Nicht aus dem Schaukelstuhl heraus

Susan Arndt, Ich bin ostdeutsch und gegen die AfD, S. 10

Nach dem Landtagswahlbeben vor drei Wochen in Sachsen und Thüringen war die Erschütterung groß. Wenn diese auch doch beinahe ein wenig mokant anmutete, schließlich war seit geraumer Zeit absehbar und in den Medien über den bevorstehenden Wahlerfolg der extrem rechtsnationalistischen Alternative für Deutschland berichtet worden. Nun also wird an diesem Wochenende in Brandenburg gewählt. Auch dort ist die AfD laut Umfragen derzeit auf dem ersten Platz – wenn der Abstand zur den Ministerpräsidenten Dietmar Woidke stellenden SPD auch vergleichsweise gering ausfällt. (Und nein, es sind keine Ost-Wahlen. Es sind Landtagswahlen in drei Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland.)

Einfach mal machen?!

Also chillen und gut is‘? Viele Wählende werden das schon richten? Eher weniger, denn Nichts-Tun ist letztlich genauso politisch, wie etwas zu tun (weshalb m. M. n. Nichtwähler*innen a) später keinen Anspruch auf Kritik am Ergebnis haben und b) zum unberechenbarsten und schwierigsten Teil politischen „Engagements“ der Demokratie gehören). Das gilt für Wahlen, wie auch dann, wenn wir darüber sprechen, sich gegen Diskriminierung zu stellen – oder es eben sein zu lassen.

Wie Diskriminierungserfahrungen aufgrund eines möglicherweise mangelhaften Aufarbeitens Beteiligter, eines Lieber-Liegen-Lassens, eines „Wir-Haben-Doch-Eine-Broschüre-“Verhaltens und nicht zuletzt auch aufgrund einer bestimmten Sozialisation, Erziehung und, ja, auch Vereinnahmung und Indoktrination dazu führen können, sagen wir mal, falsch aka hart rechts abzubiegen, das schildert Susan Arndt in ihrer engagierten, persönlichen und so kompakt gehaltenen wie komplexen und wohl durchdachten Streitschrift Ich bin ostdeutsch und gegen die AfD. Eine Intervention.

Punkt um Punkt

Dabei stellt Arndt, die an der Universität Bayreuth Englische Literaturwissenschaft und Anglophone Literaturen lehrt, zu Beginn zwei Dinge fest: Zum einen werde, anknüpfend an das Zitat oben, die Zukunft der AfD in der <<Mitte der Gesellschaft>>, die, wie sie später schreibt, „keine objektive Setzung“ sei, entschieden. Dort ließe sich, und dem stimme ich absolut zu, ein Rechtsruck beobachten: „Viel zu oft wird sich über den Genderstern mehr empört, als über die AfD. […] [W]er ihn beschimpft oder gar verbietet, als hänge Wohl und Wehe unserer Gesellschaft davon ab, der gießt der AfD Wasser auf ihre Mühlen.“ Punkt.

Zum anderen sei es, und auch hier bin ich ganz bei Susan Arndt, kontraproduktiv, die „AfD als ein vor allem ostdeutsches Phänomen zu betrachten. Die AfD wirkt auch im Westen – und ist letztlich nur Teil einer viel zu langen Diskriminierungsgeschichte.“ Da die ostdeutsche Erfahrung, „als <<Andere Deutsche>> diskriminiert zu werden“, schon eine Rolle spiele, müsse, „wer der AfD das Wasser abgraben will, auch den Graben zwischen Ost und West zuschütten.“

Entlang dieser zwei Beobachtungen oder, wenn mensch so will, Thesen, entwickelt die Autorin ihre im C.H. Beck Verlag erschienene Intervention. Dies neben allgemeinen Betrachtungen sowie Fallbeispielen auch anhand ihres eigenen Lebens und schulischen wie beruflichen Werdegangs. Reizvoll an dieser nicht selten erschütternden Verknüpfung ist, dass Ich bin ostdeutsch und gegen die AfD so niemals droht eine theoretisierende Abhandlung über die Ursprünge der Hinwendung zur AfD und der Gefahr dieser zu werden.

Gruseliger als Edgar Allen Poe

In insgesamt fünf Kapiteln erarbeitet Arndt für uns – und möglicherweise auch sich selbst – wie sie zu den oben genannten Ansichten kommt und wie sie und geneigte Bürger*innen, also auch Wähler*innen, sich dem entgegenstellen könn(t)en. Dabei beginnt sie mit „Leben als Ostdeutschlands Andere Deutsche – vor und nach 1989“. Sie schreibt von Widersprüchen und Opportunismus in ihrem eigenen Leben in der Diktatur (Susan Arndt wurde 1967 in Magdeburg geboren) und wie sie nach und nach begann, nicht mehr nur innerlich mit dem Leben in der DDR zu hadern, sich dem zu widersetzen.

Dabei kommt sie, neben einer naheliegenden Erläuterung, warum „Wir sind das Volk“ auch 1989 schon exkludierend für marginalisierte Gruppen und vor allem BIPoC war, unter anderem auf den feministischen Schein und das sexistische Sein, den vermeintlichen Vorteil arbeitender Frauen, die allerdings arbeiten mussten und doch „nebenher“ noch die Care-Arbeit zu erledigen hatten (in diesem Zusammenhang sei die Dokumentation Die Unbeugsamen 2 – Guten Morgen, Ihr Schönen empfohlen), ebenso zu sprechen, wie auf das Konzept, dass Strafe für sich sprechen und somit ein Darüber-Sprechen ersetzen sollte. Dies am Beispiel eines Schulbesuchs im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald, der die nicht darauf vorbereiteten jungen Schüler*innen erschütterte und für entsprechende Reaktionen sorgte. Eine grausliche Stelle.

Derer es nicht wenige gibt in dieser ernstzunehmenden Intervention.

Es kann nicht geben, was es nicht geben darf

Im folgenden Kapitel, „Wie ich lernte, Diskriminierung zu sehen“, beschäftigt sich Arndt mit Rassismus (auch dem eigenen und wie sie lernte, diesen zu reflektieren und schließlich zum Kritischen Weißsein kam), Kolonialismus aber auch Homo– und Transfeindlichkeit. Beide Kapitel ergänzen sich, denn Arndt sieht rassistische Prägungen in den „neuen“ Bundesländern auch darin geboren, dass mensch in der DDR qua Geburt antifaschistisch war. Schließlich umgab eine*n ja der antifaschistische Schutzwall. Wie also hätten, bitte!, Rassismus und Faschismus, aber auch Frauen- oder Homofeindlichkeit (der § 175 wurde in der DDR 1968 gestrichen) da in die Gesellschaft eindringen können?!

Dass das Blödsinn ist, ist sicherlich vielen bekannt. Aber eben nicht allen. Vor allen vielen so genannten Wessis nicht, die gern damals wie heute über die dummen, rechten, stasi-vernarrten Jammer-Ossis herziehen. Hier stellt Arndt wieder und wieder eine gute Frage, deren Wiederholung bei manch Leser*in hoffentlich zu einem Nachdenken führt: Wie hätte sich denn der hohe Herr Professor aus Köln im Leben in einer Diktatur verhalten? Wie hätten sich die klugen Wessis, die doch den Osten retteten (auch dies betont sie: viele Westdeutsche wissen nach wie vor nicht, dass auch der angeschlossene Osten den Soli zu zahlen hatte), sich unter Ulbricht und Honecker verhalten?

Eindrücklich legt sie dar, wie in beiden deutschen Staaten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Aufarbeitung der NS-Zeit und das „Entnazifizieren“ so lücken- wie fehlerhaft ablief. Baseballschlägerjahre nur im Osten? Naja… Ob Besser-Wessi oder Jammer-Ossi – vernünftig über das eigene Sein sowie die Vergangenheit zu reflektieren wurde nie vermittelt ergo nicht erlernt. So findet es kaum statt und in der eigenen Mecker-Bubble ist es letztlich recht bequem.

Die AfD und ihre Methoden – in a nutshell

Es soll nun auch gar nicht weiter allzu ausführlich auf die Inhalte des vierten und im Grunde Schlüsselkapitels „Im Wahlkampf gegen die AfD“ eingegangen werden, da jedwede Zusammenfassung hier schlicht zu kurz griffe (was sie beinahe naturgemäß oben bereits tat). Susan Arndt jedenfalls schafft so nachvollziehbar wie dringlich zu erläutern, welche Transformationserfahrungen 1989/90 und darüber hinaus, welche „Identitätskrise“ zu welchen Reaktionen und Aktionen führte und führt. Schaut auf die eigene Familie, um zu beschreiben wie jemand Diskriminiertes zum Nazi und AfD-Anhänger werden kann – wo er doch nur ganz unten steht, in dieser, wie es diktatorisch geprägte Umgebungen an sich haben, arg hierarchisch geprägten Extrem-Partei.

Sie spricht deutlich aus, wofür die AfD steht: „Rassismus, Sexismus, völkischen Nationalismus, Gleichschaltung von Medien und Meinungen, autokratische Demokratiefeindlichkeit, Militarisierung und totalitäre Herrschaft.“ Sie erläutert, wie sich die AfDler die Hände reiben, wenn sich Ex-Ost und Ex-West mal wieder im Schaukelstuhl oder in der Werkstatt gegeneinander ausspielen. Wie sie es und sich feiern, wenn die Medien über dieses und jenes Stöckchen springen und die erlegte Beute der Vernunft brav apportieren. Wie die AfD das Teile-Und-Herrsche-Prinzip ebenso ausnutzt, wie das Wissen darum, dass Populismus nicht in sich stimmig sondern einfach nur simpel sein und verfangen muss.

Wie die rechtsextreme Partei in Ost und West (wo sie stark verwurzelt ist und beispielsweise in Bayern 2023 sehr starke Werte eingefahren hat, plus die ebenfalls recht rechten Freien Wähler, dessen Parteivorsitzendem Hubert Aiwanger seine Nazi-Flugblatt-Nummer eher nutzte als schadete, schließlich konnte er nun über woke Spinner, die Hauptstadtpresse und Kampagnengeilheit herziehen) Erfolge feiert und wie dies auch wieder dadurch bestärkt wird, dass es aus den „alten“ Bundesländern dann heißt: Schau mal nach drüben, da haben die Deppen wieder Nazis gewählt, bei uns, als <<Mitte der Gesellschaft>> gibt es das ja nicht.

Die <<Mitte>> und ihre Verantwortung

Allein was Arndt zu dieser vermeintlichen Mitte und deren Umgang mit dem eigenen Driften nach rechts sowie dem eigenen politischen Unvermögen und der selbstgewählten Lethargie, außer wenn es um Fingerzeig auf und Schimpf und Schande für Andere Deutsche geht, schreibt, macht ihre Intervention Ich bin ostdeutsch und gegen die AfD, die an dieser Stelle teils eher fundierte Abrechnung ist, unglaublich lesenswert (und ganz nebenher wird noch ein wenig Literaturgeschichte vermittelt). Ob nun noch schnell vor der Landtagswahl in Brandenburg am 22. September 2024 oder danach – diese gut aufgebaute Streitschrift ist als Erklärung und Handreichung ein Buch, das wir wohl oder übel in den kommenden Jahren, vor allem auch im Vorfeld der Bundestagswahl 2025, benötigen werden.

Susan Arndt, Ich bin ostdeutsch und gegen die AfD, S. 140 f.

AS

PS: Es ist ein feines Ding und sicherlich großes Stück Arbeit, dass Susan Arndt heute ist, wer sie ist. Mensch muss mitnichten allem zustimmen was sie in diesem Buch oder auch ihren vorhergehenden Rassismus begreifen, Sexismus (beide Beck) sowie Rassistisches Erbe. Wie wir mit der kolonialen Vergangenheit unserer Sprache umgehen (Dudenverlag) schreibt, was sie sagt, etc. pp. Das ist ihr Anliegen auch nicht. Allerdings hatte sie derart viel zu durchleiden und durchzustehen, sei es in der Diktatur, die sich Deutsche Demokratische Republik nannte, sei es während ihrer Studien- und Berufsanfangsjahre in den 1990er-Jahren, sei seit einiger Zeit an der Universität Bayreuth (is‘ eben Richard-Wagner-Land, was willste erwarten, denke ich mir so; bitter ist es dennoch) oder all den Anfeindungen und (Mord-)Drohungen, denen sie sich ausgesetzt sieht. Sie könnte sich zurückziehen oder sie hätte tatsächlich bei der AfD anlanden können (und dies vermutlich gar recht erfolgreich). Dass das nicht geschah, hat sicherlich auch etwas mit Resilienz, vor allem aber wohl mit einem bewussten Menschsein zu tun.

PPS: Susan Arndt bezieht sich bzw. kommt zu sprechen auf u. a. Steffen Mau, Dirk Oschmann, ihren Ehemann Ilko-Sascha Kowalczuk und dessen, ebenfalls bei Beck erschienenem, Werk Die Übernahme – Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde, sowie auch die Juristin und Autorin Nora Markard. Letztgenannte gibt Arndt mit einigen sehr interessanten Aussagen wieder. Leider lässt sie uns nicht wissen, woher die stammen. War das ein persönliches Gespräch, ein Interview, ein Essay, ein Zeitungsbeitrag? Arndt nennt viele Bücher, Autor*innen, Gesprächspartner*innen. Ein kleines Quellen- bzw. Literaturverzeichnis hätte ihrer Intervention gut getan – und ich möchte wirklich gern wissen, woher die zitierten Sätze Markards stammen. #isso

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Susan Arndt: Ich bin ostdeutsch und gegen die AfD. Eine Intervention.; März 2024; 175 Seiten; Klappenbroschur; ISBN: 978-3-406-81587-4; C.H. Beck Paperback; 16,00 €; im John Verlag auch als Hörbuch verfügbar

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