Liebe in Zeiten eines Kalten Regimes

Warme Brüder im Kalten Krieg? Gab es nicht, kann es nicht gegeben haben. Schon gar nicht auf sowjetischer Seite, wo die Männer noch Männer waren und sind und keine verweichlichten Imperialismus-Feen. Eine Erzählung oder auch Behauptung, wie sie sich bis heute hält, bzw. bis heute hochgehalten wird. Die rechten Proteste, die die Aufführung des estnisch-britischen Films Firebird zu seiner Premiere beim Internationalen Filmfestival Moskau am 24. April 2021 begleiteten, sind ein Zeugnis dessen. 

Schwule Liebe auf dem Stützpunkt

Basiert der von Tom Prior, der hier mit Sergey eine der Hauptrollen spielt, und Regisseur Peeter Rebane geschriebene Firebird (im Verleih von Salzgeber) doch auf den Memoiren The Story of Roman des russischen Schauspielers Sergey Fetisov. Sergey ist gemeinsam mit seiner besten Freundin Luisa (Diana Pozharskaya) in den 1970er-Jahren als Wehrpflichtiger auf einem Luftwaffenstützpunkt in Estland, damals Teil der UdSSR, stationiert. Eines Tages wird der Kampfpilot Roman (Oleg Zagordnii) auf die Basis versetzt und verdreht sowohl Luisa als auch Sergey den Kopf. Eine leidenschaftliche Affäre aber beginnt Roman mit Sergey. Natürlich darf diese unter keinen Umständen ans Licht kommen, das nicht nur, weil KGB und Major Zverev (großartig bösartig: Margus Prangel) Roman bereits auf dem Radar haben…

BFFs?: Luisa und Sergey // © Salzgeber

Das war den aufrecht-rechten Protestierenden dann wohl ein wenig zu viel schwule Perspektive, nicht nur auf den einen der ihren, sondern natürlich auch auf ihr Land, die (nach Ansicht mancher leider) untergegangene Sowjetunion, ihre Werte und natürlich ihre Armee. In der im Film zur Stärkung des kampfeswilligen Gemeinschaftsgeistes auch mal grundlos gefordert wird „Mach den Päderasten fertig!“ 

Inspiration und Geschichte

Zwar muss das der dazu angetriebene Sergey durch einen Alarm zum Glück nicht tun, doch verstehen wir Zuschauer*innen schnell, wie es auf der Basis so läuft. Ebenso wird am Anfang des Films als er, Luisa und der gemeinsame Freund Volodja (Jake Thomas Henderson) „illegal“ schwimmen gehen, klargemacht, dass Disziplin und Härte das eine, ein guter Draht zu den Genossen und eine Packung Zigaretten das andere sind. Es sind solche Nebenher-Momente, die ein sehr gutes Bild vom sowjetischen Regime und seiner Armee vermitteln.

Sergey beim Stützpunkt-Volleyball // © Salzgeber

Ob diese Motive aus den Memoiren Fetisovs, der während der Dreharbeiten zu Firebird verstarb, stammen oder der Este Rebane, der hier seinen ersten Spielfilm inszenierte, und der Brite Prior sie angefügt haben, kann der Rezensent nur vermuten, er tendiert zur ersten Option. Zwar, so Tom Prior in einem Gespräch, sei der Film von der echten Beziehung Sergeys und Romans inspiriert, aber weniger ein striktes, exaktes Biopic; doch dürfte die Abbildung solcher Momente auf einer historischen Grundlage fußen.

Fotogenes Ballett

Die Liebesgeschichte zwischen den beiden Männern, die den Kern des Films bildet, bildet sich zuerst, wenig überraschend, zurückhaltend, aber im Grunde doch bestimmt aus. Anfangs entwickeln sie gemeinsam in der selbstgeschaffenen Dunkelkammer von Roman Fotos; auch zeigt er Sergey, der noch nie ein Ballett gesehen hat und eigentlich Schauspieler werden will, die Proben zu einer Aufführung von Strawinskys Feuervogel (da habt ihr den Titel) – eine berührende Szene. Der freudig erwartungsvolle, es kaum fassende und überwältigte Blick von Prior nimmt uns vollkommen mit, wie überhaupt seine rehäugige, aber selten (zu) scheue Präsenz eine*n rasch vereinnahmen dürfte.

Sergey und Roman während der Proben zu Strawinskys Feuervogel // © Salzgeber

Schnell merken auch wir als Zuschauer*innen, dass die beiden einander zu sehen scheinen; sie nicht zweifeln, ob es da funkt oder nicht. So lässt sie wohl vor allem der alles sehende und zu der Zeit stark um sich schlagende KGB zögern. Doch nach einem ersten Kuss, angeheizt durch einen adrenalinreichen Moment, schreitet ihre Affäre schneller voran, wird zu einer heimlichen Beziehung, zu Liebe. 

Farben in der Witterung

Dass Firebird, der an einer richtigen Stelle einen Zeitsprung und dann recht unerwartet nochmals einen macht, dabei nicht stolpert, liegt auch daran, dass sowohl Drehbuch als auch die Regie Rebanes und die Bilder von Kameramann Mait Mäekivi es schaffen, die Stimmungen wunderbar einzufangen. Verschiebungen in der Beziehung zueinander, auch der zu Luisa, die quasi als dritte Person Teil des Liebesgespanns ist, lassen sich auch durch Blicke und in nicht wenigen Momenten Farb- und Wetterwechsel wahrnehmen.

Roman und Sergey nach einem riskanten Manöver // © Salzgeber

Ein Blau, das für ungeteilte Aufmerksamkeit und Liebe steht (ausgenommen in Rückblenden, die dem Wasser hier eine trügerische Umkehr geben), ein Rot für gemeinsame, aber romantische Gefahr, ein kaltes Grün für den Rest der Welt. Sonne, Regen, Schnee tun ihr Übriges, um innere Kämpfe zu verdeutlichen, manchmal grenzt es an ein kleines Wunder, dass der Film hier nicht in krassen Kitsch abdriftet. Die Kurve bekommt Firebird glücklicherweise zu jeder Zeit. Was sicherlich auch an den überzeugenden Leistungen aller Darsteller*innen liegt. Insbesondere Prior, Zagorodnii und Pozharskaya geben uns hier Menschen, mit denen wir mitfühlen können und wollen, ohne uns dazu genötigt zu fühlen.

Ein Regime, das Nähe vernichtet 

Zwar mag man an mancher Stelle mit Roman hadern, der ein wenig zu eindeutig auch nach dem Ausscheiden Sergeys aus der Armee in der Rolle des Vorgesetzten und Taktgebers bleibt, andererseits möge dabei zu bedenken sein, dass für ihn wohl doch einiges mehr auf dem Spiel steht. Was davon schlussendlich auch selbst verantwortet ist, mag jede und jeder beim Anschauen des Film für sich beantworten. Auf jeden Fall verdeutlicht die Geschichte auch gerade an seiner Figur, was ein homo- bzw. queerfeindliches Regime im Leben eines Menschen und seiner Umgebung anrichten kann.

Ein Moment der Entspannung (in Sotschi) für Roman und Sergey // © Salzgeber

Zu guter Letzt soll nicht unterschlagen werden, dass der liebevoll und hochwertig produzierte Film (sind das die Alex-Rider-Silos?) neben nicht wenigen spannenden Momenten auch viele wirklich tolle Bilder liefert und darüber hinaus auch ein, zwei ziemlich heiße Szenen. Somit ist Firebird im Grunde ein Film-Rundum-Paket: Packendes Drama mit Thrillerelementen, reichlich Romantik ohne Kitsch, Sexiness, charmantem Witz, klasse Leistungen und einer kritischen, politischen Message, die ihre Wirkung offenbar nicht verfehlt, lassen den Film eine volle Empfehlung sein.

JW

Firebird lief im November in der queerfilmnacht und ist ab dem 17. Mai 2022 im Kino zu sehen – Termine und Orte findet ihr hier.

Firebird; Estland, Vereinigtes Köngreich, 2021; Regie: Peeter Rebane; Drehbuch: Tom Prior, Peeter Rebane; Kamera: Mait Mäekivi; Musik: Krzysztof A. Janczak; Darsteller*innen: Tom Prior, Oleg Zagorodnii, Diana Pozharskaya, Jake Thomas Henderson, Margus Prangel, Nicholas Woodeson, Ester Kuntu, Sergei Lavrentev, Rasmus Kaljujärv, Deni Alasaniya; Laufzeit: ca. 112 Minuten; Originalfassung mit Untertiteln; FSK: 12; eine Produktion von Factory, Firebird Production und No Reservations Entertainment im Verleih von Salzgeber; ab dem 25. November 2021 im Kino; seit 13. Juni 2022 auf als DVD, Blu-ray und VoD erhältlich

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