Niemals trennt man sich so ganz

Manches Mal müssen die Dinge nicht vom Ende her gedacht, sondern erzählt werden. So geschieht es im schwedischen Film „Are We Lost Forever“, der bei der Trennung beginnt und uns die Verarbeitung miterleben lässt. Beinahe ein Glanzstück.

Zwei attraktive Männer sitzen im Bett, starren ein wenig ausdruckslos bis konsterniert ins Nichts des pastelligen Schlafzimmers, neben einem von ihnen ein Kuschel-Koala, der noch am sichersten wirkt. „Du kannst es nicht mal mehr sagen“, hören wir. Wenig später fällt der Satz „Es gibt kein wir mehr.“ Willkommen in Göteborg – im Leben von Hampus (Jonathan Andersson) und Adrian (Björn Elgerd), das von nun an getrennt voneinander laufen soll…

…jedenfalls irgendwie, denn Hampus plant nach der von ihm ausgegangenen Trennung nach etwa drei Jahren Beziehung noch am Wochenende aus- und in die Wohnung einer gemeinsamen Freundin einzuziehen, die wiederum ihrerseits mit ihrer Freundin zusammengezogen ist. Das Leben ist manchmal komisch. 

Zwischen Hampus (Jonathan Andersson) und Adrian (Björn Elgerd) ist alles gesagt. Vorerst. // © Salzgeber

Misskommunikation und so…

So begegnet uns auch in der anschließenden Erzählung vom Umgang mit der Trennung eine Mischung aus Drama und ironischem, manchmal bitterem, hier und da liebevollem Humor. Wir erleben all das in David Färdmars Film Are We Lost Forever (den Salzgeber im schwedischen Original mit Untertiteln nach Deutschland gebracht hat) durch die menschlich schwierige, aber nicht unsympathische Figur Adrians, der sehr sichtbar die verschiedenen Trennungsstadien durchläuft – Trauer, den Wunsch nach Aussöhnung, der Suche der Schuld beim anderen, dann auch bei sich, depressive Phasen, den Mut, Neues zu suchen. 

Es kommt dabei immer wieder zu Treffen von Hampus und Adrian – mal beabsichtigt, dann wieder eher zufällig oder nur von einer Seite absichtlich herbeigeführt. Deutlich ist dabei neben einer Ungeschicklichkeit in der Kommunikation auch eine unbehagliche Stimmung vernehmbar. Gespickt wird das noch durch unkluge Ergänzungen oder Auslassungen, teils direkte Lügen, mindestens einer der beiden Seiten. Soliden und sehr gut inszenierten Trennungssex (mit Kondom – Entfremdung!) gibt es auch. Dummerweise reden die beiden anschließend weiter.

„Warum bin ich mitgekommen?“ – „Weil Geilheit auch ein wenig doof macht.“

Die Gespräche bringen nie so recht das, was sich der jeweils andere wünschen dürfte. Manches Mal entsteht der Eindruck, hier lernen zu können, wie man einander absichtlich falsch verstehen kann. Was aber schlussendlich auch zum eigentlichen Ziel – ? – dieses emotional aufreibenden Trennungsprozesses führen sollte: Abschluss. Und wie so oft im „echten“ Leben geht das auch hier bei manchem Menschen schneller als beim anderen. Was in Are We Lost Forever mehrfach interessant zu beobachten ist, da wir nicht wissen, wie die Gewichtung des Bezugs zum jeweils anderen in der Beziehung gewesen ist. Quasi: Wer hat mehr geliebt? Oder subjektiv besser?

„Wir haben uns ertragen.“ // © Salzgeber

Eben dadurch, dass wir die Vorgeschichte nicht kennen – sehen wir einmal von den Einsprengseln eines Venice Beach-Urlaubsvideos und manch eines Kommentars in Bezug auf frühere Verhaltensweisen ab – können in uns Zuschauer*innen auch die Fragen wachsen: Wann begann es zwischen den beiden so schwerfällig zu werden? Führte vor allem auch ein aneinander Vorbeikommunizieren zum Ende der Beziehung? Oder sind es tatsächlich zwei miteinander trotz aller gegenseitigen Liebe inkompatible Menschen? So ruft Are We Lost Forever uns auch eine Sache deutlich in Erinnerung: Liebe ist ein großartiges Fundament, aber dieses allein ist eben nicht ausreichend für ein stabiles und gut geschnittenes Beziehungshaus.

Entfremdung mit Schmunzelfaktor

Nun mag es auch Menschen geben, die das dann geschwätzig nennen könnten. Möglich. Aber als jemand, der schon die eine oder andere Trennung nach ähnlicher Beziehungslaufzeit hinter sich hat, kann ich sagen, dass vieles von dem, was Are We Lost Forever als Gefühl in Bildern und Dialogen vermittelt sehr realistisch und teils sehr nahe am echten Trennungsgeschehen ist. Dabei geht es nicht darum, bereits eins zu eins in dieser oder jener Situation gesteckt zu haben, sondern vielmehr darum, die Gefühle, die Unbeholfenheit und derlei nachzuempfinden und durch das Erwecken von Erinnerungen fühlbar zu machen.

Hampus schließt ab, oder? // © Salzgeber

Die zunehmende Entfremdung der beiden bei gleichzeitigem Bemühen, irgendwie doch gemeinsam durch diese schwere Zeit zu kommen, wenn Adrian zumindest zum Teil sicherlich zeitweilig auch von der Hoffnung auf eine mögliche Wiederannäherung getrieben ist, ist durch die diversen Ungeschicklichkeiten an nicht wenigen Stellen auch ein wenig lustig. Je höher das Identifikationspotenzial, desto ausgeprägter. Wenn beide nach längerer Zeit wieder aufeinandertreffen und Hampus Adrian versehentlich „Adam“ nennt, ist das für alle so unangenehm wie auch bitter-erheiternd. Die Diskussion um ein halbes Bett, den Fernseher und später den Verlobungsring ist geprägt vom Versuch pragmatisch zu sein, dabei im Verlust auf das eigene Recht zu bestehen, Stolz zu bewahren und schafft dabei für uns im Unangenehmen einen dezent heiteren Moment. Menschen sind eben komische Wesen.

Und Regisseur und Autor David Färdmar erzählt hier meist sehr authentisch und auf besondere Weise berührend eine gute Geschichte von komischen Menschen in einer komischen Situation. Sein Anliegen sei es gewesen, einen Film zu erzählen, der ihm fehle und das sei eben ein Film der mal nicht eine „Boy and Girl“ oder „Girl and Girl“-Geschichte zeige (als Inspiration nannte er unter anderem die Before-Trilogie von Richard Linklater und Abdellatif Kechiches Blau ist eine warme Farbe), sondern eben die Geschichte vom Ende einer Beziehung zweier Männer. Er tastete sich 2018 mit dem Kurzfilm No More We heran, besetzte dort bereits Elgerd und Andersson in den Hauptrollen, die in der Tat wie die ideale Besetzung wirken.

Durchgehend stimmig

Darüber hinaus wirkt auch die Musik im Film stark, sie untermalt die Handlung an der richtigen Stelle, begleitet sie an anderer auf Augenhöhe. Es ist merklich, dass Färdmar Musik im Ohr hatte, während er schrieb, nach eigenen Angaben auch „die Queen of Break-up-Pop: Robyn“. Die hören wir im Film zwar nicht, dafür vieles andere: Von Ace of Base über Ulrik Munther und NORDIK SONAR bis Huguenot – wovon die letzten zwei dem Rezensenten vorher unbekannt waren, was nun durch beständiges Anhören und Mitgehen ausgeglichen wird – bildet die Musik so viele Stimmungsbilder ab, wie sich auch im Film finden. Zwei Songs, auch der den Film abschließende Track „Lost Forever“, stammen von The Lovers of Valdaro, die sehr tollen und sehr stimmigen Elektropop machen (und zu dem es seit Anfang Mai ein Musikvideo gibt).

Lost & Found // © Salzgeber

So ist Are We Lost Forever trotz der sicherlich traurigen Ausgangslage und der vielen nicht immer einfachen – oder erfolgreichen – Reflexionen Adrians mitnichten ein tragischer oder gar deprimierender Film. Vielmehr erzählt er ohne großes Drama und Tamtam von der Möglichkeit das Ende einer Beziehung nicht nur zu überleben, sondern auch als Möglichkeit des Wachsens zu erleben. Denn auch die letzte, sonnendurchtränkte und lebensbejahende Szene lässt eine weitere vollzogene Trennung vermuten. 

Hier findet ihr den Trailer.

Are We Lost Forever; Schweden, 2020; Buch und Regie: David Färdmar; Kamera: Johannes Stenson, Robert Lipic, Camilla Topuntoli; Musik: Per-Henrik Maenpaa; Darsteller*innen: Björn Elgerd, Jonathan Andersson, Micki Stoltt, Nemanja Stojanovic, Shirin Golchin; Laufzeit: ca. 103 Minuten; FSK: 16; Edition Salzgeber; schwedische Originalfassung mit deutschen Untertiteln; eine Produktion von FÄRDMARS FILM, Embrem Entertainment und Shoot&Post; erhältlich auf DVD und BluRay (ca. 14,00 €), als VoD und Download (via Salzgeber und diverse andere Anbieter)

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