Nachhaltig bissig

Eines ist von Beginn an klar in Robert EggersNosferatu – Der Untote: Uns erwartet eine grausig-düstere Mischung von klassischem Horror und moderner Inszenierung. In quasi Schwarz-Weiß-Bildern sehen wir im Prolog eine junge Frau oder eher Jugendliche des Nächtens beten, dann lustwandelt sie durch den Park des üppigen Anwesens, harrt auf einer Wiese der Dinge, die sie zu rufen scheinen, bewegt sich rhythmisch, erregt. Plötzlich eine Art Monster über ihr – und das Versprechen, die seine zu sein.

Alte Kamellen?!

Boom. Willkommen in der vampiristischen Filmwelt eines Robert Eggers (The Witch, The Lighthouse, The Northman), der diesen Nosferatu sowohl inszenierte als auch schrieb. Natürlich assoziieren wir hier schnell F. W. Murnaus Stummfilmklassiker Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens aus dem Jahr 1922, für den Henrik Galeen das Drehbuch verfasste. Dieses wiederum griff Elemente der Gothic Novel Dracula eines gewissen Bram Stoker auf.

Auf dem Weg zum Grafen // Courtesy of Focus Features / © 2024 FOCUS FEATURES LLC

All das greift nun wiederum Eggers auf, der sich freute viel recherchieren, erneut Dracula lesen und alles, was er mal zu der Geschichte wie Vampiren im Allgemeinen wusste und wieder vergessen hatte, nun von Grund auf neu lernen zu können. Oder in den Worten von Produzent Chris Columbus: „Sein Büro war mit Hunderten von Büchern vollgestopft. Es war fast so, als würde man das Büro eines Professors für Vampirologie betreten. Es gab all diese Bücher über den Okkultismus und die Geschichte des Vampirismus.“

Neue Wege

Einen Vampirologen respektive Spiritisten und Philosophen namens Prof. Albin Eberhart Von Franz verkörpert Willem Dafoe. Der taucht aber erst in der zweiten Filmhäflte auf. Zunächst springen wir ins „Heute“, also den Beginn des 19. Jahrhunderts, in die fiktive deutsche Hafenstadt Wisborg. Hier leben die frischvermählten Ellen und Thomas Hutter (Lily-Rose Depp und Nicholas Hoult) und wollen sich ein solides Leben aufbauen. Thomas ist als Immobilienmakler tätig und erhofft sich, Partner in der Firma von Herrn Knock (Simon McBurney) zu werden.

Kleiner Drink? Thomas Hutter (Nicholas Hoult) wird von Graf Orlok liebevoll umsorgt // Aidan Monaghan / © 2023 FOCUS FEATURES LLC

Dieser verspricht ihm den Aufstieg, wenn er einen etwas speziellen Auftrag annimmt: Ein zurückgezogen in den Karpaten lebender Kunde möchte das verlassene Schloss Grünewald hier im Ort kaufen. Bedingung allerdings ist, dass Hutter zu diesem Graf Orlok nach Transsilvanien reisen muss, um Details zu besprechen und den Vertrag zu unterzeichnen. Zwar bittet Ellen, die einen Albtraum hatte, ihren frisch Angetrauten nicht zu fahren. Doch, nun, im Sinne der finanziellen Absicherung der hoffentlich bald wachsenden Familie, sieht er sich in der Pflicht, die Reise anzutreten

Frische Visionen

Nicht wenige werden grob wissen, was nun passiert. Zwar schafft Robert Eggers, der den Figuren wohl Hintergrundgeschichten und derlei schrieb, die im Film niemals auftauchen sollten, die er aber nutzte, um die Erzählung zu seiner zu machen, einen eigenen Film. Doch ist das Grundkonzept geblieben. Hutter (angelehnt an Jonathan Harker) wird von Orlok aka Nosferatu (ein kaum zu erkennender, anfangs gewöhnungsbedürftiger Bill Skarsgård) mehr oder weniger gefangen gehalten, semi heimgesucht, vereinnahmt, etc. pp.

Nicholas Hoults Thomas fühlt sich irgendwie neben der Spur… // Courtesy of Focus Features / © 2024 FOCUS FEATURES LLC

Derweil streckt Orlok seine gern in Schatten, Gegenlicht und Halbdunkel liegenden Krallen mehr und mehr Richtung Wisborg und Ellen aus. Diese weilt während Thomas‘ Abwesenheit bei dem reichen, befreundeten Ehepaar Friedrich und Anna Harding (Aaron Taylor-Johnson und Emma Corrin) weilt. Ellen ist, wir ahnen es, das Mädchen aus dem Prolog. Nun wünscht der sarkophile Graf, dass sie ihr Versprechen hält und sich ihm hingibt. Sie wird von Albträumen, Schweißausbrüchen und Visionen geplagt.

Vermaledeiter Volksvampir

Ist das lediglich die zu dieser Zeit den Frauen gern zugeschriebene Hysterie? Diese Frage stellen sich nicht nur Friedrich und Anna, sondern auch der zugewandte und vergleichsweise weltoffene Arzt Dr. Wilhelm Sievers (Ralph Ineson, nach Das erste Omen demnächst in Guillermo del Toros Frankenstein zu sehen, der im Laufe des Jahres bei Netflix veröffentlicht werden soll). Hmm, nee. Es scheint mehr dahinter zu stecken. Auftritt Dafoes in Ungnade gefallener Schweizer Professor, der eng an die Figur Abraham van Helsing angelehnt ist.

Robert Eggers
Ellen (Lily-Rose Depp) wünscht sich frei zu machen // Courtesy of Focus Features / © 2024 FOCUS FEATURES LLC

Wir verbringen neben einiger Zeit in Siebenbürgen viel Zeit bei und mit Ellen. So ist Nosferatu – Der Untote auch, manches Mal vor allem, ihre Geschichte. Somit auch die Erzählung einer Obsession, eine Geschichte von Besessenheit, gar sexueller Befreiung und Lust. Zwar ist dieser Orlok kein Lestat, doch hat er in seiner anziehenden Dreckigkeit Teilbesitz von ihr ergriffen. Es gibt eine scheußlich famose Szene, in der Ellen die verrückte Lust, die Gier nach Fleischlichkeit überkommt und sie sinnbildlich ihren zurückhaltenden Ehemann auseinandernimmt. Lily-Rose Depp spielt hier mit ihrem ganzen Körper und bleibt definitiv in Erinnerung

Lange Reise

Robert Eggers kreiert in der Tat eine recht spezielle und eigene Geschichte innerhalb der bekannten Geschichte. Nutzt viele Referenzen, nicht nur an Stoker und Murnau, sondern generell Vampirmythologie betreffend. Zudem erzählt er offen die Erotik des Endes, die Verlockung des Todes und die vermeintlich damit verbundenen Freiheiten in einer, vor allem für Frauen, arg repressiven Zeit.

Willem Dafoe versucht als Professor Albin Eberhart von Franz Ellen Hutter so gut es geht zu helfen // Courtesy of Focus Features / © 2024 FOCUS FEATURES LLC

Gar politisch kann der Eggers’sche Gothic-Grusel interpretiert werden. Es dauert lange (seeehr lange, im Mittelteil zieht sich der Horror ein wenig), bis Skarsgårds Orlok aka Nosferatu sich via Schiff (die Demeter lässt grüßen) auf den Weg nach Wisborg zu seinem neu erworbenen Schlösschen und zu Ellen macht. Währenddessen schwant den Bewohner*innen vor Ort Böses. Ganz à la Game of Thrones‚ „Winter is coming“ heißt es häufiger „he’s coming“.

Politisches Blut

Das hat ein wenig was vom Umgang der Menschen mit rechten wie populistischen Kräften, die wir sich bedrohlich aufrichten zu sehen meinen (ganz wie Nosferatu aus seinem Sarkophag). Doch aber eher halbherzig vor ihnen warnen, letztlich (von einer sommerlichen Demo abgesehen) auf der Couch hocken bleiben und dann schließlich erstaunt „Oh, nein!“ ausrufen, wenn die Pestratten durch die Stadt rennen. Oder eine aktuelle INSA-Umfrage für die AfD 20,5 Prozent auf Bundesebene verzeichnet. Oder Donald Trump erneut Präsident wird. Oder, oder, oder, …

Zu spät? Friedrich (Aaron Taylor-Johnson) und Anna Harding (Emma Corrin eilen Ellen zu Hilfe // Aidan Monaghan / © 2024 FOCUS FEATURES LLC

Nun sollte guter Horror nicht nur hintersinnig sein, sondern ebenso formal ansprechend, gruselig, gegebenenfalls blutig, überraschend und stimmungsvoll. All das trifft auf Nosferatu – Der Untote absolut zu. Dass er schaurig-gruselig ist, wurde eingangs erwähnt. Ebensowenig schreckt der Vampir vor blutigen Bissen und manchem Gore zurück, so dieser denn zur Handlung passt.

Grandioses Grauen

Überraschend ist er auch, nicht zuletzt wenn es um die Hardings geht (Aaron Taylor-Johnsons Friedrich darf übrigens als Inbegriff des gutsituierten Patriarchats gelten; aktuell ist er noch im fürchterlich dämlichen Film Kraven zu sehen). Stimmungsvoll ist Nosferatu dank der Bilder Jarin Blaschkes (Knock at the Cabin), der starken Musik Robin Carolans, der detailgenauen und den Charakteren entsprechenden Kostüme Linda Muirs sowie der Bauten des Szenenbildners Craig Lathrop – allesamt Künstler*innen mit denen Robert Eggers schon bei seinen früheren Filmen arbeitete – allemal.

Wir können sagen, dass Nosferatu – Der Untote ein für den Kinogenuss gemachter Film ist. Die Einstellungen wirken auf großer Leinwand teilweise überwältigend erschütternd (die Schlusseinstellung allein lohnt den Kinobesuch). Der Grusel setzt sich in uns fest, wie Nosferatu sich in Ellen Hutter. Es ist ein grausiges, melancholisches Fest zu sehen, wie Eggers klassischen Gothic-Horror mit modernen Elementen, einer Prise Sarkasmus und der Suche nach dem Guten selbst im Schlimmsten zusammenbringt. Ein starker Einstieg ins Kinojahr 2025!

AS

PS: Apropos starker Einstieg ins Kinojahr 2025: Im Januar kommt so manch starker Film (heute startet ebenfalls Luca Guadagninos Queer), vor allem aus dem europäischen Raum. Stay tuned, wie die Franzosen sagen. Hä?

PPS: Herr Knock basiert übrigens auf Bram Stokers Figur Renfield. Zu dieser wiederum inszenierte Chris McKay 2023 einen fabelhaften Horror-Comedy-Action-Streifen (der leider und unverdient floppte) mit Nicolas Cage als Dracula und Nicholas Hoult als Renfield. Boom.

Hitzige Stimmung // Courtesy of Focus Features / © 2024 FOCUS FEATURES LLC

PPPS: Wir bearbeiten derzeit ein Stoker-Throuple. Den klassischen Dracula lesen wir in einer der wunderbaren großen Schmuckausgaben aus dem Coppenrath Verlag und werden diesen um neun erstmals 1914 postum erschienene Erzählungen ergänzen (Draculas Gast bei Anaconda). Schließlich begab sich Stoker nicht nur mit seiner Demeter auf See, sondern auch in seinem Roman Das Geheimnis der See, der im vergangenen Herbst übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann im mareverlag erschienen ist. Zusätzlich sei Das Gruselkochbuch empfohlen, hier finden sich nicht nur feine Rezepte sondern auch Auszüge aus klassischen Schauergeschichten.

Nosferatu – Der Untote startet am heutigen Donnerstag im Kino.

Nosferatu – Der Untote; USA 2024; Regie und Drehbuch: Robert Eggers; Bildgestaltung: Jarin Blaschke; Musik: Robin Carolan; Darsteller*innen: Bill Skarsgård, Nicholas Hoult, Lily-Rose Depp, Aaron Taylor-Johnson, Emma Corrin, Willem Dafoe, Ralph Ineson, Simon McBurney; Laufzeit ca. 132 Minuten; FSK: 16; ab 2. Januar 2025 im Kino

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