Mutter, die Menschen mit dem Hedonismus sind da

Als wir lasen, dass der neue Tatort aus Wien, der gleichwohl den Start in die neue Tatort-/Polizeiruf 110-Saison markiert, Deine Mutter heißt, waren wir kurz besorgt. Wurden doch weniger gute Erinnerungen an den Wien-Fail Mutter wach. Nun haben die beiden Filme zum Glück nichts miteinander zu tun und ebenso bemüht sich dieser Krimi im Rap-Milieu um größtmögliche Authentizität.

Aus der Szene in die Welt

So wurde die Produktion vom Wiener Rapper Aleksandar Simonovski aka Jugo Ürdens beraten, der in Deine Mutter ebenso das Opfer Ted Candy verkörpert und sagt: „Es ist definitiv stimmig“. Als Ted Candy bewegt er sich noch frisch auf der Erfolgsspur und hat dabei Beef mit seinem ehemaligen Mentor Akman 47 Onur (Murat Seven). Als Ted nach einem Konzert – reichlich auf Koks und voller Adrenalin – ums Leben kommt, müssen Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) nicht lange nach einem Verdächtigen suchen. Doch Akman streitet alle Vorwürfe ab: Das spektakuläre Social-Media-Battle sei nur eine Inszenierung gewesen, um die Followerzahlen beider weiter zu pushen und zusammen noch bessere Geschäfte zu machen…

Hat Beef: Aleksandar Simonosvski aka „Yugo“ als Theodor „Ted“ Sänftner // © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg

Das ist natürlich nicht allzu üblich in dieser Welt, die für viele Tatort-Zuschauer*innen eine wohl unbekannte sein dürfte. Dies zum Glück nicht für die Macher*innen: Regisseurin Mirjam Unger (u. a. Vorstadtweiber, Tage, die es nicht gab) kennt sich in der Szene gut aus, war lange Zeit als Musikredakteurin unterwegs und war Mitgründerin des Indie-Jugendsenders FM4. „Der Schwerpunkt des Senders lag zu einem guten Teil auf österreichischer Musik. Dadurch wurden viele Bands, Singer-Songwriter, Hip-Hopper und auch Autorinnen wie [die für den Deutschen Buchpreis nominierte, Anm. d. Red.] Stefanie Sargnagel gefördert. Ich darf wohl sagen: In der Szene kenne ich mich gut aus“, so Unger im Presseheft. Auch der jüngst für den Österreichischen (und leider nicht den Deutschen) Buchpreis nominierte Elias Hirschl stammt übrigens aus diesem Orbit.

Nicht ohne Ironie

Zudem wurde viel an Originalschauplätzen wie dem Musikclub Flex im 1. Bezirk gedreht und die verwendete Musik stammt von Yugo. So auch ein Song, den Bibi und Moritz gemeinsam mit Kolleg*innen und Co. im Rahmen einer herrlich ironisch-abgedrehten Traumsequenz quasi ohne cringe auf einer Brücke performen. Das geht Richtung Rap Battle, aber ohne jeden 8 Mile-Pathos. Überhaupt nimmt der von Franziska Pflaum und Samuel Deisenberger geschriebene Fall Deine Mutter sich selber zwar nicht zu ernst, dafür aber die Protagonist*innen aus der Szene.

Hatte Beef: Ted Candy. Harald Krassnitzer (Moritz Eisner), Adele Neuhauser (Bibi Fellner), Christina Scherrer (Meret Schande) ermitteln // © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg

In manch anderen Händen hätte die Nummer ganz anders ausgehen können. Natürlich wird auch in Wien lange mit dem Klischee gespielt, dass aller (Gangster-)Rap ausschließlich sexistisch, homo– und frauenfeindlich, menschenverachtend und primär brutales, hedonistisches Bling-Bling ist. Je mehr sich Eisner und Fellner aber auf diese ihnen neue Welt einlassen, desto mehr durchlaufen sie auch einen Lernprozess. (Und ein paar Gay Vibes gibt es auch.)

Die Frage stellt sich schon: Und nun?!

Das dürfte manchen Zuschauer*innen ähnlich gehen, bekommen sie letztlich neben dem Krimiplot und der Rap-Welt auch noch ein familiäres Drama um Ted Candy und dessen titelgebende Mutter Adriane Sänfter, gespielt von Ex-Tatort-Kommissarin Edita Malovčić aka Madita, die, als schwere Alkoholikerin, in einer Scheinwelt lebt. Auch das ist spannend am Tatort: Deine Mutterdie Bruchlinien der eigenen Biografie, die hier nicht nur das Opfer betreffen.

Drop a line: Aleksandar Simonosvski aka „Yugo“ (Theodor „Ted“ Sänftner), Edita Malovcic (Adriane Sänftner) // © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg

Wenn also das echte Leben in die gut inszenierten Phantasiegebilde dringt, mensch schließlich davorsteht und sich wie jeder „echte“ Mensch auch mit der Frage auseinandersetzen muss: Und nun?!

Im Bild (v.li.): Francis Ayozieuwa (Bashir Ahmadi), Murat Seven (Akman Our), Salka Weber (Sarah Stamenkovic) // © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg

Mord ist jedenfalls nicht immer eine obergeile Art, Probleme zu lösen. Zumal sich der Mord hier am Ende doch als etwas andere Angelegenheit entpuppen soll. Doch es soll nicht zu viel vorweggenommen werden, dafür ist dieser Tatort aus Wien doch zu spannend, unterhaltsam und fintenreich. Ein guter Einstieg in die neue Saison!

AS

PS: Und natürlich begegnen wir wieder einer Person, die Bibi Fellner noch aus ihrer Zeit bei der Sitte kennt. Einem gewissen Igor Slavin (Hary Prinz), ein durchtriebener Unterwelt-Boss, dem Bibi im Zuge der Mordermittlung direkt das Handwerk legen will. Schon witzig, wie alle zwei bis drei Folgen jemand aus der „guten alten Zeit“ auftaucht, den mensch damals nicht ranbekommen hat und nun nebenher abgefrühstückt wird. Eigentlich sollte es mal eine Prequel-Episode mit Bibi als saufender Sitte-Ermittlerin geben. Wäre sicher witzig.

Im Bild (v. li.): Hary Prinz (Igor Salvin), Adele Neuhauser (Bibi Fellner), Harald Krassnitzer (Moritz Eisner) // © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg

PPS: Etwas seltsam war es, Christina Scherrer erneut als Meret Schande zu sehen, hatte sie sich doch in der letzten Folge vom März 2024 in den Mutterschutz verabschiedet. Sei’s drum – vermutlich wurde jener Tatort eben vor dem anderen gedreht.

PPPS: Weiter geht es in der kommenden Woche mit dem Team Schwarzwald, anschließend verabschieden sich Janneke und Brix in Frankfurt (juhu!) und kurz danach Dagmar Manzel als Paula Ringelhahn im Frankenland (schade 😢).

Harald Krassnitzer (Moritz Eisner), Adele Neuhauser (Bibi Fellner) // © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg

Das Erste zeigt den Tatort: Deine Mutter am Sonntag, 15. September 2024, um 20:15 Uhr, anschließend ist der Film für einen Monat in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Deine Mutter; Regie Mirjam Unger, Buch: Franziska Pflaum, Samuel Deisenberger; Bildgestaltung: Sebastian Thaler; Musik: Sebastian Watzinger; Darsteller*innen: Harald Krassnitzer, Adele Neuhauser, Aleksandar Simonovski, Hubert Kramar, Christina Scherrer, Günter Franzmeier, Murat Seven, Salka Weber, Francis Ayozieuwa, Kiara Hollatko, Tobias Resch, Hary Prinz, Roland Koch, u. .a.; Eine Produktion des ORF, hergestellt von der Cult Film GmbH – ein Lizenzerwerb der ARD Degeto für die ARD

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert