zu sagen, wie wichtig es ist, für die eigenen Ziele einzustehen und nicht aufzugeben. So ist dem Buch zu wünschen, dass es weithin gelesen wird, Austausch fördert und durch diesen Perspektiven öffnet.

Cover von Helene Traxler

Susanne Kalka und Helene Traxler: Lesbisch – Feministisch – Sichtbar. Role Models aus dem deutschsprachigen Raum; 1. Auflage, September 2020; Hardcover, 192 Seiten; vierfarbig, mit zahlreichen Illustrationen; ISBN: 978-3-89656-292-0; Querverlag; 20,00 €

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