Oktoberfest 2022 – Beer & Queer?

Vor bald zwei Jahren lernten auch Nicht-Bajuwaren, wie gefährlich aber auch heiß es so beim berühmten Münchener Oktoberfest auf der Theresienwiese zugehen kann (passend heißt das Lehrstück dazu im Englischen auf Netflix auch Oktoberfest: Beer & Blood). Ebenso konnten wir auch schon des Öfteren überregional vom „Hügel der Schande“ lesen, auf dem es insbesondere für Frauen gefährlich zugehen kann.

Darf mensch warnen?

Es dürfte also kaum überraschen, dass sich auch nicht-heterosexuelle Menschen und Paare, hier vor allem offensichtlich lesbische und schwule Paare oder Flirts, nicht unbedingt in einer Safe-Zone befinden (von queeren Gewerken einmal abgesehen, doch selbst hier mag es Einschränkungen geben, wenn davor betrunkene und ob des verweigerten Einlasses wegen wütende Kampfheten warten, meint auch Timothy Paul aka timothypaulmuc, den der Saupreiß, der hier schreibt, um die eine oder andere Einlassung und Kontext bat*). 

Nun ist die Frage: Sollte darauf hingewiesen werden? Darf es einen Verhaltenstipp geben, der queeren beziehungsweise homosexuellen Paaren und Personen rät, etwas zurückhaltend zu sein? Und ist dieser Tipp dann diskriminierend? Oder weist er nur auf eine diskriminierende und möglicherweise gefährliche Situation hin? 

Empörung oder Abwägung?

Nun, wer die Debatte der letzten Tage um einen Beitrag auf oktoberfestportal.de verfolgt hat, erkennt schnell: Nein. Nein. Ja. Nein. So jedenfalls scheint die Wahrnehmung weithin zu sein, jedenfalls wird das durch manche (queer-)mediale Aufbereitung suggeriert. Aber ist das nicht zu kurz gegriffen? Werden hier ein – nicht offizielles, aber dazu später mehr – Internetportal und der wohlgemerkt schwule Autor jener Hinweise nicht schlicht in Mithaftung für ein ungelöstes Wiesn-Problem genommen? Schlicht weil’s der einfachere Ausweg ist und Empörung ohnehin besser funktioniert als Abwägen?

Screenshot des Textes vom Oktoberfestportal: Wollen wir über das Problem oder lieber über Nichtigkeiten reden? Wer sich hier auf das Wort „Gesprächsstoff“ stürzt, beweist auf jeden Fall den Willen, Dinge auf eine bestimmte Art missdeuten wollen zu können.

Ich denke schon. Natürlich mag mensch sich darüber aufregen, dass besagter Beitrag bereits älter ist, es darüber schon einmal eine Debatte gab und der Autor desselben, Bernd Müller, angibt, er würde den Text heute vorsichtiger formulieren. Oder, aus welchen Gründen auch immer, darüber, dass das Portal den Eindruck eines offiziellen Wiesn-Portals der Stadt erwecke, wie sich die Münchener Wiesn-Stadträtin Anja Berger (Bündnis 90/Die Grünen) echauffiert (Randnotiz: a) wenn die offiziellen Portale so aussehen, habt ihr ein Problem; b) dennoch: sauber, wenn die Macher*innen das schaffen; c) selbst schuld, wenn die Stadt sich naheliegende Domains und Namen nicht sichert, das Europäische Patentamt sitzt übrigens in München und Frau Berger käme mit dem 9-Euro-Ticket sicher locker bis zur Station Isartor). Ebenso merkt laut Münchener Merkur der offen schwule SPD-Stadtrat Christian Vorländer an, dass er sich doch wegen seiner Sexualität nicht verstecken wolle, statt zur Zurückhaltung aufzurufen, solle lieber auf Prävention gesetzt werden.

Ablenken und schmollen

Dem letzten Punkt ist natürlich zuzustimmen. Dennoch lenken diese Einlassungen, dass der Beitrag noch immer unverändert auf einem Portal, das zu offiziell aussähe und Gays auffordere, sich zu verstecken (was er nicht tut), eher vom eigentlichen Problem ab: Die Wiesn ist eben kein sicherer Ort für Liebende aller Formen und Farben. Da kann auch noch so oft das Wort Toleranz in irgendwelchen Verlautbarungen auftauchen. Papier ist fucking geduldig. Punkt.

Diverse nicht-heterosexuelle Menschen, die ich in den letzten Tage fragte, meinten allesamt, sie würden es sich zweimal überlegen, dort Hand-in-Hand unterwegs zu sein, dabei mindestens sehr aufmerksam und ab einem gewissen Punkt eher im Freundschaftsmodus durch die Gegend streifen oder auf der Bank sitzen; vom Flirten mit ihnen nicht bekannten Personen einmal ganz zu schweigen. 

Besoffene Aggression

So weist auch der erwähnte timothypaulmuc mit folgenden Worten auf die Problematik hin: „Das Oktoberfest ist ein Ort, wo du als Mann, der Männer liebt oder als Frau, die Frauen liebt oder auch als Frau, die einfach nur eine Frau ist und Brüste hat, ab einer gewissen Uhrzeit immer Gefahr läufst, dass dir etwas passiert, weil das Oktoberfest schlicht von vielen besoffenen und aggressiven Menschen bevölkert wird.“

Sicherlich hat auch der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Die Grünen), recht, wenn er angibt, dass nicht Männer, die sich küssten das Problem seien, sondern jene, die sich daran störten. Das jedoch ist nun eine Binsenweisheit, die erst recht nicht als Absage auf die Richtigkeit der Aussage: „Generell gilt eine gewisse Zurückhaltung auf der Wiesn. Nicht jeder Besucher des Oktoberfest[s] ist so tolerant, dass er sich über schwule Männerpaare freuen kann“ verstanden werden muss, nicht zuletzt auch aufgrund der Schwammigkeit des Lehmann’schen Satzes.

Alkohol und nicht die Studienräte dieser Welt

Weder der Autor dieser Zeilen noch manche*r, mit denen dieser sprach und auch nicht timothypaulmuc sehen dies als falsch oder zu verurteilen an; so Timothy:

„Ich persönlich finde diese Hinweise gar nicht schlimm. Denn es muss einem bewusst sein, wenn man sich im öffentlichen Raum als homosexueller Mensch bewegt, man nicht davon ausgehen kann, dass immer alle ‚Hurra!‘ schreien und man muss davon ausgehen, dass wenn Alkohol und auch nicht die Studienräte der Welt zusammenkommen, dass das dann noch schlimmer ist. Von daher hab ich diesen Hinweis als nicht schlimm empfunden.“

timothypaulmuc

Statt sich also querzulegen, wie es sein kann, dass vor einer realen Gefahr in einem je nach Empfindsamkeitsbedarf und Empörungswillen nicht ganz geschmeidig formulierten Text gewarnt wird, sollte der Blick doch wahrlich lieber dahingehen, wie das Oktoberfest zu einem weniger brisanten und riskanten Ort für queere Menschen werden kann.

Auch ohne Maß Kopf aus

So irritiert es beispielsweise, wenn die erwähnte Grünen-Stadträtin Anja Berger auf der einen Seite sagt, sie selbst habe die Wiesn „immer als sehr tolerant erlebt“ und das Fest nun verunglimpft sehe (pffft) und auf der anderen Seite über eine Wiesn-Kampagne zum besseren Schutz Homosexueller nachdenke. Da merkste doch selbst nach ein paar Maß noch, dass da was schief klingt. Ebenso bezugnehmend auf Christian Vorländer, der Prävention fordert.

Nun, vielleicht sollte es auch den beiden nochmals gesagt werden: Das Portal ist ja nicht offiziell, es ist nicht die Politik. Das seid, uhm, ihr. Oder soll einfach keinem Menschen auffallen, dass da wohl jahrelang eine Problematik wohlweislich beiseite gelassen wurde, weil läuft ja und wer will schon schlafende Homos wecken. Stattdessen steht nun mal wieder der Überbringer der (altbekannten) schlechten Nachricht am Pranger? Das ist so bequem wie unsympathisch, lässt uns jedes Prosit im Halse stecken bleiben, ist Problembehebungsvermeidung 101.

Doch kann nicht gesagt werden, dass die Wiesn-Stadträtin nicht aktiv würde: Sie wolle prüfen, ob die Stadt nicht gegen das Portal vorgehen könne. Es sehe halt doch zu offiziell aus. Prioritäten also völlig korrekt. Herrgott!

AS

*Kontext hat der Timothy reichlich gegeben (übrigens teils, während er über DIE Theresienwiese stapfte); in einem anderen Beitrag, den wir im Vorfeld der Wiesn zu Queerness in Bayern veröffentlichen werden, werdet ihr mehr davon zu lesen bekommen. 

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