Heute kombinieren wir einmal etwas ganz Verrücktes: Ein großes „HO HO HO“ mit einem ähnlich großen „VO VO VO“. Dabei dürfte klar sein, dass ersteres für Weihnachten, einen Sia-Song und Gebäck in besonderer Form sowie Drinks mit speziellem Pfiff stehen. Und „VO VO VO“?! Nun, bei uns zumindest und definitiv mindestens heute für: Vorzeigen, vorlesen, vorleben. Denn am heutigen 15. November bringen wir den mittlerweile 21. Vorlesetag mit drei sehr unterschiedlichen und doch wundersam wunderbaren Weihnachts- beziehungsweise Winterbüchern zusammen.
Im vergangenen Jahr stellten wir euch zum Vorlesetag, nebst diesem, die Familie Maus vor und erinnerten mit Hédi Frieds Die Geschichte von Bodri an die Gräuel der Nationalsozialisten. Zur Weihnachtszeit trafen „sich zwei alte weiße Männer, eine rosarote Prinzessin und eine leckere Spinne“ und haben für ordentlich Radau und doch ein wenig Besinnlichkeit gesorgt. Bevor wir uns in der kommenden Woche Weihnachts-kalendarisch umsichtig und romantisch in die Besinnungslosigkeit saufen, wird nun zunächst einmal verpupst verschwunden, geliebt gesucht und bärig belletristisch.
Furzipups-Story
Ähnlich der letztjährigen Prinzessin Lillifee gibt es in diesem Jahr eine Premiere für uns: Die erste Geschichte Furzipups wurde gelesen. Also nicht die erste erste Geschichte Furzipups, sondern die mittlerweile fünfte. Doch eben die erste für uns. Und was soll gesagt werden? Furzipups – Oh, du furzige Weihnachtszeit! ist ein herrlich herzenswarmer Höhenflug. Samt rasanter Abfahrt!
Denn irgendwann in dieser Geschichte von Kai Lüftner, versehen mit niedlich abgedrehten Illustrationen von Wiebke Rauers, wird einen Vulkan hinabgeschlittert. Da denkt mensch sicher nicht von ungefähr an Spiele à la Penguin Slide oder Racing Penguin. Nöö… Begegnen Drache Furzipups, Hicksi Huhn und Mammut Rüdiger Rülps-Rüssel (die heißen alle wie frühere Lehrer*innen von mir) sowie wir doch einem Peng-uin namens Pipi Popo Penguin.
Da fällt also tatsächlich ein pinguinöses Geschenk vom Himmel ins weihnachtlich geschmückte Drachental. So irritiert und fasziniert das Dreiergespann um den Drachen, der farblich aus einer Katjes Wunderland Rainbow-Edition stammen könnte, so schaut der Penguin auf die ungewohnte Hood und Crowd und fotografiert alles, was ihm vor die Linse kommt. Und, Holterdiepolter-Blitzlicht, da ist er verschwunden.
„So beginnt, ganz ungefragt, eine Weihnachts-Schnitzeljagd / durch den Schnee, durch Drachental. „Penguin!“, ruft jeder mal.“
Die kurze Suche verläuft abenteuerlich, doch natürlich, diesen Spoiler gibt es schon mal, wird der von Rauers plüschig ausgestaltete Penguin gefunden. (Überhaupt beeindrucken die Illustrationen, die an vielen Stellen ins Detail gehen, aber auch in Panoramaansichten eine fantastische Wirkung entfalten.)
An Furzipups – Oh, du furzige Weihnachtszeit! gefällt uns, im Gegensatz zu manch aktuellem Kinofilm, gar das voll versöhnliche Ende. Das mag allerdings auch daran liegen, dass die Geschichte um einen furzenden Drachen, ein rülpsendes Mammut, hicksendes Huhn und einen fotografierenden Pipi Popo Penguin aufrichtiger und menschlicher rüberkommt, als so manch andere Story zur Weihnachtszeit.
So ganz fremd ist uns die Nummer übrigens doch nicht. Der Furzipups zwar schon, doch das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit von Kai Lüftner und Wiebke Rauers haben wir kürzlich schon im Dämonchen betrachten und bewundern können. Der im September im Coppenrath Verlag erschienene Band wird, für Kenner*innen der Reihe nichts Neues, mit einem Sound-Button ausgeliefert, der „lustig verpupste Weihnachtslieder“-auszüge bietet. Und ey, das ist schon todeskomisch.
Ein feines Geschenk, im Zweifel auch schon vor dem Fest, empfohlen ab drei Jahren, das vollendeten Vorlesespaß mit Witz und Anstand liefert. Dies für jedes Alter (ja!), Pups und Pipi hin oder her. (Den Pipi Popo Penguin gibt es auch als Plüschfigur -hach-. Wir sind, in diesen Pinguin-vernarrten Räumen, offen dafür, ihn zu empfangen. Muss auch nicht vom Himmel kommen, ein geerdeter Bote reicht vollkommen aus.)
Kai Lüftner (Text), Wiebke Rauers (Illustrationen): Furzipups (Bd. 5) – Oh, du furzige Weihnachtszeit; 32 Seiten, durchgehend vielfarbig illustriert; Fester Einband mit Glitzer und Spotlack, Format: 21,5 x 28,5 cm; ISBN: 978-3-649-64509-2; Coppenrath Verlag; 18,00 €
Den Dingen einen Namen geben
Nach der genüsslich gereimten, quietschfidelen und bunten Geschichte wird es nun ein klein wenig ungemütlicher. Wenn auch die Geschichte fast ähnlich ist: Eine Hündin büxt aus, ein Junge geht sie an und auf einem Berg suchen, sieht sich dabei diversen Widrigkeiten ausgesetzt. Doch ist Morris – Der Junge, der den Hund sucht des Niederländers Bart Moeyaert eine ganz andere Nummer.
Zwar sollen auch hier, wie so oft in Kinderbüchern, Widerstandskraft, Aufrichtigkeit und ein Funken Freundschaft oder eher Zwischenmenschlichkeit eine Rolle spielen. Wie diese Geschichte das allerdings in Form eines Kurzromans, fantastisch übersetzt von Bettina Bach, erzählt, dürfte nicht nur Kindern beim Zuhören, sondern auch Eltern oder anderen Sorgeberechtigten beim Vorlesen durchaus ein paar Nerven abnötigen. Und genau an den entscheidenden Stellen überraschen und erfreuen.
Im Leben von Morris ist nicht alles lecker Pfannkuchen- und Waffelessen, Kakao mit Zimt und Schlagsahne. Morris lebt seit einiger Zeit bei seiner Großmutter, denn zu Hause waren wohl nicht so schöne, wenn auch ungenau belassene Dinge, geschehen. Großmutter hat eine Hündin, die, da sie immerfort abhaut, Houdini heißt. Nun ist es an Morris sie zurückzuholen. Auch an jenem schicksalshaften Nachmittag, an dem später ein Schneesturm aufziehen, Morris die Hündin und beinahe auch sich selbst im weißen Chaos verloren haben wird.
Das ist zunächst einmal harter Tobak, der durch zwar feingliedrige doch auch leicht unheimliche Illustrationen von Sebastiaan van Doninck noch stärker wirkt. Wir meinen die Orientierungslosigkeit genau wie den Willen Morris‘ und die Sehnsucht nach dem warmen Ofen im großmütterlichen Heim zu spüren.
Derweil Morris nach Houdini sucht, begegnet er einem mysteriösen Jungen und dessen Schafbock Ajax, die, so der Junge, wohl zu einer Bande gehören und gefährlich seien. Doch Morris lässt sich nicht lumpen, dafür aber auf das Aufschneider-Spiel ein. So wechseln auf den sechzig, im Oktober im Hanser Verlag erschienenen Seiten, die die Geschichte umfasst immer mal wieder Ton und Stimmung.
Wir haben einen verängstigten, unsicheren, frierenden Morris, der „schluchzte ein Mal – ein einziges Mal. Das Schluchzen war noch von letzter Nacht übrig. Wenn man heimlich weint, weint man sich nie richtig aus.” Das Weinen in der Nacht, ist Verarbeitung des Gewesenen. Dieser Morris ist schlau, er kennt das Leben, vermutlich viel zu früh. So ist ein Teil der kurzen Geschichte eine Art Introspektion eines Kindes, das aus seinem Lebensumfeld herausgenommen wurde und dies nun meistern muss.
Ein anderer Teil ist das Abenteuer, bei dem Morris beinahe wie der Erzähler auftritt, wenn er es auch nicht ist. Hier kommt dem Jungen, der den Hund sucht, natürlich diese Lebenserfahrung zugute (und sein Orientierungssinn und der Wunsch, alles Mögliche zu benennen). Weiß er doch, in fast schon altkluger Manier, mit dem seltsamen Fremden und dessen Hundswut umzugehen und zum Ende der Story gar die aufmüpfige Houdini in seinem Sinne zu bändigen.
Sprachlich ist diese ab sechs Jahren empfohlene Erzählung ein kleines Meisterwerk, das zu lesen wahren Genuss bereitet. Zusätzlich ist sie überraschend vielfältig, weise, packt mit mutigen Schritten diverse Themenspuren in den Schnee und lädt dazu ein, sich mit den Kindern wie auch sich selbst oder Freund*innen, Partner*innen, etc. über manches Gedanken zu machen und auszutauschen. Dies gern bei Kuchen und Co.
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Bart Moeyaert (Text), Sebastiaan van Doninck (Illustrationen): Morris. Der Junge, der den Hund sucht; Aus dem Niederländischen von Bettina Bach; Oktober 2024; 64 Seiten, zahlr. farb. Illustrationen; Fester Einband; 24,8 x 21,0 cm; ISBN: 978-3-446-28117-2; Hanser Verlag; 15,00 €
Wurst und Hund
Und noch ein Hund! (Dogplay, much?!?) Dieses Mal einer namens Nanuk. Der wird auch nicht gesucht, sondern sucht selber. Hilfe bekommt er dabei vom doch schon irgendwie legendären Kleinen Eisbären Lars, der mit seinen solide dreißig Jahren so klein eigentlich gar nicht mehr sein dürfte, der kleine Millennial.
In der im September im NordSüd Verlag neu aufgelegten Geschichte Kleiner Eisbär – Lass mich nicht allein, Lars! von Hans de Beer findet Lars in einer Eisspalte besagten Nanuk. Der muss dort reingeplumpst sein, als eine Gruppe Schlittenhunde Lars laut bellend nachjagte, als der neugierige Eisbär sich zu dicht an ein Iglu wagte.
Lars schickt sich an, den verängstigten Nanuk zu befreien, was dieser charmant mit solidem Knurren und Bellen dankt. Der schlaue Eisbär Lars „rennt zur Bucht und dann kreuz und quer über die treibenden Eisschollen und der kleine Hund immer hinterher. […] Erschöpft bleibt er schließlich auf einer Eisscholle stehen und heult wieder jämmerlich.” Schön blöde, du Jammerlappen!
Doch wirkt diese erzieherische Maßnahme und Nanuk wird etwas ruhiger, will er doch eigentlich nur zu seiner Mama. Hunger hat er auch, beschwert sich allerdings über den gereichten Fisch. Banause! Am nächsten Morgen ist die Hundegruppe nicht mehr am Iglu zu finden und alle Spuren sind verwischt. Doch Nanuk weiß, dass Hund und Mensch zur „Menschenstadt am Meer” wollten.
So muss nun also, trotz aller möglicherweise lauernden Gefahren, die angeseteuert werden. Ein weiterer Spoiler: Alles wird gut ausgehen. Nanuk findet gar Wurst und Lars probiert, dieser kleine Omnivore. (Tessa Bergmeier würde das Buch sicherlich verärgert entsorgen. Wütend darüber, dass hier schon Kindern von ab vier Jahren Fisch und Fleisch förmlich aufgenötigt werden. Oder sie würde es Jakob an den Kopf schmeißen, spätestens jetzt, wo sie sich getrennt haben (wie auch Sarah Kern und Tobias-Wer?-Pankow). Da ist er wieder: Der Sommerhaus-Der-Stars-Fluch!)
Kein Fluch higegen liegt über dieser Geschichte Hans de Beers, die erstmals 1999 erschien und auch 25 Jahre später in neuer Auflage durch erzählerischen Charme, eine gesunde Portion Süße und vor allem strahlende Illustrationen zu punkten vermag. Zwar nervt dieser Nanuk tatsächlich ein wenig. Wer allerdings schon einmal länger mit Welpen zu tun hatte, mag das nachvollziehen können.
Dennoch sei allen Eltern, deren Kinder sich anschließend einen Hund in einer Stadtwohnung wünschen, schon einmal mein Mitgefühl ausgepsprochen. Dann doch besser einen Eisbären, da kann wenigstens erläutert werden, warum das so nicht geht. Womöglich wird sich am Ende einfach auf ein rotes Halsband und eine (vegane) Wurstkette geeinigt.
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Hans de Beer: Kleiner Eisbär – Lass mich nicht allein, Lars!; September 2024; 32 Seiten, durchgehend farbig illustriert; Fester Einband; Format: 26,4 x 22,0 cm; ISBN: 978-3-314-10704-7; NordSüd Verlag; 17,00 €
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PS: Mehr Infos zum Vorlesetag, Aktionen, Events und Co. findet ihr auf der offiziellen Homepage.
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