Ob Escort oder Autor – du bist die Ware

Mikko Mäkelä

Das sind Fragen, mit denen sich der finnischbritische Autor und Regisseur Mikko Mäkelä im Entstehungsprozess seines neuen Films Sebastian beschäftigt. Dies nicht nur aus Jux und Tollerei, sondern aus Notwendigkeit. Handelt sein Film, der im Verleih von Salzgeber im Dezember in der Queerfilmnacht zu sehen ist, doch von einem jungen Mann namens Max (talentierte Augenweide: Ruaridh Mollica, The Franchise), eigentlich Schotte, nun aber wohnhaft in London, wo er für ein Magazin sowie Kurzgeschichten schreibt, der vermeintlich aus Recherchegründen ein Doppelleben führt.

Komm zur Sache, Kunde

Tagsüber als freiberuflicher Autor unterwegs, lässt er sich des Nächtens unter dem titelgebenden Pseudonym „Sebastian“ als Escort buchen. Sein Verlag beziehungsweise seine Lektorin Dionne (Leanne Best) wünschen sich einen (autofiktionalen) Roman von ihm. Max entscheidet sich über Sexarbeit zu schreiben. Und zwar aus einer Perspektive, in der diese als eine selbstgewählte und selbstbewusste Entscheidung erzählt wird, „anstatt als einzigen Ausweg. Viel zu oft wurde Sexarbeit im Kino problematisiert, als Konsequenz von Trauma dargestellt“, um einmal die Herangehensweise Max‘ mit der von Regisseur Mäkelä zu kombinieren.

© Salzgeber & Co. Medien

So stürzt Max sich in die Recherche, den Selbstversuch. Ein Versuch, der dem ohnehin attraktiven und begehrten 25-jährigen wohl einen zusätzlichen Ego-Booster beschert. Zudem das Gefühl von Macht. Entscheidet doch er über die Treffen. Angewiesen auf sie ist er zumindest aus monetärer Sicht wohl nicht. Interessant ist auch, wir steigen direkt mit einem Date ein, dass Max aka Sebastian sich zwar kurz mit seinen Kunden austauscht. Davon aber gelangweilt scheint. Zumindest indifferent und direkt zur Sache kommen möchte.

Ego-Boost und Roleplay

Was so interpretiert werden kann, dass es ihm weniger darum geht, zu erkunden, welche Menschen einen Sebastian buchen, sondern eher darum, das eigene Befinden zu erforschen, möglicherweise Selbsterkenntnis zu erfahren. Den Ego-Boost erwähnte ich bereits. (Allerdings muss der Erfahrungsgedanke eine Rolle spielen, denn Max lässt für einen Kunden ein sicheres Club-Date sausen und wird zu Sebastian.) Das wird spätestens dann sehr interessant, als er auf den von Jonathan Hyde fantastisch gegebenen emeritierten, feinsinnigen Professor Nicholas D’Avray trifft, der selbst „seinen“ Escort zunächst einmal kennenlernen möchte, bevor es um mehr gehen darf.

Sebastian (Ruaridh Mollica) und Daniel (Ingvar Sigurdsson) // © Salzgeber & Co. Medien

Im Kontrast dazu steht der breitbeinige Alpha-Geschäftsmann Daniel Larson (Ingvar Sigurdsson), der es gewohnt ist, sich zu nehmen, was er will. Wenn auch gepaart mit einem gewissen arroganten Charme, der auf Sebastian zweifelsohne eine gewisse Faszination wohl nicht nur im Sinne der Buchrecherche ausübt. Was auch wieder spannend ist, denn es scheint, dass Max/Sebastian recht schnell von seinem Doppelleben und der Koordination überfordert ist. Sucht das „Kind“ da die kräftige „Stütze“?

Ambiguität und Verantwortung

Viele Fragen können sich die Zuschauer*innen bei diesem Film stellen, der in weiten Teilen auf die Ambiguität seiner Titelfigur setzt. So scheint nicht nur Max auf der Suche nach irgendetwas Anderem, Neuem, Unerforschtem in sich zu sein, sondern auch wir bekommen ihn kaum zu greifen. Oft scheint unklar, ob er zwar auf gewisse Weise Macht ausübt, aber doch passiver Beobachter der Situation und des Selbst bleibt oder doch aktiv das Geschehen gestaltet (da denke ich öfter an Sequin in a Blue Room).

© Salzgeber & Co. Medien

Auf der einen Seite scheint er sehr selbstverliebt, auf der anderen sehr unsicher. Als es darum geht, dass ihm ein Interview mit Bret Easton Ellis wieder entzogen wird, nachdem er einen Tag nicht ins Büro kam, da er zuvor Teil seines ersten bezahlten Gang-Bangs war, scheint das seine Welt und seine Sicht auf sich zu erschüttern. Wie auch die folgende Entlassung.

Amna (Hiftu Quasem) und Max (Ruaridh Mollica) // © Salzgeber & Co. Medien

Er bemüht sich, seiner besten Freundin Amna (Hiftu Quasem) ein guter Freund zu sein. Als es aber einmal, wenn auch im kleineren Rahmen, drauf ankommt, geht die Recherche, geht er, geht Sebastian vor. Er ist verschlossen, exponiert sich dann wiederum für und bei seinen Kunden. Unterdrückte Gefühle durch Sexualität auszuleben ist kein unbekanntes Ding. Bei Sebastian scheint es allerdings in der Gemengelage doch next-level.

Brüssel scheitert

Auf dieses next-level hebt auch Autor und Regisseur Mikko Mäkelä seinen Sebastian, der sich ebensowenig inszenatorisch verstecken muss (Bildgestaltung: Ikka Salminen). Es gibt manch durchaus mutige Szene. Überhaupt wird den Zuschauer*innen einiges zugemutet, da wir, wie wohl schon herauszulesen war, eher mit Fragen denn mit Lösungen konfrontiert werden. Unkonventionell ist der Film dazu vom Erzählrhythmus, der immer mal wieder mit gewohnten Filmverläufen bricht.

Sebastian und Nicholas D’Avray (Jonathan Hyde) // © Salzgeber & Co. Medien

Bis das letzte Drittel an- und Sebastian nach Brüssel aufbricht. Hier scheint der Film ein anderer zu werden. Weg vom Mut hin zum Mainstream. „Es war nie meine Absicht nur eine weitere traurige Sexarbeiter:innengeschichte zu erzählen, sondern eine sexpositive Geschichte“, so Mäkelä. Leider hält er sich zum Teil nicht mehr daran. Denn natürlich muss es noch ein Drama um Sebastian und einen seiner bereits erwähnten Kunden geben, das sich leider so hart im Vorfeld ankündigt, dass jeder Effekt verpufft. Zusätzlich muss er gerettet werden, verliert in diesem Moment jede Eigenständigkeit – und die von Ruaridh Mollica wirklich stark gespielte Figur erheblich an Reiz.

Bedauerlich, dennoch empfohlen

Auf diesen Griff in die Klischeekiste einer jeden Escort-Story folgt eine unfassbar kitschige Szene, die direkt aus dem ZDF-Herzkino-Programm kommen könnte, um dann ein viel zu schnelles Ende zu erzählen. Viel zu schnell eigentlich nicht, denn mittlerweile zieht Sebastian sich ein wenig. Dennoch kommt die Auflösung allzu abrupt. Zudem wirkt die letzte Einstellung im Sinne des zuvor Geschehenen eher unglaubwürdig.

© Salzgeber & Co. Medien

Das ist alles sehr bedauerlich, denn an sich ist Sebastian ein guter Film voller guter Ideen und mit einem wirklich neuen Ansatz. Dass Mikko Mäkelä diesen Ansatz, dieses Erforschen einer „transgressive[n] Sexualität“, wie er es nennt, fallen lässt, um ein klassisches Glück-Im-Unglück-Thema zu erzählen – und eben doch zu vermitteln, dass Sexarbeit nicht gut ausgehen kann – ist schade.

Dessen unbenommen soll der Film empfohlen werden. Es gibt viele gute Momente. Die Schauspielleistungen sind rundum sehenswert, oft ist Sebastian sexy, sehr stimmungsvoll und teils geprägt von einem lakonisch-süffisanten Humor, auch in Bezug auf die Verlags- und Medienbranche.

JW

Sebastian ist im Dezember in der Queerfilmnacht zu sehen.

Sebastian; UK, Finnland, Belgien 2023; Buch und Regie: Mikko Mäkelä; Bildgestaltung: Ikka Salminen; Musik: Ilari Heinilä; Darsteller*innen: Ruaridh Mollica, Hiftu Quasem, Jonathan Hyde, Ingvar Sigurdsson, Leanne Best, Lara Rossi, Dylan Brady, Matthias Moret; Laufzeit ca. 112 Minuten, englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln; FSK: 16; Eine Produktion von Bêtes Sauvages in Koproduktion mit Helsinki-filmi, Barry Crerar, Lemming Film België gefördert durch BFI, Finnish Film Foundation, Screen Scotland, BNP Film Finance, Great Point Media, The Finnish Impact Film Fund, im Verleih von Salzgeber

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert