Mit der Waffe am Kopf

Bereits einige Male war der Rechtsstaat in den vergangenen Jahren in Gefahr. Denken wir an die von der AfD eingeschleusten Schwurbler, die im Reichstag ihr Unwesen trieben. Oder diejenigen, die versuchten, diesen zu stürmen. Oder an die Konstitutierung des Thüringer Landtags im letzten Herbst, als der AfD-Alterspräsident weit über seine Kompetenzen hinaus agierte und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments einschränkte.

Kein Spiel, sondern bitterer Ernst: Geiselnehmerin Urbanski (Anna Schimrigk) hat zwei Geiseln ausgewählt und will die übrigen zwingen zu entscheiden, welchen davon sie umbringen wird // © SWR/Benoît Linder

Oder denken wir auch an die Reichsbürger-Zelle um den selbsternannten Heinrich Prinz Reuß, der mit einigen Getreuen direkt die Regierungsgeschäfte übernehmen wollte – auch hier übrigens eine gewisse AfD-Nähe… Traurig, aber wahr: Der demokratische Rechtsstaat steht unter Beschuss und das sollte uns alle besorgen.

Sprecher wider Willen

Das macht nun, rund einen Monat vor der Bundestagswahl, der Tatort: Verblendung aus Stuttgart zu seinem Thema. Thorsten Lannert (Richy Müller) ist zu einer Filmpremiere des Landtags eingeladen, soll ein paar Worte zur Polizeiarbeit vor Vertreter*innen aus Politik und Gesellschaft beisteuern. Leider ist er allerdings verabredet – Kollege Sebastian Bootz (Felix Klare) übernimmt.

Die Anwältin Milagros von Wellersdorf (Heike Hanold-Lynch) vertritt die Häftlinge, die freigepresst werden sollen. Thorsten Lannert (Richy Müller) hofft, dass sie Einfluss auf die Geiselnehmer ausüben kann // © SWR/Benoît Linder

Bereits kurz nach Filmbeginn nimmt die Geschichte einen anderen Lauf: Zwei bewaffnete Terroristen stören die Aufführung und nehmen den halben Saal als Geiseln. Bootz wird unfreiwillig zu einer Art Geiselsprecher und Kontaktmann, der den Kontakt mit der schnell eingerichteten Soko halten soll. Die Geiselnehmer haben eine politische Forderung: Der Innenminister solle ein Video aufnehmen und die staatsseitig organisierten Morde an einer Reihe von „unliebsamen Gefangenen“ – scheinbar Verbündeten der Terrorzelle – darin öffentlich einräumen.

Keine Verhandlungen!

Staaten wie die USA haben die eindeutige Haltung, dass mit Terroristen nicht verhandelt wird. Auch der Innenminister Baden-Württembergs möchte dieser Logik folgen, aber die Geiselnahme beendet das selbstredend nicht. Dafür ist das besonnene Handeln der Soko-Chefin Farah Nazari (Leila Abdullah), ihrem früheren Mentor und jetzt Verbindungsmann draußen – Lannert – sowie von Bootz im Inneren erforderlich. Und die zeigen hier alle, was sie können, wie wichtig es ist, hierfür Allianzen zu haben und mit Bedacht in einer Stresssituation zu agieren.

Farah Nazari (Leila Abdullah) leitet den Einsatz in der improvisierten Zentrale und hofft, die Geiseln freizubekommen // © SWR/Benoît Linder

Das haben Autorin Katharina Adler und Regisseur Rudi Gaul den handelnden Akteuren quasi auf den Leib geschrieben. Der Fall Verblendung ist ein hochspannender Actionthriller, der so oder so ähnlich auch aus Hollywood stammen könnte und dennoch den Lokalkolorit des Ländle immer wieder durchblitzen lässt. Die Story ist fesselnd, enorm spannend und lässt absolut nichts zu wünschen übrig.

Eine Machtdemonstration des Sonntagabendkrimis

Darüber hinaus ist gerade im verschlossenen Kinosaal eine kleine und zusammengewürfelte Gemeinschaft entstanden, die zur Diktatur wider willen verdammt ist. Auch hier gibt es auf einer Mikroebene eine wunderbare Studie, die uns die Schwächen der Demokratie vor Augen führt, aber auch, welche Stärken sie haben kann, wenn wir sie mit Leben füllen. Neben der Journalistin Leila Kaiser (Jessica McIntyre) ist es vor allem Bootz, der die Demokratie hochhält, das scheindemokratische Regime der Terroristin entlarvt und die eingangs beschriebene Gefahr für die Demokratie aktiv benennt.

Leila Kaiser (Jessica McIntyre) ist die standhafteste unter den Geiseln // © SWR/Benoît Linder

Dieser Tatort: Verblendung ist famos, er reiht sich ein in eine bisher unglaublich starke Saison und ist nach Fällen wie Dein gutes Recht aus Ludwigshafen oder dem Polizeiruf 110: Jenseits des Rechts der dritte Fall in jüngster Zeit, der unbequeme Fragen nach der Verfasstheit des Rechtsstaats macht. Verblendung ist eine Machtdemonstration des Rechtsstaats und des Sonntagabendkrimis.

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Ein Schuss ist gefallen! Während die Kinobesucher versuchen, sich in Sicherheit zu bringen, gelingt es Sebastian Bootz (Felix Klare), seinen Kollegen anzurufen // © SWR/Benoît Linder

Das Erste zeigt den Tatort: Verblendung am 19. Januar 2025 um 20:15 Uhr; anschließend ist er für zwölf Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

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