„Massenvernichtung ist super wichtig“

Ja, diesen Satz hat Greta Thunberg tatsächlich gesagt. Und das, obwohl ihr Vater Svante sie noch von der Massenvernichtung abbringen wollte. Doch Greta ließ sich nicht in die Parade fahren und bestand darauf, dass das Wort „Massenvernichtung“ in einer ihrer Reden unterzukommen hatte. Somit räumt die Dokumentation Ich bin Greta schon einmal mit dem sich in manchen Kreisen hartnäckig haltenden Gerücht auf, dass die Schwedin nur das Sprachrohr ihres Vaters sei. Zwei weitere Dinge werden durch die Dokumentation eindeutig klar: Greta hat einen sehr eigenen Kopf und ist das fleischgewordene PR- oder auch Lobby-Konzept. 

Nichts passiert zufällig

Regisseur Nathan Grossmann hat Greta seit dem ersten Tag ihres Streiks im August 2018 begleitet, ist dabei während ihre Anhängerschaft wächst, zeigt sie aber auch im Privaten, reist mit ihr und ihrem Vater um die primär europäische Welt und nimmt sie auf, während sie in ihr Smartphone-Tagebuch diktiert. Er zeigt Momente ihrer Erschöpfung und vermeintlich aufkeimender Resignation, aber auch Entspannung und freifliegender, beinahe hysterischer Freude.

Mit ihrem Schulstreik hat Greta die weltweite Jugendbewegung FRIDAYS FOR FUTURE in Gang gesetzt. Sie ist innerhalb kürzester Zeit zur international bekanntesten Klimaaktivistin geworden. // © WDR/B-Reel Films

Uns stellte sich zuallererst die Frage, was sich eine Person denkt, die einen einsamen Streik für eine gute Sache beginnt und sich dabei vom ersten Tag an mit der Kamera begleiten lässt, um anschließend fortwährend gleichsam überwältigt von der als auch unzufrieden über die Aufmerksamkeit zu sein. Natürlich ist nichts dagegen zu sagen, dass Greta sich von Anfang an eine solide Verbreitung ihres Anliegens wünschte, doch steht das im starken Kontrast zum (zugegeben primär von den Medien) geschaffenen 2018er-Narrativ des unbedarften und vorsichtig-wütenden Mädchens. Deutlich wird also von Beginn an die Agenda, die Proteste zu einer starken Bewegung werden zu lassen. Was smart ist und sicherlich kein Vorwurf, es passt nur nicht zum Habitus Thunbergs, später auch Neubauers und all den Kommentaren a la Fridays for Future seien ein loser Zusammenschluss und so etwas wie offizielle Sprecher gäbe es nicht. Es gibt zumindest Ikonen.

Das machen auch die Szenen des Films deutlich, in denen FfF bereits gewachsen ist und Greta unter anderem mit den Vertreterinnen der Bewegungen aus Deutschland, Belgien und anderen Ländern unterwegs ist. Sprecher*innen zu haben ist legitim und notwendig, so zu tun, als hätte man die nicht, wenn dies opportun ist, ist wiederum ganz schön verquer. Sowas machen auch „unabhängige Gruppierungen“, die aber auch rein gar nichts mit beispielsweise Pharma- oder Stromkonzernen zu tun haben. Apropos Stromkonzern: Greta wird auch mit Schild vor Vattenfall gezeigt, nachdem sie ein Briefing zum Hambacher Forst bekommen hat, um dann das Gesagte als Aufruf in die Kamera zu wiederholen. Auch das ist nicht schlimm, es ist aber eben Lobbyarbeit. Natürlich für die richtige Lobby, denn wer braucht schon Strom und wie können wir nur behaupten wollen, etwas durchdenken zu wollen sei nicht gleich diabolische Verzögerungstaktik? 

Spektakuläre Überfahrt zum UN-Klimagipfel nach New York. Szene aus „Ich bin Greta“, läuft im Rahmen der ARD-THEMENWOCHE 2020 „#WIE LEBEN – BLEIBT ALLES ANDERS“ // © WDR/B-Reel Films

Nun, Greta zum Beispiel braucht Strom, wenn sie mit einem unbequemen Boot nach New York übersetzt um vor den Vereinten Nationen zu sprechen. Wir hier haben das damals nicht verstanden und der Film macht es nicht schlüssiger. Aus Publicity-Perspektive war das natürlich ein Coup, wenn er auch zu wenig hinterfragt wurde, denn andere Beteiligte dieser Aktion flogen durchaus dennoch, wie die Crew, die das Schiff von Amerika wieder zurückbringen sollte. Doch abgesehen von Publicity war das ansonsten doch eine völlig sinnentleerte Aktion, oder? Musste da erst Corona kommen, damit die Effizienz und Effektivität von Videocalls entdeckt werden konnte? Wohl kaum. Um mit ihrer Mutter oder ihren Fans zu sprechen reicht die Videotelefonie aus. Und ihr Smartphone hat Greta eben doch immer und überall parat und nutzt es solide. Auch das musste auf der Überfahrt dabei und aufgeladen sein, dabei lesen wir doch bereits bei Katarina Schickling, wie schlecht es um die Klimabilanz dieser Geräte bestellt ist.

Die (Dosen-)Bohnen!

Bei den Vereinten Nationen war Greta in New York allerdings nicht erstmalig, sondern schon beim Klimagipfel im polnischen Kattowitz 2018. Papa Thunberg fuhr sie brav mit dem E-Auto hin, quer durch das Land, das auch durchaus einen gewissen Prozentsatz seines Stroms aus schmutziger Kohle gewinnt. Der Kofferraum ist voll bepackt mit Mikrowelle und Dosenbohnen. Es ist erstaunlich, dass eine Person, die keinen Tee aus Teebeuteln trinkt Dosen durch halb Europa fährt. Klar, es geht zu großen Teilen durch Polen und wir haben vor wenigen Wochen selbst entdeckt, wie groß das Wohlstandsgefälle nur wenige Kilometer jenseits der Grenze ist. Aber warum Greta mit ihrem Vater dosenweise Bohnen durch halb Europa transportieren muss, die sie vermutlich in der Mikrowelle aufwärmen, erschließt sich uns nur bedingt. Sozialismus ist auch im PiS-Polen mittlerweile vorbei.

Ebenso wenig erschließt sich uns die eine oder andere weitere Szene, die wir sehen. Vor allem Greta in der Nähe der Macht. Die Bilder mit Emmanuel Macron im Elysée-Palast in Paris sind nett, aber am Ende fühlt es sich so an, als ob sie nur hinzugefügt worden wären, um zu zeigen, dass Greta und ihre Mitstreiterinnen die Aufmerksamkeit eines großen europäischen Staatenlenkers hatten und diese Nähe zur Macht sichtlich genossen. Ganz anders die Bilder aus Wien: Bei Alexander von der Bellen in der Hofburg – einem Grünen – fühlt sie sich durch Post-KuK-Prunk sichtlich unwohl, aber auch daraus machen die Macher: nichts. Obwohl, das stimmt nicht ganz. Es wird ein Kommentar Gretas ergänzt, in dem sie sagt, dass es dort alles inszeniert wirke, so als würde jeder eine Rolle spielen. Das ist natürlich das typische Einmaleins des vermeintlichen Anti-Establishments, von links wie rechts, das unterstellt, niemand dort mache Dinge aus Leidenschaft, mit Herz und für eine grundsätzlich vielleicht gute Sache. Und gleichwohl besteht unsere repräsentative Demokratie aus „Rollen“: der eines Präsidenten, einer Abgeordneten oder eines Ortsvorstehers. Sie haben alle gewisse Aufgaben und sie sind zumindest durch demokratische Willensakte legitimiert. 

„Im Film zeigt Greta auch ihre humorvollen Seiten. Bekannt ist das ruhige Mädchen mit Asperger Syndrom eher für ihre anklagenden Reden und aufrüttelnden Appelle.“ // © WDR/B-Reel Films

Das ist ohnehin ein allgemeines Problem der losen Zusammenschluss-Nichtbewegung-Bewegung Fridays for Future, dass sie demokratischen Prozessen Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit absprechen, sich aber gleichsam darüber echauffieren, wie ineffektiv Politiker und Verbände arbeiten. Immerhin bewerben sich nun einige FfF-Freunde um ein Mandat, etwas das man auch Luisa Neubauer anraten könnte, die diesen Dingen seltsam entrückt scheint, wenn man sich mal das eine oder andere Gespräch mit ihr ansieht.

Dialogfähigkeit statt Sektiererei?

Ein weiterer Teil von Ich bin Greta geht dann noch dafür drauf, dass Greta irgendetwas nicht möchte, dass sie störrisch ist und rumbockt. Dabei geht es seltener um ihre Sache, sondern wohl eher darum, dass sie doch „nur“ ein Teenager ist. Auch vollkommen okay, nur drei, vier weniger Ausflüge in „Ich möchte das nicht“-Gefilde hätten es auch getan. Verstärkt wird das durch ihre immer mal wieder aufkommende und nachvollziehbare Erschöpfung. Womöglich wäre eine klare Organisationsstruktur ja doch eine Idee? Der Markenschutz ist ja schließlich auch auf dem Weg.

Greta Thunberg ist das Gesicht von FfF, von Klimaprotest und Kritik an der faulen herrschenden Verschmutzungskaste. Der Film Ich bin Greta ist sowohl Chronik, wie auch Aufruf und natürlich Denkmal. Eine Ikone ist geschaffen worden. Es ist Zeit, die Gunst der Stunde zu nutzen und sich zu fragen, ob mehr Dialog und weniger absolute Forderungen und abstruse Huldigungen nicht doch sinnvoller für die Sache wäre. Mit einer Sekte redet niemand, egal aus welch guter Idee sie geboren wurde.

AS, Mitarbeit HMS

Ich bin Greta läuft am 16.11.2020 um 23:20 Uhr in der ARD und ist vorab online verfügbar; in der ARD-Mediathek bis 30.9.2030

Ich bin Greta (I am Greta); Schweden/ Dtl./USA/GB, 2020; Regie & Drehbuch & Kamera: Nathan Grossmann; Darsteller*innen: Greta Thunberg, Svante Thunberg, Jean-Claude Juncker, Emmanuel Macron, Musik: Jon Ekstrand, Rebekka Karijord; Laufzeit ca. 90 Minuten; Produziert von Fredrik Heinig (B-Reel Films) in Koproduktion mit WDR, SWR, rbb, SVT, BBC, HULU und anderen

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